Interview mit Stefanie Reinsperger: „Es macht mir Spaß, meinen Rollen Wut zu schenken“
Die österreichische Ausnahmeschauspielerin und ROMY-Preisträgerin Stefanie Reinsperger bezeichnet sich selbst als „Theatertier durch und durch“. Ab Freitag ist sie auch in der Kinokomödie „Mermaids Don’t Cry“ von Franziska Pflaum zu sehen – als Supermarkt-Kassiererin namens Annika, die davon träumt, eine Meerjungfrau zu sein.
Annika lebt in einer Hochhaussiedlung und passt oft auf die Kinder ihrer besten Freundin und Nachbarin (Julia Franz Richter) auf. Eines Tages allerdings steht, beziehungsweise sitzt ihr Vater (Karl Fischer) im Rollstuhl vor ihrer Tür und will bei ihr einziehen. Komisches Chaos bricht aus.
KURIER: Frau Reinsperger, in dem Film „Mermaids Don“t Cry“ spielen Sie eine junge Frau, die davon träumt, eine Meerjungfrau zu sein. Man spricht mittlerweile auch von der Schwimmsportart Mermaiding. Was hat es mit der Faszination für Meerjungfrauen auf sich?
Stefanie Reinsperger: Mermaiding ist schon seit längerer Zeit ein Trend. Ich kannte das vorher auch nicht. „Mermaids Don“t Cry“ ist ein Sozialdrama, verpackt in eine Komödie. Insofern ist das Mermaiding eine Form von Klammer, die der Film bietet. Meiner Meinung nach handelt es sich hier einfach um eine Allegorie für die Flucht in eine Traumwelt. Ich glaube, das kennt jeder von uns. Bei gewissen Menschen besteht diese Flucht in einer Sehnsucht nach dem Abtauchen, nicht mehr sprechen müssen, eins werden mit der Unterwasserwelt. Ich selbst aber kenne nur „Arielle, die kleine Meerjungfrau“. Das war mein Wissensstand vor dem Dreh.
Sie spielen Annika, eine junge Frau, die als Kassiererin im Supermarkt arbeitet, in der Rennbahnsiedlung lebt und sich plötzlich mit ihrem Vater konfrontieren muss, der bei ihr einzieht. Was hat Sie beim Lesen des Drehbuchs an dieser Rolle besonders interessiert?
Zuerst einmal fand ich „Mermaids“ einen ganz tollen Ensemble-Film, in dem es sehr viele starke Figuren gibt. Sie alle verbindet, dass sie am Ende des Monats nicht wirklich wissen, wie sie die Miete bezahlen sollen. Deswegen gehen sie auch so miteinander um, wie sie es tun. Ich mochte auch sehr die Freundschaft zwischen Annika und ihrer besten Freundin, gespielt von der fantastischen Julia Franz Richter. Und schließlich mochte ich auch, dass meine Figur keine stringente Entwicklung durchmacht, sondern zwischendurch auch immer wieder hinfällt. Wir erleben eine Heldin, die sehr viel lernen muss. Ich mag es, Charaktere zu spielen, die ein bisschen außerhalb stehen, die immer wieder hinfallen und denen ich beim Aufstehen zuschauen darf.
Sind Sie eine Schauspielerin, die viel recherchiert – etwa die Arbeit im Supermarkt -, oder reicht Ihnen zur Vorbereitung das Drehbuch?
Abgesehen davon, dass ich ein tolles Tauchtraining bekam, haben wir auch einen ganzen Tag im Supermarkt verbracht und dort die Abläufe angeschaut. Es sollte alles möglichst organisch und einfach wirken, wenn wir abkassieren. In diesem Film gab es auch eine große Suche nach einer gemeinsamen Spielweise. Wir sind alle Schauspieler und Schauspielerinnen, die aus ganz unterschiedlichen Ecken kommen. Wir mussten darauf schauen, alle zu einer homogenen Gruppe zusammenzuführen. Ich kann mich an einen sehr schönen Tag erinnern, an dem wir alle gemeinsam den Prater besucht haben – als die Figuren, die wir auch im Film darstellen. Die Kinder waren dabei, ebenso wie Karl Fischer, der rollengemäß im Rollstuhl saß. An diesem Tag haben wir sehr viel übereinander erfahren und gelernt. Das habe ich sehr genossen, weil das Proben beim Drehen oft ein wenig zu kurz kommt. Es war schön, dass sich Franziska Pflaum, die Regisseurin, die Zeit dafür mit uns genommen hat.
Sie sagten, das Schauspiel-Ensemble kommt aus ganz verschiedenen Ecken. Wie würden Sie die Ecke beschreiben, aus der Sie kommen?
Was ist und bleibt: Ich bin ein Theatertier durch und durch (lacht). Aber es gab auch andere, die mehr Filme drehen. Und dann ist es immer sehr spannend zu schauen, wer etwas wie spielt. Nico Ehrenteit, beispielsweise, der Annikas Freund Marc darstellt, kommt aus einem ganz anderen Zusammenhang: Er hat viel Akrobatik, Tanz und Körpertheater gemacht. Und das war schön und aufregend, alle zusammen zu führen. Viele Strecken des Films haben wir auch improvisiert.
Wie schwierig waren die Dreharbeiten Unterwasser?
Ich muss sagen, ich liebe es an meinem Beruf, dass man Sachen machen darf und Leute zur Seite gestellt bekommt, die dir helfen, an deine Grenzen zu gehen. Ich bin immer schon sehr gerne geschwommen und auch gerne getaucht. Aber wir mussten sechs, sieben Meter hinuntertauchen, um gute Bilder zu bekommen… Das ist der schöne Moment, wo du am Anfang denkst: „Oh Gott, wie schaff ich das? Wie geht sich das aus?“ Und auf einmal ist keine Grenze mehr da, weil du sie übertreten hat. Das ist toll und danach bist du stolz und erleichtert. Dieser Dreh war wirklich extrem aufwendig.
Es kommt in einer Szene zu einem Streit, nach dem dann die Freundin Annika als „dick“ und „fett“ bezeichnet. Empfanden Sie diesen Monolog als ehrlich oder als entbehrlich?
Die Frage ist: Wollen wir lauter gute, perfekte Menschen zeigen oder wollen wir zeigen, wie das Leben ist? Wollen wir zeigen, wie Menschen miteinander, untereinander, übereinander sprechen? Ich glaube, man ist mit solchen Sätzen dann doch ein bisschen näher an der Realität als uns vielleicht manchmal lieb wäre. Warum sollten wir alle ganz wundervoll, homöopathisch und sozial miteinander umgehen lassen? Ich glaube, dann wäre so ein Film in zehn Minuten vorbei.
Am Ende wird Annika richtig wütend und lässt sich nichts mehr gefallen. Das wütende Ende passt sehr gut.
Ich glaube, dass es mir Spaß macht, all meinen Rollen Wut zu schenken. Im besten Fall erfülle ich sie mit meiner persönlichen Spielwut. Und dann finde ich es schön, bei Figuren den Antrieb in der Wut zu suchen. Am meisten Spaß hat mir die Szene gemacht, in der Annika mit der Flamingo-Maske im Supermarkt einbricht, ihr eigenes Bild, das dort hängt, einschlägt und zu einer perfiden Verbrecherin wird. So etwas traut man ihr am Anfang des Films überhaupt nicht zu. Schon beim Lesen musste ich unglaublich lachen, und es hat mir auch beim Drehen sehr viel Spaß gemacht.
Sie selbst haben ein Buch mit dem Titel „Ganz schön wütend“ geschrieben, in dem Sie mit stereotypen Schönheitsvorstellungen und öffentlichem Bodyshaming abrechnen. Was bekommen Sie dazu für Feedback?
Ich bin immer noch überwältigt. Das Buch gibt es jetzt seit über einem Jahr. Es herrscht nach wie vor großes Interesse und es gibt immer noch Lesungen. Am meisten berührt mich die Ehrlichkeit der Leser und Leserinnen, die ihre Geschichten mit mir teilen. Menschen sagen mir Immer, ich hätte ihnen aus der Seele gesprochen. Das ist ein Feedback, das ich sehr oft bekomme und das sehr schön ist.
Haben Sie das Gefühl, dass sich im Zuge von Body Positivity, dem Ruf nach Diversität, aber auch durch die #MeToo-Bewegung – gerade auch in der Filmbranche – Dinge verändert haben?
Die Filmbranche ist nur eine kleine Blase und ich möchte, dass sich gesamtgesellschaftlich etwas tut. Ich finde, man merkt die Veränderungen in allen Bereichen. Das ist toll und wichtig, aber wir haben noch einen weiten Weg zu gehen.
Sie spielen im „Tatort“ die Hauptkommissarin Rosa Herzog. Hat diese Rolle Ihr Publikum nicht ganz enorm multipliziert?
Ja, das ist der totale Wahnsinn. Der letzte Dortmund-„Tatort“, der im April lief, hatte fast neun Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen. Das ist ein unglaubliches Phänomen. Ich finde es schön zu wissen, dass am Sonntag um 20.15 Uhr so viele Menschen sich entschließen, das gleiche zu tun. Dass das Fernsehen in diesem Format so etwas zustande bringt, ist schon irre, noch dazu angesichts der unglaublichen Konkurrenz, die es auf Streaming-Plattformen gibt. Ich finde es auch sehr lustig, dass ich als Österreicherin im Dortmund-Team dabei sein darf.
Werden Sie jetzt von Ihrer Umgebung anders wahrgenommen?
Gerade beim „Tatort“ verschwimmen sehr oft Figur und Privatperson. Ich steh beispielsweise beim Bäcker und bestell etwas - und plötzlich ruft jemand von hinten: „Wie konnten Sie das tun?“ Und ich: „Hä? Was denn?“ Dann erst fällt mir wieder ein, wie sehr sich die Leute mit den Figuren und Geschichten aus „Tatort“ identifizieren. Auch in meinem Wohnhaus habe ich dadurch mehr Leute kennen gelernt, was sehr schön ist. Die Nachbarschaftshilfe hat sich verändert, seit ich „Tatort“ drehe (lacht).
Kommissarin Rosa Herzog gerät durch ihre persönliche Geschichte mit ihrer Mutter, einer ehemaligen RAF-Terroristin, in einen besonders tiefen Zwiespalt.
Genau. Meine Figur kommt in den Konflikt: Arbeit oder Privatleben? Mit dem Privatleben haben es die Dortmunder Ermittler und Ermittlerinnen nicht so. Sie sind alle schwer vom Schicksal gezeichnete Menschen. Wir machen untereinander immer den Scherz, dass die Dortmunder nicht glücklich sein dürfen (lacht).
In „Mermaids Don't Cry“ sprechen Sie Österreichisch, in Deutschland mit deutschem Akzent. Fällt Ihnen das Changieren leicht?
Ich bin auch im realen Leben eine Österreicherin, die seit sieben, acht Jahren in Deutschland lebt und arbeitet. Ich mag, dass in „Mermaids Don't Cry“ zwei deutsche Schauspielende dabei sind, es aber nicht kommentiert wird, dass sie Deutsche sind. Auch in Österreich gibt es nicht nur Österreicher und Österreicherinnen, die hier leben und arbeiten. In meiner Rolle im "Tatort“ wird dazu gesagt, dass meine Figur in Österreich aufgewachsen ist. Ich spreche dann mehr Hochdeutsch und nicht Österreichisch.
Sie leben in Berlin und sind am „Berliner Ensemble“ engagiert, spielen aber auch in Wien an der Volksoper den „Frosch“ in der „Fledermaus“. Wie lange noch?
Ich bin immer sehr glücklich und dankbar, wenn ich in Wien arbeiten kann und werde den „Frosch“ auch nächste Saison dort weiterspielen. Ansonsten spiele ich meine acht verschiedenen Stücke, die ich am „Berliner Ensemble“ habe, in Berlin.
Kommentare