Interview mit Nikolaus Leytner: Franz und Freud
Ein 17-jähriger namens Franz Huchel kommt im Jahre 1937 aus dem Salzkammergut nach Wien und geht dort bei einem Trafikanten in die Lehre. Zu dessen Stammkunden gehört der Erfinder der Psychoanalyse Sigmund Freud. Franz verliebt sich unglücklich und fragt Freud um Rat. Aus dieser fiktiven Freundschaft im Jahr des „Anschlusses“ an Nazi-Deutschland baute der österreichische Schriftsteller Robert Seethaler seinen Bestseller „Der Trafikant“ (2012).
Nun hat ihn der Grazer Regisseur Nikolaus Leytner verfilmt: Mit Simon Morzé als Franz Huchel, Johannes Krisch als einbeiniger Trafikant und Bruno Ganz als Sigmund Freud. Ein Gespräch über zärtliche Magazine, Zahnlücken und Hugo Boss.
KURIER: Herr Leytner, warum finden Sie, dass „Der Trafikant“ eine gute Geschichte für eine Verfilmung ist?
Nikolaus Leytner: Ich habe den Roman am ersten Tag seines Erscheinens im Jahre 2012 gelesen und mir sofort gedacht: „Hey, das ist eine tolle Filmgeschichte!“ Ich lese sehr viel, aber es drängt sich mir sehr selten auf, dass ein Buch gleich verfilmt werden muss. Aber beim „Trafikant“ war es wahrscheinlich diese klare, bildhafte Sprache, in der der Roman geschrieben ist. Mir gefiel auch, dass es von einer Zeit handelt, die wir gut aus Filmen und Bücher kennen, die aber aus der Perspektive eines naiven, doch sehr neugierigen Burschen vom Land erzählt wird.
Die Geschichte des Franz Huchel ist auch eine Coming-of-Age-Geschichte.
Ja, zuerst interessiert er sich mehr für das Dekolleté einer Kundin, als für die politischen Verwerfungen, die es gibt. Erst als der „Rote Egon“ vom Dach springt, nimmt er wahr, was um ihn herum vorgeht. In einem sehr kurzen Zeitraum und unter dem Druck der Ereignisse wird er schnell erwachsen. Das war eine große Herausforderung für Simon Morzé – und ich finde, er hat sie toll gelöst.
Wie groß ist der Druck, wenn man einen Bestseller verfilmt?
Das ist natürlich eine Schwierigkeit, denn man macht ein Remake von Hunderttausenden Filmen, die bereits in den Köpfen der Leser gedreht wurden. Es fängt jetzt schon an: In Deutschland diskutieren die Leute anhand des Trailers, dass doch Anezka (die Frau, in die sich Franz Huchel verliebt, Anm.) eigentlich blond sein müsste. Auch gehen die meisten Leser davon aus, dass sich ihre berühmte Zahnlücke zwischen ihren Vorderzähnen befindet. Aber trotz Zahntechniker und Computeranimation konnten wir das nicht glaubhaft hinkriegen. Da haben wir es lieber gleich gelassen – und ihre Zahnlücke befindet sich jetzt an der Seite. Mit so etwas muss man halt leben.
Aber Werktreue war Ihnen insgesamt schon wichtig, oder?
Ja, aber trotzdem haben wir Dinge weglassen müssen oder auch hinzugefügt – wie zum Beispiel die Tagträume vom Franz. Auch die nächtlichen Träume, die er auf Anraten von Freud aufschreibt, habe ich zum großen Teil erfunden. Aber ich fand, dass sie als optisches Element gut geeignet sind, um mehr über die Hauptfigur zu erzählen.
Wie erklären Sie sich den Erfolg von „Der Trafikant“?
Bis jetzt wurde eine Million Exemplare verkauft, davon sehr viel auch in Deutschland – und der Roman verkauft sich acht Jahre nach seinem Erscheinen weiter. Er ist ein Longseller. Ich glaube, es hat mit der Sprache zu tun und auch damit – und das könnte vor allem den Erfolg in Deutschland erklären – dass er im Tonfall etwas Wienerisches hat. Dieses Nebeneinander von Dur und Moll – das ist ein spezieller Klang, der in den Figuren festgehalten wird, die einen so schnell nicht loslassen. Und natürlich ist es eine Königsidee, einen jungen Burschen auf Freud treffen zu lassen, der ihn dann bei seinen amourösen Abenteuern berät. Das haben wir im Film auch noch ausgebaut. Denn so eine Freundschaft, auch wenn sie historisch nicht belegt ist, kann ich mir sehr gut vorstellen.
Warum wollten Sie Bruno Ganz als Sigmund Freud?
Nachdem Freud ja eine starke, charismatische Persönlichkeit war, wollten wir auch einen Schauspieler, der eine große Ausstrahlung besitzt. Und es gab auch optische Voraussetzungen: Klaus Maria Brandauer beispielsweise hätte Freud von seiner Statur her eher nicht spielen können, weil Freud
so ein zarter, feingliedriger Mensch war. Eine historische Persönlichkeit in einer fiktiven Situation zu haben, ist immer ein bisschen schwierig, zumal, wenn man weiß, wie Freud ausgesehen hat. Das muss dann schon ein bisschen der Wirklichkeit entsprechen.
Der Trafikant wird von der Gestapo unter dem Vorwand verhaftet, dass er „zärtliche Magazine“, sprich: pseudo-pornografische Hefte verkauft.
Ja, die Hefte, die wir zeigen – „Mocca“ und „Venus“ – sind alle aus dieser Zeit. Die waren nicht offiziell ausgestellt, sondern lagen in einer unteren Lade – deswegen wurden sie auch Bückware genannt. Überhaupt gab es damals ja auch wesentlich mehr österreichische Zeitungen als heute. Das ist alles sehr gut belegt. Damals wurden beispielsweise die bestdekorierten Auslagen von Trafiken prämiert. Auch waren Trafiken dafür gedacht, kriegsversehrten Menschen eine Existenz zu garantieren.
Haben Sie viel historisch recherchiert?
Ja, es war beispielsweise erstaunlich, wie schnell sich das Straßenbild nach dem Einmarsch am 12. März 1938 verändert hat. Bereits eine Woche später trugen schon alle Wiener Polizisten die neuen Uniformen – diese Dinge waren also alle schon vorbereitet. Übrigens hat Hugo Boss diese Uniformen geschneidert. Das sind so Dinge, auf die man im Zuge von Recherchen draufkommt und wo man sich dann fragt, ob man vielleicht seinen Hugo-Boss-Pullover nicht mehr anziehen sollte.
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