Gleich für zwei Rollen wurde Nicholas Ofczarek heuer für eine ROMY nominiert. Der Burgschauspieler begeistert sein Publikum – sowohl in seiner Rolle als Privatdetektiv Julian H. in der Serie „Die Ibiza Affäre“ als auch als grantiger Polizist an der Seite von Julia Jentsch in den beiden Staffeln von „Der Pass“.
KURIER: Sie wurden für eine ROMY als bester Schauspieler in „Der Pass“ und „Die Ibiza Affäre“ nominiert. Wie wichtig ist Ihnen Publikum?
Nicholas Ofczarek: Es ist natürlich wichtig, ein Publikum zu erreichen, zu erfassen und zu berühren – aber ansonsten lebe ich ein zurückgezogenes Leben, auf das ich sehr Wert lege. Am Theater ist das Publikum viel greifbarer, und da spüre ich im Moment etwas, wenn ich spiele. Beim Drehen hat man schon fast keine persönliche Anbindung mehr an das, was man getan hat. Wenn es ein Erfolg ist, ist es schön, obwohl es ein Jahr her ist, und ich eine völlig andere Sicht auf das Werk habe. Ich habe eine Innensicht. Die Außensicht will ich gar nicht. Also schau ich mir die Arbeiten selten an.
Sie haben den „Pass“ gar nicht gesehen?
Aus dem Augenwinkel. Aber dann geh ich wieder hinaus. Natürlich ist die Außenwirkung wichtig, aber ich erlebe den Dreh völlig anders, als es dann beim Zuschauen im Fernsehen wirkt. Das stört mich und deshalb schaue ich es mir gar nicht so richtig an. Man ist als Filmschauspieler ein bisschen ohnmächtig. Im Theater kann ich etwas verändern, muss ich sogar, sonst wird mir langweilig. Also spiele ich, wenn möglich, jede Vorstellung ein wenig anders.
Gehen Sie selbst ins Theater? Oder schauen Sie da auch nicht hin?
Es geht los, und schon gefällt es mir nicht. Es geht los, und ich sehe die Fehler. Nein, ich bin kein Theatergeher.
Und Kino?
Doch, aber jetzt war ich auch schon lange nicht. Nein.
Dabei sind Sie ein Schauspieler, der sowohl auf dem Theater, als auch vor der Kamera große Wirkung erzielt.
Das sind komplett verschiedene Berufe. Schauspieler sein ist ein Beruf, den man nicht lernen kann. Man kann eine gewisse Technik erlernen, aber letztendlich ist es ein Persönlichkeitsberuf. Es geht darum, wer man ist und wieviel man von seiner Persönlichkeit einbringen kann. Das ist nicht erlernbar. Mir war das Drehen beim Film immer sehr fremd, Ich habe es erst in den letzten zehn Jahren gelernt, aber wird mir immer ein Rätsel bleiben, wie es wirklich funktioniert.
Worin besteht für Sie der große Unterschied zwischen Film und Theater?
Beim Drehen geht es viel mehr darum, sich in den Dienst des Buches zu stellen und sich selbst weniger in den Vordergrund zu spielen, sonst geht es schief. Der große Unterschied zum Theater ist, dass man es dort meistens mit Literatur zu tun hat, beim Film eher nicht, da ist die Situation flacher, Tiefe wird über andere Mittel erzeugt. Beim Theater geht’s ums Versenden, beim Film um Verinnerlichung – also eine komplett entgegengesetzte Richtung des Spiels. Beim Theater geht es um Spannung, beim Drehen geht es um Entspannung. Je entspannter ich bin, desto besser. Wenn ich eine Zweierszene drehe mit 30 Leuten im Raum, die viel zu nah an mir dran sind, muss ich in eine absolute Tiefenentspannung kommen, damit mein Spiel scheinbar natürlich passiert. Aber es ist nicht so, dass ich weiß, wie es geht. Ich lerne dauernd dazu. Ich werde wahrscheinlich nie wissen, wie es wirklich geht.
In „Der Pass“ und in „Die Ibiza Affäre“ spielen Sie zwei nicht unähnliche Männer – getrieben, obsessiv, exzessbereit. Spüren Sie eine Affinität zu diesen Rollen?
Sie meinen, ich spiele sehr viele ähnliche Figuren? Weiß ich nicht, ob das stimmt… Ich habe schon sehr viel Unterschiedliches gespielt.
Nicht generell ähnlich, aber in diesen zwei bestimmten Serien.
Das hat weniger mit mir persönlich zu tun. Anscheinend kann ich das halt. Je größer die Fallhöhe der Figur, desto besser. Wenn es keine Abgründe gibt oder wenn alles auf Schiene ist, fehlt es an Dramatik. Das ist uns allen gemeinsam, dass wir vor unseren Abgründen fliehen. Im Dramatischen ist der Abgrund das Wesentliche, obwohl wir die Sehnsucht danach haben, dass es gut läuft. Aber das ist halt im Leben nicht so. Ein Leben ist immer eine Leistung, egal, wie lange es dauert. Ich kann nur aus mir schöpfen, aber ich habe trotzdem immer geschaut, dass ich nicht einordbar bin, dass ich eine große Bandbreite behalte. Aber die Figuren, die Probleme haben, sind halt die Interessanteren.
Wird es eine dritte Staffel von „Der Pass“ geben?
Sagen wir so: Es würde nichts dagegen sprechen.
Das serielle Erzählen über längere Zeit wie „Der Pass“ erlaubt eine Entwicklung der Figuren. Wie lebt es sich mit Gedeon Winter?
Ein Mensch, aber auch eine Spielfigur, zeichnet sich durch Widersprüche aus. Wenn man auf sein eigenes Leben mit seinen verschiedenen Phasen schaut, widersprechen sie sich möglicherweise komplett. Aber genau diese Widersprüchlichkeiten sind das Interessante, und ich empfinde es als Geschenk, dass ich die unterschiedlichsten Aspekte zeigen muss und darf. Ich selbst schau eh immer gleich aus, außer die Haare oder der Bartwuchs, die mal länger oder kürzer sind, deshalb kann ich mir erlauben, in Extreme zu gehen. Ich höre immer wieder den Satz: „Das würde die Figur nicht tun.“ Aber da denke ich immer: „Was heißt das? Wer sagt das?“
Was war Ihnen bei der Figur von Gedeon Winter wichtig?
Da muss ich überlegen, das ist schon so lange her. Soweit ich mich erinnern kann, wollte ich in der ersten Staffel davon erzählen, wie er im Hier und Jetzt ankommt. In der zweiten Staffel hat mich die Frage interessiert: Was passiert mit einem Menschen, der etwas Gravierendes erlebt hat? (Winter überlebt nur knapp einen Mordanschlag, Anm.) Wie sehr kann das jemanden verändern oder unsichtbar machen? Wenn er am Schluss nach der Todesnähe wieder ganz der Alte ist – das finde ich sehr amüsant.
Warum?
Existenzverändernde Einschläge wie Krankheiten oder Tragödien sind Aufträge zur Veränderung. Wer sich nicht verändert, tut mir leid. Aber das ist mir selbst auch oft genug passiert – dass ich mich dann trotzdem nicht verändert habe. Aber an dieser Figur zu zeigen, dass er am Schluss wieder ganz der Alte ist, das hat mich sehr amüsiert (lacht).
Andreas Lust spielt Ihren Polizeikollegen. Wenn Sie und er wienerisch reden, hat das eine eigene Gefährlichkeit. Ist das Wienerische dem Abgrund näher als das Hochdeutsche?
Ich persönlich würde sagen Ja. Das Wienerische hat etwas mit dem Hier und mit unserer Vergangenheit zu tun. Wenn man sich den Wiener Dialekt anschaut, kommt die Sprachmelodie aus Ungarn und das Meidlinger L von den Tschechen. Dann gibt es noch die Einflüsse aus dem Jiddischen und dem Rotwelsch. Aus dem ehemaligen Vielvölkerstaat ist noch sehr viel aus der Verbrechersprache anwesend, anders hat man ja damals nicht überleben können. Und es ist auch schön, dass es so ist. Wir sind immer näher am Osten dran als am Westen. Ich persönlich mag das.
In der Inszenierung von „Geschichten aus dem Wienerwald“ am Burgtheater waren Sie der Einzige, der mit Wiener Akzent gesprochen hat.
Ich bin Wiener und wir spielen in Wien, das muss möglich sein. Das darf einen austriakischen Klang haben, und das wurde auch nicht hinterfragt. Aber Sprache verändert sich, Menschen verändern sich – auch in ihren Ausdrucksformen. Ich bewerte das nicht. Meine Großmutter, geboren 1912, hat noch anders geredet, und ich habe das noch erlebt. Ich rede gern mit den Bühnenhacklern am Burgtheater, weil da noch etwas von diesem Wienerischen da ist. In der Brigittenau, in Favoriten oder in Simmering hört man es auch noch ein bisschen. Ich persönlich vermisse es, aber es ist halt so.
War der Dialekt im „Pass“ ein Problem für die Produzenten?
Nein, null. Aber für mich war es ganz wichtig, dass ich im Dialekt spreche. Wenn Gedeon Winter ein Wiener Polizist ist, dann hat er so zu reden, alles andere glaub‘ ich nicht. Überall geht es ja jetzt um die Verschiedenartigkeit, um Diversität. Wenn man das wirklich ernst meint, dann muss ich auch Wienerisch reden dürfen, auch wenn das nicht alle verstehen.
„Der Pass“ lebt ja auch von den deutsch-österreichischen Unterschieden. Julia Jentsch spielt die strenge, etwas humorlose deutsche Polizistin…
Sehr schwer zu spielen. Jemand, der redlich ist, ist schwer zu spielen, wirklich.
Da hatten Sie es als Halbkrimineller leichter.
Ich bin ja ein redlicher Mensch und spiele einen Kriminellen. Auch nicht leicht für einen redlichen Menschen (lacht). Was die deutsch-österreichischen Klischees anbelangt, darf man sie aber nicht überstrapazieren. Der Spaß und die Freude daran sind enden wollend. Das Klischee ist auch schon ein Klischee.
Martin Kušej ist am Burgtheater mit dem Anspruch angetreten, alles diverser zu machen. Ist das Burgtheater bunter geworden?
Es wird sehr viel darüber geredet, wie etwas zu sein hat – und dann ist es doch nicht so. Frauen verdienen immer noch weniger als Männer … überall. Aber das Schlimmste ist: Ab 40 wird es für eine Schauspielerin schwierig, gute Rollen zu finden. Das finde ich unfassbar. Es wird groß herumgeredet, dass wir diverser werden müssen, und trotzdem hat eine Frau ab 40 ein Problem. Warum? Das ist gestrig. Ich will gute Schauspieler sehen, egal, wie sie aussehen.
Apropos Aussehen: Es ist auffallend, dass in vielen Interviews mit Ihnen immer wieder von Ihrem Bauch die Rede ist. Geht Ihnen das nicht auf die Nerven?
Ich werde immer wieder darauf angesprochen, aber es ist mir eigentlich vollkommen egal. Ich habe mich durchgesetzt, trotz meiner Fehlerhaftigkeit. Das ist das einzig Interessante, dass jemand anders ist und nicht einem fast faschistoiden Idealbild entspricht. Nichts ist langweiliger. Natürlich gibt es auch meine persönliche Sehnsucht nach einem Idealbild und Perfektionismus. Aber was ist, wenn ich das erreicht habe? Geht es mir dann wirklich besser? Ich glaube nicht.
Wieso sieht man Sie nicht öfter in österreichischen Kinofilmen?
Es gibt tolle Filmemacher und Filmemacherinnen in Österreich, aber die interessieren sich nicht sonderlich für mich. Keine Ahnung, warum. Was Film anbelangt, arbeite ich fast ausschließlich in Deutschland und in der Schweiz. Ich beschwere mich nicht, es ist halt so.
Was hätten Sie für einen Beruf, wenn Sie nicht Schauspieler geworden wären?
Mich hätte Physiotherapie interessiert. Menschen mit den Händen helfen, das hätte ich wahrscheinlich gemacht. Mit Menschen sein, obwohl ich sehr zurückgezogen bin. Ich bin auch nicht jemand, der auf viele Empfänge geht, das gibt mir nichts. Aber was mich am Theater und am Film interessiert, ist der soziale Aspekt, wie man miteinander umgeht, einander akzeptiert. Ich glaube, dass das so etwas wie Freiheit erzeugt. Und das erlebt man auch, wenn man physisch mit jemandem arbeitet. Deswegen bin ich Schauspieler geworden. Das interessiert mich an dem Beruf und weniger meine Wirkung.
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