Interview mit John Malkovich: „Ich lebe lieber in der wirklichen Welt“
Der Ausnahmeschauspieler monologisiert sich als Philosoph „Seneca“ zu Tode (derzeit im Kino), hasst soziale Medien und liebt europäisches Arthouse-Kino
John Malkovich verkörpert die Ruhe in Person. Er spricht leise, beherrscht und gelassen. Laut ist nur das schrille Rot seines Pullovers, das einem beim Interview in Berlin entgegen leuchtet. Der Schauspieler selbst ist ein wenig angekränkelt, dabei aber von distanziert-milder Freundlichkeit.
Für seine Hauptrolle als „Seneca“ (derzeit im Kino) musste er unglaubliche Textmengen lernen, die er dann in obsessiven Reden seinem Publikum um die Ohren schlägt. Allein das Zuhören macht müde, wie anstrengend muss das erst für den Sprecher sein?
Aber Malkovich hat kein Problem damit, sich im maschinengewehrartigen Dauerfeuer durch einen ganzen Film zu palavern. Als brutal-geschwätziger Philosoph Seneca bringt er den Mund nicht mehr zu. Sogar das Sterben dauert ewig, ähnlich wie in der Oper, wo im Ableben noch lange Arien gesungen werden.
Regie des bizarren „Seneca“-Porträts führte Regisseur Robert Schwentke, ein Deutscher, der einen Großteil seiner Karriere in Hollywood verbracht hat und dort gemeinsam mit Malkovich bereits den Action-Reißer „R.E.D.“ drehte.
Hustenzuckerl
Überhaupt hat der 69-jährige Malkovich ein Faible für deutsche Regisseure. Bereits in den 1980er-Jahren habe er Volker Schlöndorff in New York kennengelernt, erzählt der Schauspieler: Unter dessen Regie spielte er in „Tod eines Handlungsreisenden“ gemeinsam mit Dustin Hoffman – und später nochmals in dem Schlöndorff-Drama „Der Unhold“.
Aber auch mit den anderen großen Deutschen des Weltkinos ist Malkovich auf Du und Du, wenn er von seinen Begegnungen mit Wim (Wenders), Kameramann Michael Ballhaus und dem unvermeidlichen Werner (Herzog) berichtet: „Ich weiß auch nicht genau, warum ich mich in das europäische Arthouse-Kino verliebt habe“, sinniert er und saugt an seinem Hustenzuckerl: „Ab einem gewissen Zeitpunkt in meinem Leben, wurde ich einfach sehr stark damit konfrontiert.“
Zudem verdanke er seine frühen Filmerfolge Rollen wie in „The Killing Fields – Schreiendes Land“ von Roland Joffé und in „Eleni“ von Peter Yates – beides britische Regisseure: „Zu diesem Zeitpunkt galt England noch als Teil von Europa. Keine Ahnung wie man es dieser Tage definieren soll“, so der profilierte Charakterdarsteller (oft fieser Männer – man denke an „Gefährliche Liebschaften“) mit sardonischem Unterton.
Wüste
„Seneca“ spielt im alten Rom, wurde aber in einer kargen, marokkanischen Wüstenstadt inszeniert. Dort unterhält Seneca, Lehrer und Erzieher des berüchtigten Kaisers Nero, die dekadente römische Oberschicht – darunter Starkollegen wie Geraldine Chaplin und Julian Sands – mit Theaterstücken und grausamen Gewaltspektakeln. Dem blutrünstigen Nero predigt er kaiserliche Milde – und bekommt sie schließlich dadurch zu spüren, als er sein eigenes Todesurteil als Selbstmord vollstrecken „darf“. Trotz seiner philosophischen Weisheiten aber ist auch Seneca durch und durch korrupt und verkommt im Dienste Neros zum verabscheuungswürdigen Kasperl.
Beckett
„Was Robert Schwentke mit ,Seneca’ zeigen will, ist die unverbesserliche Natur von unserer Gesellschaft und der Menschheit an sich“, sagt Malkovich bedächtig: „Das Leben ist korrupt, und wir alle wissen es. Es gibt Menschen, die von dieser Korruption stark profitieren; andere gar nicht. Sie sind es dann, die die Drecksarbeit machen müssen, die die Privilegierten selbst nicht machen wollen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich kann an dieser Stelle nur Samuel Beckett zitieren: ,Du befindest dich auf der Erde. Dafür gibt es keine Heilung.’“
Apropos Heilung: Seneca sei so ja etwas wie ein Lebenscoach gewesen, überlegt Malkovich. Eine Berufung, die ja heute sehr modern geworden sei. An dieser Stelle hebt er zu einer langen, auch bei guten Englischkenntnissen nicht ganz nachvollziehbaren Tirade gegen die sozialen Medien an. Kurz zusammengefasst: John Malkovich hasst soziale Medien und meidet sie wie der Teufel das Weihwasser, denn: „Dort wird viel geredet und erst danach gedacht.“
Außerdem wisse man auch nie, mit wem man es im Internet tatsächlich zu tun habe: „Ich lebe lieber in der wirklichen Welt.“
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