Jean Michel Jarre: Musizieren mit Tixo und Schere

Jean Michel Jarre hat in seinem Studio elektronische Instrumente aus vier Dekaden stehen.
Der Electronic-Music-Pionier hat mit 15 Gast-Stars "Electronica" aufgenommen.

Einen der schönsten Momente beim ,Electronica’-Projekt hatte ich in Wien", erinnert sich Jean Michel Jarre im KURIER-Interview. "Ich habe bei euch mit Edgar Froese von Tangerine Dream den Titel ,Zero Gravity’ aufgenommen. Wir kannten uns kaum, waren aber sofort wie alte Freunde. Ich finde, diese Frische kann man in dem Track hören – obwohl es Edgars letzte Aufnahme ist."

Im Jänner starb Froese, der mit Tangerine Dream großen Einfluss auf die Elektronische Musik hatte und somit der ideale Kandidat war, bei Jarres "Electronica"-Projekt dabei zu sein. Genauso wie Moby, Vince Clarke, 3D von Massive Attack und Air.

Aber auch Genre-Neulinge wie Who-Gitarrist Pete Townshend und Klassik-Pianist Lang Lang sind mit von der Partie. Die wollte Jarre dabei haben, weil sie ihn persönlich inspiriert haben. "Anfangs wollte ich mit ,Electronica’ auch die Geschichte der elektronischen Musik nachzeichnen. Aber bald ging es nur mehr um die Kollaborationen, darum, persönlich mit diesen Leuten im Studio zu sein. Heute ist es einfach, per Internet zusammen zu arbeiten. Aber ich mag solche Features nicht. Da geht es nur um berühmte Namen und den Verkaufswert. Ich aber wollte das Ping-Pong-Spiel zwischen kreativen Individuen einfangen."

Experimente

Gelernt hat der Sohn des Filmmusik-Komponisten Maurice Jarre nämlich bei Pierre Schaeffer, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Techniken suchte, die Beschränkungen herkömmlicher Instrumente – etwa auf festgelegte Tonhöhen und Klangqualitäten – aufzuheben. Mit dem Credo: Nur der Mensch und seine Inspiration machen den Unterschied zwischen Geräusch und Musik.

"Stockhausen und Schaeffer haben wir in der Elektronischen Musik praktisch alles zu verdanken", sagt Jarre. "Schon in den 40ern experimentierte Schaeffer damit, mit den Geräuschen von Wind, Vögeln oder dem Regen Musik zu machen. Ich habe klassisches Klavier studiert, später Jazz. Als ich Schaeffer kennenlernte, war ich fasziniert. Mit ihm haben wir mit Bandmaschinen, Schere und Tixo musiziert. Mit Oszillatoren und anderen Geräten, die wir aus Radio-Studios entführt haben."

Erst später bekam Jarre seinen ersten Synthesizer, einen AKS. Der war billiger als der Moog, funktioniert auch heute noch und ist auch auf "Electronica" zu hören. "Ich habe dafür meine E-Gitarre und meinen Verstärker verkauft. Es war während der Studentenrevolution in Paris, und für mich der Weg, gegen das Establishment der Klassik und sogar der Rockmusik, die damals auch schon eine Institution war, zu rebellieren. Ich war überzeugt: Elektronische Musik wird die klassische Musik des 21. Jahrhunderts."

Albtraum

Trotzdem wollte Jarre auch Brücken schaffen, brachte die Entwicklung, die in der Klassik ihren Ursprung hatte, in den Pop, gilt deshalb als Pionier seines Genres. Die ersten Live-Auftritte mit den damals noch großen, schweren und unverlässlichen elektronischen Geräten waren für den heute 67-Jährigen aber "ein Albtraum".

"Herkömmliche Instrumente wurden für Live-Auftritte erfunden. Erst später haben wir Mikrofone davor gestellt, und sie im Studio aufgenommen. Mit unseren Instrumenten war es genau umgekehrt: Die waren im Labor entwickelt worden und einfach nicht für die Bühne gemacht. Und es gibt auch nichts, was weniger sexy ist, als wenn man zwei Stunden hinter einem Pult steht und Knöpfchen dreht. Deshalb habe ich meine Konzerte von Anfang an immer mit Lasern, Videos und ausgefeilten Lichtshows illustriert."

Kommentare