Der Filmemacher Ìlker Çatak hat seine Schulzeit in guter Erinnerung. Zwar sei er „sehr faul“ gewesen, wie er bereitwillig zugibt, „aber meistens gut“. Als Sohn türkischer Eltern wurde Çatak 1984 in Berlin geboren, übersiedelte aber mit zwölf nach Istanbul, wo er in der deutschen Botschaftsschule maturierte. Bis heute ist er mit vielen Schulkollegen befreundet – so auch mit Johannes Duncker, seinem langjährigen Kreativpartner: Mit ihm schrieb er das Drehbuch zu seinem vierten Spielfilm „Das Lehrerzimmer“ (Kinostart: Freitag).
Es war Dunckers Schwester – von Beruf Mathematiklehrerin –, die erzählte, dass in ihrem Lehrerkollegium gestohlen wurde und es sich bei der Täterin wohl um die Sekretärin gehandelt hätte.
Von ihrer Geschichte inspiriert, spannen Çatak und Duncker die Ereignisse weiter: Was passiert mit einem Arbeitsklima, in dem sich Misstrauen einschleicht?
Falscher Verdacht
„Das Lehrerzimmer“ handelt von einer jungen, engagierten Lehrerin namens Carla Nowak, konzentriert gespielt von Leonie Benesch. Alles liefe gut, wäre da nicht diese unangenehme Situation: In der Schule wird gestohlen.
Der Verdacht fällt auf einen von Carlas Schülern – einen Buben mit Migrationshintergrund: „Sehr viel von dem, was ich erlebt habe, spielt mit hinein“, kommentiert Ìlker Çatak den Vorfall: „Natürlich kommt hinzu, dass ich selbst ein Kind mit Migrationsgeschichte bin. Ich bin in Deutschland häufig als der ,Schwarzkopf‘ gesehen worden. Ich wurde von der Polizei oft ohne Grund herausgefischt und auf eine Wache gebracht, ohne zu wissen warum.“
Carla Nowak selbst ist gebürtige Polin, weigert sich aber, mit einem polnischen Kollegen in der Muttersprache zu sprechen: „Die Lehrerin will gegenüber ihrer deutschsprachigen Kollegenschaft nicht verschwörerisch wirken. Und dann kommt hinzu, dass Polinnen und Polen in Deutschland immer mit dem Vorurteil konfrontiert werden, dass sie stehlen“, führt Çatak weiter aus: Das „Gefühl von Unbehagen mit der eigenen Herkunft“ habe seinen Weg in den Film gefunden. Für ihn persönlich gebe es dieses Unbehagen allerdings nicht mehr: „Mittlerweile kann ich auch mit Fug und Recht behaupten, dass ich für meine zwei Kulturen sehr dankbar bin. Es ist ein kultureller Fundus, der anderen nicht zugänglich ist.“
Brennglas
Die Episode mit dem zu Unrecht beschuldigten Schüler nagt an der Lehrerin. Sie platziert ihre Geldbörse gut sichtbar im Lehrerzimmer und lässt die Kamera ihres Computers laufen. Das Geld verschwindet. Ihre Aufzeichnungen geben die Sicht auf den Rücken einer Person frei, deren Bluse aussieht wie die der Sekretärin. Diese bestreitet den Diebstahl vehement. Die Eltern – natürlich alle Mitglied in einer Whatsapp-Gruppe – mischen sich ein.
Das enge 4:3-Bildformat von Kamerafrau Judith Kaufmann – die übrigens auch Marie Kreutzers „Corsage“ fotografierte – und bedrohliche Musik geben dem „Lehrerzimmer“ Thriller-Feeling, denn: „Das Publikum soll den Druck, der auf der Lehrerin lastet, körperlich spüren.“
Die Schule wird zum Brennglas der Gesellschaft: „Es geht um Rassismus, Sexismus, Fake News und Cancel Culture. Ganz wichtig waren uns der Begriff Wahrheit und die Frage: Gibt es die absolute Wahrheit und wann wird sie passend gemacht?“
Genau das sei für ihn das Interessante: Wahrheit in Zeiten der (Post-)Pandemie, findet Ìlker Çatak: „Keiner weicht von seinem Standpunkt ab. Das hat man auch während der Pandemie gesehen: Jeder hat eine andere Faktenlage. Wenn es aber keine Faktenlage gibt, auf die wir uns einigen können, werden Fakten zur Glaubensfrage. Wahrheit kann ad absurdum geführt werden und in Fake News münden.“
Kommentare