Interview mit Elegance Bratton: Inspiriert von "Full Metal Jacket", aber queer
„Sind Sie jetzt oder waren Sie jemals homosexuell?“, brüllt der Militärausbilder seinen neuen Rekruten an.
„Nein, Sir!“ brüllt dieser zurück.
Aber der Soldat lügt. Er heißt Ellis French, ist schwarz und schwul.Tatsächlich aber hätte man ihm die Frage nach seiner sexuellen Orientierung gar nicht stellen dürfen.
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Das Militärdrama „The Inspection“ (derzeit im Kino) spielt im Jahr 2005, also mitten in der Zeit von „Don’t ask, don’t tell“ („Frag’ nicht, sag’ nichts“), die bis 2011 wirksam war. Präsident Bill Clinton hatte 1993 mit den konservativen Kreisen im US-Kongress einen Kompromiss geschlossen, wonach Vorgesetzte ihre Untergebenen nicht mehr nach ihrer Sexualität befragen durften. Umgekehrt war es den Soldaten untersagt, offen ihre Homosexualität zu leben.
Dass Ellis French schwul ist, kann er nicht lange verheimlichen. Schnell spricht es sich herum. Schikanen seitens der Vorgesetzten, aber auch der anderen Soldaten, sind die Folge.
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Radikale Ablehnung
Die größte Kränkung erlebt French aber durch die radikale Ablehnung seiner Mutter. Bereits als Jugendlichen hatte sie ihn deswegen aus dem Haus gejagt. Zehn Jahre lebte er als Obdachloser auf der Straße, ehe er beschloss, bei den Marines anzuheuern – und in weiterer Folge eine College-Ausbildung finanziert zu bekommen.
„The Inspection“ ist eine grimmige Geschichte, die das Leben schrieb. Ihr Regisseur heißt Elegance Bratton – und die Erlebnisse von Soldat Ellis French sind stark von seiner eigenen Biografie inspiriert.
Elegance Bratton – ein Name, den man sich merkt.
„Den hat mir meine Mutter ausgesucht“, seufzt Bratton im KURIER-Gespräch, klingt dabei aber leicht amüsiert: „Wenn man Elegance heißt, glaubt jeder sofort, dass man schwul ist, noch bevor man es selbst weiß. Schon als Kind wurde ich deswegen von anderen ausgegrenzt. Es ist seltsam, dass ausgerechnet meine homophobe Mutter mir diesen Namen gab. Vielleicht wusste sie ganz unterschwellig schon, dass ich schwul bin, bevor ich es selbst wusste.“
Jedenfalls weigerte sich Brattons Mutter, die Sexualität ihres Sohnes zu akzeptieren: „Als ich zwischen 16 und 18 war, hatten wir deswegen unglaubliche Streits“, erzählt der 44-Jährige. „Sie warf mich immer wieder aus dem Haus. Hätte ich meine Homosexualität verschwiegen, hätte ich bleiben dürfen, aber das wollte ich nicht. Danach lebte ich auf der Straße, bis ich 25 war.“
Als er seine Mutter bat, wieder zurückkehren zu dürfen, sagte sie: „Nein“. Stattdessen schlug sie ihm vor, sich beim Militär zu melden.
„Dieser Vorschlag war für mich ziemlich schmerzhaft“, erinnert sich Bratton: „Es war die Zeit der Irak-Kriege und des ,War on Terror’. Es war, als hätte sie zu mir gesagt, ihr wäre lieber, ich würde in die Luft fliegen, als in ihrem Haus schwul zu sein.“
Militär und Bildung
Trotzdem ließ er sich von der Marine anwerben – mit der Aussicht, nach der Grundausbildung das Filmemachen zu lernen. Heute hat er Abschlüsse der renommierten Columbia University und der New York University.
Bereits in seiner berührenden Doku „Pier Kids“ (2019) über obdachlose, queere Jugendliche verarbeitete Bratton seine Erfahrung mit dem Leben auf der Straße. Seine Erlebnisse im Bootcamp der US-Marine flossen ein in „The Inspection“, inspiriert von Filmen wie Claire Denis’ „Beau Travail“ oder Stanley Kubricks Vietnamfilm „Full Metal Jacket“.
US-Schauspieler Jeremy Pope übernahm eindrucksvoll die Rolle von Ellis French und begegnet den Quälereien und Beschimpfungen seiner Umgebung mit stoischer Beharrlichkeit.
„Als schwarzer und schwuler Mann war ich doppelt weit vom amerikanischen Traum entfernt“, weiß Elegance Bratton. „Seit ich denken kann, war ich von Feindseligkeit umgeben. Das war auch beim Militär so, aber dafür bekam ich die Chance auf eine College-Ausbildung. Es war auch das erste Mal, dass mich die straighte Welt akzeptieren musste. Solange ich alle körperlichen Tests bestand, konnten sie mich nicht – wie der Rest von Amerika – zurückweisen. Und wenn man es einmal geschafft hat, ist man einer von ihnen.“
Wer ihn allerdings trotz seiner Erfolge zurückwies, war weiterhin seine Mutter. In „The Inspection“, sensibel gespielt von Gabrielle Union, tritt sie als grausame, aber auch verletzte Frau auf, die sich nicht überwinden kann, ihren Sohn ohne Vorbehalte zu lieben. Kurz vor Beginn der Dreharbeiten starb sie.
„Gabrielle Union hat mir geholfen, meine Mutter zum Leben zu erwecken. Ich wollte ihr sagen, dass ich sie trotz allem liebe“, sagt Elegance Bratton und wirkt, als würde er gleich zu weinen beginnen. „Leider ist sie gestoben, bevor sie meine Botschaft erhalten konnte. Aber ich konnte mit dem Film meinen Frieden mit ihr finden.“
„The Inspection“ ist seiner Mutter gewidmet.
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