Interview mit Catherine Breillat: Der Skandal bin ich
„Wenn ich auf Ihren Fotos schon nicht schön aussehen kann, sorgen Sie wenigstens dafür, dass ich lebendig aussehe“, sagt Catherine Breillat gleich zum Einstieg zu dem Fotografen, der während des KURIER-Gesprächs Porträts von ihr schießt.
Sie meint dies nur halb im Scherz. Catherine Breillat, Jahrgang 1948, hat sich Zeit ihres Lebens mit der Kraft des (weiblichen) Begehrens und dem Verhältnis der Geschlechter beschäftigt. Als routinierte Provokateurin des französischen Autorenfilms rief sie damit mehr als einmal die Zensur auf den Plan: Mit ihren unbeirrbar intimen und expliziten Bildern schockierte sie ihr Publikum von Anfang an – vorausgesetzt, ihre Filme wurden überhaupt gezeigt.
Unter dem Schlagwort „Skandalfilm“ wird derzeit ihr Werk – gemeinsam mit den ebenfalls als „anrüchig“ empfundenen Arbeiten des Italieners Marco Ferreri („Das große Fressen“) – im Österreichischen Filmmuseum gezeigt (bis 26. Februar).
„Der Unterschied zwischen mir und Ferreri ist folgender“, extemporiert Breillat während ihres Wien-Besuchs: „Marco Ferreri macht Skandalfilme. Ich aber bin ein Skandal, weil ich von Dingen erzähle, die fundamental sind – und weil ich eine Frau bin.“Seit Catherine Breillat denken kann, muss sie sich gegen Widerstände durchsetzen: „Ich wurde von Kindheit an zur Rebellin gemacht“.
Mit 17 Jahren verließ sie ihr streng katholisches Elternhaus in der Landgemeinde Bressuire und ging nach Paris: „Ursprünglich habe ich mich auf den katholischen Religionsunterricht gefreut“, erinnert sich die Regisseurin: „Ich dachte, ich werde in Fragen der Ethik und der Philosophie eintauchen. Stattdessen haben mir die katholischen Schwestern als erstes mitgeteilt, dass ich als Frau ein mangelhaftes Wesen bin.“
Damit war es auch schon wieder vorbei mit dem Katholizismus. Im heißen Alter von 17 schrieb Breillat ihren ersten Roman, der prompt erst ab 18 freigegeben wurde – „und mich quasi selbst verboten hat, weil ich für meinen eigenen Inhalt ‚zu jung‘ war.“
Auch auf der Filmschule nahm man sie nicht in die Regieklasse auf: „Der Direktor teilte meinem Vater mit, ich könnte nur in den weniger prestigereichen Abteilungen studieren. Begründung: Eine Frau kann keine Regisseurin werden.“
Erotische Gelüste
Dass eine Frau durchaus Filmregisseurin werden kann, hat Catherine Breillat umfassend bewiesen. Gleich mit ihrem Regiedebüt „Ein wirklich junges Mädchen“, das 1976 fertiggestellt wurde, aber erst 1999 gezeigt werden konnte, provozierte sie einen handfesten Skandal – obwohl sie, wie sie selbst sagt, „im Gegensatz zu den Wiener Aktionisten gar nicht provozieren wollte“.
Es gelang ihr trotzdem: Eine 14-jährige Schülerin verbringt ihre Sommerferien mit ihren Eltern auf dem Land. Man schreibt das Jahr 1963: Aus dem Radio ertönt vielversprechende Rock ’n’ Roll-Musik, und das Mädchen langweilt sich mit den beiden Alten zu Tode. Doch dann engagiert ihr Vater einen jungen Vorarbeiter, der ihre erotischen Fantasien und Gelüste befeuert.Breillat erzählt über die Sexualität einer Pubertierenden mit erfrischender Schamlosigkeit und der Lust am Tabubruch. Egal, ob sie die schlecht gelaunte Alice dabei zeigt, wie sie ihr eigenes Ohrenschmalz knetet oder sexuelle Spiele mit einem Regenwurm versucht – die Aufregung über diese Bilder war in jedem Fall groß.
„Mein erster Film entstand mit den einfachsten Mitteln, weil ich damals noch keine Ahnung vom Filmemachen hatte“, sagt Breillat: „Ich habe alles selbst gemacht: Die Kleider genäht, 60 Paar Stöckelschuhe mitgebracht, die Jeans des jungen Mannes enger genäht, damit man sein Geschlecht besser erkennen kann ... Der Film ist wie ein U.F.O. Aber mein ganzes Kino ist darin bereits eingeschrieben.“
Kurz bevor sie ihren ersten Film drehte, traf sie auf Roberto Rossellini, Gottvater des italienischen Neorealismus: „Rossellini fragte mich, was ich glaube, dem Kino Neues hinzufügen zu können? Und ich antwortete ihm: Mein Thema ist die Scham. Ihr Männer gebt sie uns und wir müssen sie tragen.“
#MeToo
Catherine Breillat gehört auch im Themenfeld Feminismus zu den Provokateurinnen. Besonders ihr Aufreger „Romance“ (1999), der expliziten Sex zeigt und sie über die französischen Landesgrenzen hinaus berüchtigt machte, reizte zum Widerspruch. Weibliches Begehren, findet Breillat, geht verschlungene Wege und sucht die erotische Erfahrung womöglich auch in der Selbsterniedrigung: „Ich versuche, alles mit größtmöglicher Wahrhaftigkeit zu erzählen“, rechtfertigt sie ihren obsessiven Blick auf Gewalt und Sex jenseits von Moralvorstellungen.
Überhaupt die Moral: „Moralismus hat nie etwas mit Moral zu tun. Moralismus und Konformismus in der Kunst sind das Schlimmste“: Dementsprechend kritisch steht Catherine Breillat der Entwicklung der #MeToo-Bewegung gegenüber, „weil da Prüderie und Revisionismus“ um sich greife: „Was vor Gericht gehört, gehört vor Gericht, aber nicht in die sozialen Medien, wo Verurteilungen ausgesprochen werden. Das finde ich schrecklich.“
Auch die heikle Frage, ob man das Leben eines Künstlers von seinem Werk trennen kann, darf oder muss, kann Catherine Breillat klar beantworten: „Ein Künstler muss gute Werke schaffen. Er muss kein Heiliger sein.“
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