Interview mit Caleb Landry Jones: „Sonst wird’s zu persönlich“
Caleb Landry Jones steht der Schweiß auf der Stirn. Zwar ist der Texaner Hitze gewöhnt, doch in Amerika herrscht bekanntlich eine größere Dichte an Air Conditioner als im heißen Wien. Egal. Ein schwarzes, zugeknöpftes Hemd und Boots müssen sein. Das habe Coolheitsfaktor, grinst der rothaarige Jones, und dafür müsse man eben ein bisschen schwitzen.
Der 29-jährige Schauspieler ist das, was man landläufig eine Shooting Star nennt. Einer, der mit kleineren, aber signifikanten Rollen plötzlich einem größeren Publikum ins Bewusstsein dringt. In der Provinzsatire „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ fiel er durch einen spektakulären Fenstersturz auf; in der Horror-Farce „Get Out“ spielt er einen sinistren rassistischen Tischgenossen. In Österreich kann man ihn derzeit gleich zweimal im Kino sehen: Einmal im Kampf gegen Zombies in Jim Jarmuschs „The Dead Don’t Die“. Und in der Hauptrolle von Peter Brunners Psychodrama „To The Night“.
Der Wiener Regisseur („Mein blindes Herz“) hat mit „To The Night“ seinen ersten, englischsprachigen Film umgesetzt. Er erzählt von den inneren Qualen eines jungen Künstlers und Familienvaters namens Norman, der als Kind hilflos dabei zusah, wie seine Eltern verbrannten. Dieses Trauma verfolgt ihn sein gesamtes Erwachsenenleben hindurch und funkt in all seine Beziehungen.
Caleb Landry Jones spielt die aufreibende Situation Normans, dessen labiler psychischer Zustand sich zwischen Beziehungskrise und Klinikaufenthalt einpendelt, als emotionale Tour de Force. Es wird viel geweint, gestritten und gelitten. Norman ringt darum, zu seiner Freundin (Eleonore Hendricks) und seinem Babysohn eine belastbare Beziehung aufzubauen, scheitert aber immer wieder an seinen inneren Verletzungen.
Geliebt
„Ich habe das Drehbuch gelesen und sofort geliebt, geliebt, geliebt“, sagt Caleb Landry Jones bei seinem Wien-Besuch im Interview mit dem KURIER enthusiastisch: „Ich hatte keine Ahnung, wer zum Teufel Peter Brunner ist, aber ich fand das Drehbuch sofort brillant und wollte um jeden Preis eine Rolle übernehmen.“
Auch für Peter Brunner, der aufgrund der schwierigen Finanzierung seines Films verschiedene Koproduktionen einging und dadurch die Möglichkeit erhielt, in Amerika zu drehen, stellte Caleb Landry Jones die Idealbesetzung dar: „Ich sah ihn in diversen Filmen und war von seinem Spiel begeistert. Dann haben wir seinem Agenten das Drehbuch geschickt und – er hat geantwortet.“
Bei dem gemeinsamen Gespräch mit dem 36-jährigen Brunner und seinem Hauptdarsteller spürt man, dass hier zwei Künstler an einem Strang ziehen: „Ich habe sofort verstanden, was Peter in seinem Film erzählen will und konnte mich mit vielen Aspekten von Normans Freundschafts- und Beziehungsproblemen identifizieren. Norman will sich um seine Familie kümmern und für sie da sein; gleichzeitig kämpft er mit seinem Schuldgefühl, seiner Paranoia und seinem Schmerz. Ich habe einiges aus meinem Leben wieder erkannt.“ Caleb Landry Jones muss plötzlich lachen: „Aber mehr sag ich jetzt nicht, sonst wird’s zu persönlich.“
Wittgenstein
Tatsächlich ist Peter Brunner ein Regisseur, der sich ganz dezidiert für innere, psychische (Krisen-)Zustände interessiert und diese – oft mit schnell bewegter Handkamera – in emotionsgeladene Bilder übersetzt. „Unsere Fähigkeit zu fühlen, macht uns lebendig“, sagt Brunner. „Ich habe versucht, mit meinen Schauspielern eine emotionale Wahrheit von Menschen zu finden, die sich in der Krise befinden. Es ist okay, wenn das manchen Zuschauern zu viel ist, aber es ist zumindest eine ehrliche Konfrontation.“
Der Begriff des Posttraumatischen Syndroms, unter dem Norman leidet, ist für Brunner, dem Sohn eines Psychiaters, nur ein Schubladenbegriff: „Norman ist für mich ein moderner Ödipus, einer, der es gut mit den anderen meint, aber in einer Erzählung gefangen ist, aus der er nicht heraus findet.“
Auch musikalisch unterfüttert Brunner das emotionale Labyrinth seines Protagonisten, etwa mit minimalistischer Musik von Steve Reich, in der drei helle Sopranstimmen immer wieder einen Satz von Ludwig Wittgenstein klagen: „Welch ein kleiner Gedanke doch ein ganzes Leben füllen kann.“
Der Gedanke, der Norman ausfüllt, ist beseelt von der Suche nach einem Platz in der Welt, nach Zugehörigkeit und der Möglichkeit, sich selbst zu verändern. „Viele Künstler sind von diesen Themen besessen und bemühen sich, Bilder dafür zu finden“, erklärt Peter Brunner. In Caleb Landry Jones hat er einen kongenialen Partner für diese Suche gefunden.
Kommentare