Im Arbeitsleben von Barbara Albert hat Corona nicht für eine Auszeit gesorgt. Die Wiener Regisseurin ist, im Gegenteil, schwer beschäftigt. Derzeit bereitet sie in Bulgarien weitere Dreharbeiten für ihren ersten Serienauftrag vor: Für Sky verfilmt sie, gemeinsam mit Co-Regisseur David Dietl (Sohn von „Monaco Franze“-Regisseur Helmut Dietl, Anm.), die achtteilige Dramaserie „Paradiso“, nach dem Roman von Thomas Pletzingers „Bestattung eines Hundes“. Darin reist ein Münchner Journalist (Albrecht Schuch) nach Italien, um einen deutschen Schriftsteller (Friedrich Mücke) zu interviewen, und wird dort auf fatale Weise in dessen Liebesleben hineingezogen.
KURIER: Frau Albert, Sie drehen erstmals eine Serie für Sky. Sind Sie selbst Serien-Fan?
Barbara Albert: Ich schaue teilweise sehr gern Serien. Ich habe aber festgestellt, dass ich im Verlauf der letzten Jahre anspruchsvoller geworden bin. Man weiß einfach, wie viel Lebenszeit man für so eine Serie aufbringt und fragt sich manchmal danach: Warum eigentlich? Der Nebeneffekt dieser Serien ist natürlich auch so eine gewisse Beschäftigungstherapie. Gerade während Corona habe ich manchmal das Gefühl, dass die Leute sich von der Realität ablenken wollen. Das finde ich immer ein bisschen gefährlich. Dass derzeit insbesondere historische Serien und Familiensagas so erfolgreich sind, hat für mich auch mit Eskapismus zu tun.
Wie kam es dazu, dass Sie vom Kinofilm zur Serie gewechselt sind?
Ich habe vor, auch wieder Kinofilme zu drehen, sehe aber die Serienarbeit als spannende erzählerische Chance. Vor über zwei Jahren hat mich die Produzentin Ursula Wolschlager gefragt, ob ich eine Serie namens „Schnee“ mitentwickeln will und als Regisseurin einsteigen möchte. Dieses Entwickeln von „Schnee“ (dessen Dreharbeiten ab Herbst geplant sind, Anm.) war eine schöne Erfahrung, und ich habe gemerkt, dass mich das interessiert: Über einen längeren Zeitraum hinweg horizontal zu erzählen. Dann wurde ich von Sky angefragt. Es ist eine echte Entscheidung. Man muss wirklich überzeigt davon sein, um zwei Jahre damit zu verbringen. Aber die Drehbücher haben mich sehr interessiert.
Wie weit sind Sie mit dem Dreh von „Paradiso“?
Ich habe ziemlich genau vor einem Jahr den Vertrag unterschrieben – und dann kam Corona. Letztes Jahr hatten wir über 50 Drehtage. Jetzt habe ich noch zehn Drehtage in Bulgarien. Die Geschichte beginnt Ende der 90er Jahre in Kolumbien. Drehen werden wir nun allerdings in Kuba. Andere Teile spielen in Finnland und New York, die in Rückblenden erzählt werden und diese Serie zu einer Art Reiseserie machen. Im Studio von Sofia wird gerade viel gebaut, für Außenaufnahmen von New York 2001. Das heißt, ab Mitte Februar haben wir intensive Tage vor uns: An einem Tag sind wir in New York 2001, dann in Finnland 2000. Das ist aber auch toll.
Wie sieht so ein Drehtag unter Corona-Bedingungen konkret aus?
Das Set ist in verschiedene Zonen unterteilt, wo jeder unterschiedlich farbige Jacken trägt, damit man weiß, in welcher Zone er oder sie sich bewegen darf. Natürlich tragen wir durchgehend FFP2-Masken und werden regelmäßig getestet, manchmal alle zwei Tage. Wir haben ständig eine Ärztin bei uns am Set, die uns sehr gut begleitet. Ich glaube, diese Filmdreh-Bubbles sind im Vergleich zu vielen anderen Lebenssituationen sicherer. Natürlich ist alles ein bisschen irreal, weil man sich phasenweise wie auf einem anderen Planeten fühlt.
Mussten Sie bestimmte Szenen aufgrund von Corona ändern oder umschreiben?
Es gab tatsächlich eine Massenszene, die mein Kollege David Dietl in Berlin gedreht hat. Es handelte sich um eine richtig große Party in New York, wo wir dann die Komparsen reduziert haben. Man versucht natürlich, mit der Zahl möglichst runter zu gehen, aber aufgrund der Tests sind Massenszenen machbar. Auch, dass Kussszenen nicht mehr möglich sind, wie häufig kolportiert wurde, stimmt so nicht. Insgesamt ist das Drehen zu Zeiten von Corona schon gewöhnungsbedürftig, aber der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier und irgendwann ist es normal. Und irgendwann funktioniert es sogar eher umgekehrt, das finde ich ziemlich absurd. Man schaut sich Filme an, wo Leute sich umarmen oder die Hand geben und denkt: Oh, Achtung! Man merkt richtig, dass man einen Reflex bekommt. (lacht)
Sie haben bei Ihren Kinofilmen Ihre Drehbücher meist selbst geschrieben und immer Frauen in den Mittelpunkt gestellt. Ist die Arbeit für Sky eine Umstellung?
Es stimmt, es stehen drei Männer im Zentrum, aber interessanterweise ist die Frauenfigur Tuuli, eine Finnin, so etwas wie die geheime Hauptfigur. Es dreht sich im Grunde alles um sie. Aber ich gebe zu, dass es eines meiner Hauptanliegen war, als ich zur Entwicklung dazu gestoßen bin, zu überprüfen, ob die Frauenfigur auch wirklich als eine aktive Frauenfigur erzählt wird, die nicht nur auf Männer reagiert. Die Autoren der Drehbücher sind drei Männer, aber auch ich maße mir an, Männerfiguren zu schreiben. Aber es ist richtig, dass es das erste Projekt für mich ist, in dem Männer so stark im Mittelpunkt stehen. Es ist durchaus spannend, auch einmal in unbekannteres Gewässer zu springen.
Gibt es bei einer Serie einen stärkeren Quotendruck als im Arthouse-Bereich?
Das ist ganz sicher so. Und natürlich ist es ein starkes Thema: Was wollen unsere Zuseher und Zuseherinnen? Ich glaube, ich wäre nicht engagiert worden, wenn Sky nicht neue Dinge ausprobieren und versuchen wollte, ein neues Zuschauersegment zu bekommen. Ich muss sagen, ich war streckenweise erstaunt, wie viel künstlerische Freiheit wir haben.
Haben Sie Sorge, dass die Gewohnheit der Menschen, ins Kino zu gehen, durch Corona noch mehr abnimmt?
Diese Entwicklung gab es leider schon vor Corona und ist jetzt natürlich noch viel stärker geworden. Viele Leute haben zu Hause ihre Beamer und wollen nicht mehr ins Kino gehen. Ich glaube, dass Filme mit Eventcharakter wie US-Mainstream-Filme durchaus weiterhin im Kino angeschaut werden. Und ich fürchte, dass das auf Kosten der kleineren Kinos geht. Ich habe gehört, dass es in Österreich nicht so schlimm ist wie in Deutschland, wo einige Kinos die Krise nicht überleben werden. Es kann aber auch sein, dass das Kino insgesamt musealer wird. Das Arthouse-Kino wird noch mehr zur „Kunst“ für ein kleineres Publikum – und das ist vielleicht auch eine Chance. Wenn ich schon nicht die Millionen der US-Unterhaltungsindustrie für ein Massenpublikum habe, mache ich etwas Anderes, Radikales, Neues.
Werden Sie wieder Kinofilme drehen oder haben Sie bei den Serien Feuer gefangen?
Ich möchte auf jeden Fall wieder Kino machen, unbedingt. Ich arbeite an mehreren Kinoprojekten, die aber aufgrund meiner Serienarbeit pausieren. Die Kinofinanzierung dauert einfach viel länger. Da ist die Serienarbeit eine gewisse Konkurrenz: Man bekommt ein Angebot, entscheidet sich und in fünf Monaten geht es los. Aber nachdem ich immer Projekte mache, die mich überzeugen, hoffe ich sehr, dass ich nach wie vor Kino und Serien machen kann und sich die beiden nicht ausschließen.
Sind Sie eigentlich eine Befürworterin der Quotenregelung in der Filmförderung?
Ich bin uneingeschränkt für die Quotenregelung. Wir müssen einfach eine Zeitlang darauf hinarbeiten, dass das Verhältnis zwischen Männern und Frauen im Filmbereich ausgewogen wird. Für mich gibt es nur Argumente, die für die Quote sprechen. Ich bin auch davon überzeugt, dass Männer im Zuge dessen nicht benachteiligt werden. Ich habe in verschiedenen Bereichen oft genug erlebt, dass ich als Frau gleich gut qualifiziert war wie ein männlicher Kollege und nicht ausgewählt wurde. Und ich behaupte, durchaus auch, weil ich eine Frau war und vielleicht nicht in ein gewisses System gepasst habe. Es gibt eine gläserne Decke – nicht nur im Filmbereich – und die gilt es zu durchbrechen. Ich persönlich kann auch nicht nachvollziehen, warum sich manche Frauen gegen die Quote aussprechen. Das ist mir unverständlich. Ich sollte vielleicht einmal ein Streitgespräch mit Gegnerinnen der Quotenregelung führen. Vielleicht nach Corona. (lacht)
Film, Serie, Buch
Barbara Albert, geboren 1970 in Wien, zählt zu den profiliertesten Regisseurinnen des österreichischen Gegenwartskinos. Ihr Debütfilm „Nordrand“ (1999) lief auf dem Filmfestival in Venedig. Albert ist Mitbegründerin der Filmproduktionsfirma coop99. Weitere Filme u. a.: „Böse Zellen“ und „Licht“.
„Paradiso“ ist ihre erste Serienarbeit.
Kürzlich erschienen: „Aus der Werkstatt: Barbara Albert“. Hg. von Kerstin Parth und Albert Meisl (Sonderzahl, 2021)
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