Der Salzburger Filmemacher Adrian Goiginger hat sich einen Wunsch erfüllt: „Einmal einen Film im Wiener Dialekt zu machen.“
Mit „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ (ab Freitag im Kino) ist ihm das bestens gelungen. Denn Wienerischer geht’s kaum: Goigingers Anti-Held „Rickerl“ ist ein etwas zerzauster Musiker Mitte dreißig, der im Gemeindebau wohnt und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. An der Wand seiner unaufgeräumten Wohnung hängt ein Poster vom jungen Wolfgang Ambros. Seine Abende verbringt Rickerl in einer Runde alter Tschecheranten im verrauchten Stammbeisl. Sein kleiner Sohn Dominik ist glühender Rapid-Fan. Und Rickerl selbst ist ein Meister des Wienerlieds, der seine Gitarre immer in Reichweite hat .
Rickerl wird genial verkörpert – und zwar von Voodoo Jürgens, jenem Liedermacher, der mit stark autobiografisch gefärbten Songs wie „Tulln“ oder „Heite grob ma Tote aus“ dem Wienerlied eine neue Krone aufgesetzt hat.
Auch als „Rickerl“ liefert er seine gewohnt starken Live-Performances und startet gleich mit seinem Song „Weh au weh“. Leider kullert nach Ende des Liedes ein Totenkopf über den Boden – und Rickerl ist seinen neuen Job als Totengräber auch gleich wieder los.
„Voodoo Jürgens’ Musik hat mich nach Wien geführt“, erzählt Adrian Goiginger dem KURIER – und man spürt seine ehrliche Begeisterung: „Sein erstes Album ,Ansa Woar‘ war für mich die Initialzündung. Ich habe mich gleich in die lyrische Kraft der Liedtexte verliebt.“
Goiginger und Voodoo Jürgens begannen sich im Café Weidinger zu treffen – wo übrigens auch das gemeinsame KURIER–Interview stattfindet – „und Voodoo hat mir viele Geschichten und Anekdoten erzählt.“
Väter und Söhne
„Rickerl“ ist keine Biografie im strengen Sinn, aber doch gespickt mit kleinen persönlichen „Happen“, so Voodoo Jürgens, der mit bürgerlichem Namen David Öllerer heißt: „Das gibt allem eine besondere Wahrhaftigkeit.“
In den gemeinsamen Gesprächen zwischen Goiginger und Voodoo Jürgens über Liedtexte und persönliche Erfahrungen kristallisierten sich zwei Knackpunkte heraus, die für das Drehbuch entscheidend wurden. Erstens: Die Geschichte handelt von den Versuchen Rickerls, seine selbst geschriebenen Songs aufzunehmen, endet aber vor seinem Durchbruch als erfolgreicher Musiker: „Ich fand es wichtig, dass nicht alles auf eine Erfolgsstory hinausläuft“, meint Voodoo Jürgens, dessen Bescheidenheit einen Teil seines großen Charmes ausmacht, mit Bedacht: „Es gibt so viele Leute, die gut sind und trotzdem keinen Erfolg haben.“
Zweitens steht eine Vater-Sohn-Beziehung im Zentrum: Zwischen Rickerl und dem kleinen Dominik, der bei der Mutter lebt; und zwischen Rickerl und seinem eigenen Vater, von dem er immer wieder herunter geputzt wird.
Die Idee zu dem Namen „Rickerl“ stammt übrigens von Voodoo Jürgens selbst: „Rickerl hieß ein Freund meiner Eltern“, sagt er zur Überraschung von Goiginger, der davon nichts wusste, und muss lachen: „Ich verwende in meinen Liedern hauptsächlich Namen von den Freunden meiner Eltern. Das hat für mich immer am besten funktioniert. Aber mit den Leuten selbst hat es nichts zu tun.“
Dialekt
Adrian Goiginger profilierte sich als Filmemacher, dessen Arbeiten stark von ihren regionalen Zusammenhängen geprägt sind. Sein Durchbruchsfilm „Die beste aller Welten“, dann „Märzengrund“ und „Der Fuchs“ – einer der erfolgreichsten österreichischen Filme des Jahres 2023 – spielen in den österreichischen Bundesländern und leben von deren Dialektfärbungen. „Rickerl“ ist Goigingers erster Film mit zutiefst wienerischem Sound: „Ich bin als Konsument des Wiener Dialekts aufgewachsen“, meint der Regisseur, zu dessen Lieblingssendungen als Kind und Jugendlicher „Ein echter Wiener geht nicht unter“ und Elizabeth T. Spiras „Alltagsgeschichten“ zählten. „Wie man hört, bin ich Salzburger und kann keine Wiener Dialoge schreiben. Ich habe sie halb auf salzburgerisch, halb auf niederösterreichisch geschrieben und sie dann von Georg Biron (Schriftsteller und Schauspieler, Anm.), der auch Rickerls Produzenten spielt, ,übersetzen‘ lassen. Beim Dreh durften dann die Schauspieler alles noch einmal in ihren eigenen Worten sagen. Das war sehr lässig und authentisch.“
Auch für Voodoo Jürgens, eigentlich geborener Tullner, war der Dialekt Grundbedingung: „Es hätte mich nicht interessiert, den gesamtdeutschen Sprachraum mitzudenken. Wenn wir den Film auf Hochdeutsch gedreht hätten, wäre das Lokalkolorit verloren gegangen.“ Apropos Lokalkolorit: Durch den Film zieht sich ein leises Gefühl der Nostalgie, manchmal sehnsuchtsvoll, manchmal auch recht komisch – etwa dann, wenn alle immer rauchen, egal, ob sie im Lokal sitzen oder in der Sprechstunde auf dem Arbeitsamt. „Wir zeigen bewusst, dass Rickerl nicht im 21. Jahrhundert ankommen will“, bekräftigt Goiginger: „Unser Film hat den Look der 70er- und 80er-Jahre, weil Rickerl extrem in der Vergangenheit lebt und ihr nachtrauert. Einmal sagt er den schönen Satz: ,Auf die Gegenwart wird g’schissen.‘ Rickerl lebt in diesem Modus: Er besitzt kein Smartphone, hat dafür einen Plattenspieler, eine alte Schreibmaschine und einen Röhrenfernseher. Um das zu bestärken, haben wir dem gesamten Film dieses Flair der Vergangenheit gegeben.“
Voodoo Jürgens selbst verwehrt sich gegen den Begriff der Nostalgie: „Natürlich ist es ein Thema des Films, dass wir Orte zeigen, die im Verschwinden begriffen sind. Aber es hat nicht unbedingt mit Nostalgie zu tun, sondern damit, dass man sie einfach noch einmal festhält, bevor sie ganz weg sind. Rickerl ist ein Typ, für den sich alles in der Vergangenheit abspielt. Dahin zieht er sich zurück. Das ist seine Komfortzone.“
Dazu zählt auch Rickerls Freundeskreis, der aus einer Gruppe trinkfreudiger Menschen besteht, die alle mindestens zwanzig Jahre älter sind als er selbst: „Das war Voodoos Idee“, grinst Goiginger und zeigt auf Voodoo, der sich ein bisschen windet: „Ich kann gar nicht sagen, warum mir das so wichtig war“, räumt er schließlich ein: „Ich weiß nur, dass ich spazieren gegangen bin und mir gedacht habe: Ich würde es extrem gut finden, wenn meine Freunde alle viel älter wären und ich eine Gang von lauter Oldies hab‘.“
Rapid-Fan
Als echter Glücksgriff erwies sich auch das Casting von Ben Winkler, der Rickerls kleinen Sohn Dominik spielt und seinen Vater – der von der Mutter getrennt lebt – nur alle zwei Wochen besucht. Die Beziehung zwischen Voodoo Jürgens und Ben Winkler ist spürbar innig und dabei frei von jeder Süßlichkeit. Der Bub wurde unter 200 Bewerbern ausgesucht, die angehalten waren, ein paar Takte eines Austropop-Songs zu singen. Die meisten Kinder wählten Lieder von Georg Danzer, Rainhard Fendrich oder STS, erzählt der Regisseur: „Aber Ben, der ein glühender Rapidler ist, hat die Rapid-Hymne gesungen.“
Daraufhin schrieb Adrian Goiginger das gesamte Drehbuch um und machte Dominik zum Rapid-Fan, der im Rapid-Trikot auftritt. Auch das passt gut zu Wien.
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