Interview Julie Delpy: "Mutter zu sein, ist zum Kotzen"

Scheinidylle: Dany Boon (li.) verliebt sich in eine hippe Pariserin (Julie Delpy) und muss sich mit deren Sohn plagen (Vincent Lacoste)
Julie Delpy schreibt, führt Regie und spielt in "Lolo" - und würde den Film "Der Rückkehrer" gerne nur mit Frauen sehen.

Was macht eine alleinerziehende Mutter, wenn sich der einzige Sohn als Tyrann entpuppt? Wenn er alles daran setzt, ihren neuen Freund aus dem Haus zu ekeln? Lügt? Betrügt? Ihm Juckpulver in den Kragen schüttet?

Julie Delpy, seit ihrem Auftritt in Richard Linklaters "Before Sunrise" ein Weltname, ist längst nicht mehr nur als Schauspielerin tätig. Die in den USA lebende Französin profilierte sich auch als Autorin und Regisseurin – zuletzt mit ihrer Komödie "Lolo" (Kinostart: Freitag). In "Lolo" verliebt sich Julie Delpy als hippe Pariserin in einen sehr lieben Provinzler – gespielt von Dany Boon ("Willkommen bei den Sch’tis"), doch ihr Teenage-Sohn Lolo will den Eindringling unbedingt vergraulen.

Ein unverblümtes Gespräch mit Julie Delpy über Sex, Kinder und Komödien.

KURIER: Ein böser Sohn will das Glück seiner Mutter zerstören – was hat Sie inspiriert?

Julie Delpy: Die Idee hat mir einfach Spaß gemacht. Ich nenne manchmal meinen (siebenjährigen) Sohn "meinen kleinen Herrscher". Nach einiger Zeit dachte ich, dass das vielleicht nicht so eine gute Idee ist (lacht). Aber im Ernst: Was passiert, wenn man ein Kind groß zieht und alles richtig macht ... doch das Kind erweist sich als Soziopath? Als schreckliche Persönlichkeit? Es ist schwierig genug, sich vom Partner zu trennen – aber vom eigenen Kind?Die Person, die man am meisten liebt? Solche Überlegungen haben mich inspiriert.

"Lolo" hätte auch ein Thriller sein können. Warum Komödie?

Ich finde nichts witziger als Stummfilme, in denen Buster Keaton einen Schlag auf den Schädel bekommt. Er wird verletzt, aber es ist lustig. Es gibt eine Form von Komödie, bei der es Spaß macht, jemanden leiden zu sehen. Außerdem sind Komödien leichter zu verwirklichen.

Inwiefern?

Naja, meine Dramen werden nicht finanziert, meine Komödien schon. Komödien sind für die Geldgeber attraktiver, weil sie immer Geld machen. Aber hinter zehn Dramen, von denen man bei der Oscar-Verleihung hört, stehen 60, von denen man nie gehört hat. Keine meiner Komödien hat je Geld verloren.

Ihre Freundin im Film, gespielt von der großartigen Komikerin Karin Viard, sagt einmal: "Mutter zu sein, ist zum Kotzen".

Ja, ich wollte, dass sie Sachen sagt, die man sich üblicherweise nicht auszusprechen traut. Aber ich persönlich kenne Leute, die sehr wohl so reden und deswegen wollte ich auch so eine Person in meinem Film haben. Karin Viard hat übrigens tatsächlich eine 16-jährige Tochter und dieses Verhältnis hat meinen Film inspiriert. Sie machen sich gerade gegenseitig das Leben zur Hölle (kichert). Irgendwann wird das sicher wieder anders werden, aber zur Zeit herrscht gerade Krieg.

Sie nehmen sich auch in puncto Sex kein Blatt vor dem Mund: Die Freundinnen diskutieren die (oralen) Fähigkeiten ihrer Liebhaber und zeigen sich Penis-Fotos auf dem Handy.

Wenn ich solche Szenen schreibe, denke ich keine Sekunde darüber nach. Es ist für mich lustig und befreiend und keineswegs vulgär. Das halte ich in meinem eigenen Leben auch so. Es geht um meine Freiheit und da gibt es keine Tabus. Männer hätten gerne, dass Frauen über sie (verfällt in romantischem Tonfall) als ihre große Liebe sprechen – als wären wir im 16. Jahrhundert. Aber Frauen reden auch über sehr reale Dinge. "Sein Penis hat mir das Leben gerettet" – wer traut sich schon so etwas sagen? Ich. Ich sage das die ganze Zeit – und ich finde es befreiend.

Warum wollten Sie Dany Boon?

Weil er auf der Leinwand so unglaublich liebenswürdig rüberkommt. Im wirklichen Leben übrigens auch. Wenn er ein zynisches Pariser Arschloch wäre, würde er niemandem leid tun, aber so fühlt man mit ihm. Er hat überhaupt nichts Zynisches an sich – und das findet man nur noch bei wenigen französischen Schauspielern.

Inwiefern hat Sie die Zusammenarbeit mit Richard Linklater geprägt?

Es war interessant, denn Ethan Hawke und ich schrieben schon für "Before Sunrise" viel am Drehbuch mit. Es gab zwar dafür keine "Credits", aber ich konnte Selbstvertrauen als Drehbuchautorin gewinnen. Besonders als junge Frau ist man ja sehr unsicher, ob man das kann. Ich finde überhaupt, man sollte mehr Frauen als Autorinnen einsetzen – dann hätten wir auch interessantere Rollen für Frauen über vierzig. Denken Sie nur an einen Film wie "Der Rückkehrer – The Revenant": In der Antike wäre jemand, der sein totes Kind rächt, eine Frau gewesen. Aber heutzutage sind es immer die Männer. Vielleicht sollte ich "Der Rückkehrer", der übrigens sehr gut ist, nochmals drehen. Nur mit Frauen. Das würde ich gern sehen.

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