Dieter Nuhr gilt als Provokateur - dabei ist er, wie er sagt, "eigentlich ein sehr stiller Mensch". Im Bank Austria Kunstforum zeigt er bis 4. August unter dem Titel "Woanders ist Überall" großformatige Bilder, für die er bearbeitete Fotos auf Leinwand druckt und malerisch verfremdet. Die Brost-Stiftung aus Nuhrs Heimat unterstützt die bei freiem Eintritt zugängliche Schau, die noch nach Florenz, Rom und andere Orte außerhalb Europas gehen soll. Die Kunst begleitet Nuhr seit langer Zeit - politischen Einfluss traut er ihr aber keinen zu.
KURIER: Sie haben Kunst studiert, wollten eigentlich Künstler werden. Was hat den Weg so beeinflusst, dass es anders gekommen ist?
Dieter Nuhr: Eigentlich ökonomische Unfähigkeit. Ich habe meine Kunst sehr gern gemacht, aber wusste nicht, wie ich das zu einem Beruf machen könnte. Der Bühnenteil meines Berufs ist durch Zufall aus einem Hobby entstanden, ich habe immer weiter Kunst gemacht, eigentlich für mich selbst. Bis dann einmal ein Galerist, bei dem ich selbst etwas gekauft hatte, bei mir im Zimmer stand und fragte, von wem die Sachen sind, die da hängen. Das waren meine, er hat sie ausgestellt – und das war dann so eine Art Schneeball. Ich mache jetzt relativ viele Ausstellungen, 6-8 im Jahr, in aller Welt.
Sie touren viel, haben viele TV-Auftritte – wie geht sich das zeitlich und räumlich aus? Ihre Formate passen auch nicht überall hinein.
Ich habe ein Atelier und eine große Halle zum Lagern. Von der Arbeitszeit her ist es so, dass ich das nicht trenne: Ich gehe oft zwischen Texten und Malen hin und her. Daher, dass viel auf digitalem Weg entsteht, kann ich auch viel unterwegs arbeiten – bis auf die Endbearbeitung der Bilder mit Farbe, da brauche ich meine Halle. Es ist eigentlich meine Lebensform – ich reise, bringe was mit, vor allem Distanz zu meiner eigenen Lebenswelt. Ich mache daraus Texte, wenn es um gesellschaftliche oder politische Fragen geht, und Bilder, wenn es um den assoziativen, emotionalen Bereich geht. Ich versuche in meinen Bildern auch den Prozess des Verschwindens in der Erinnerung sichtbar zu machen. Da erscheint das Motiv und verschwindet wieder.
Die aktuelle Schau stellt auch Motive aus dem Ruhrgebiet vor, Ihrer Heimatregion. Zerbröckelnde Industrie-Infrastruktur spielt dabei eine Rolle. Ist das ein Thema, wo sich bei Ihnen ein wenig Sozialkritik einschleicht?
Was man in meinen Bildern sozialkritisch lesen kann, findet eher im Kopf des Betrachters statt. Es gibt industrielle Relikte – aber eigentlich habe ich versucht, die Region mit einer objektiven Distanz zu bereisen, so als wenn ich fremd wäre.
Es gibt dann auch noch ein malerisches Moment.
Die Bilder entstehen im wesentlichen digital ich benutze einen Apple Pencil und programmiere ihn mit Fotodaten. Ich empfinde das als große Erweiterung, dass ich nicht mehr nur den Pinsel in Farbe tauchen muss. Daraus entsteht dann ein malerisches Bild, das versucht, Emotionen auszulösen. Es ist im Prinzip ein konservativer Vorgang und zugleich ein Statement in einer Zeit, in der alle Bilder sich bewegen und man in dieser Hetze und ständigen Erregtheit lebt. Da ist es schon ein subversiver Akt, ein unbewegtes Bild an die Wand zu hängen.
Zur Person
Dieter Nuhr, 1960 geboren, gehört zu den erfolgreichsten Satirikern Deutschlands. Seit 2009 sendet die ARD die Show "Nuhr im Ersten", dazu tourt er beständig (wieder ab September, derzeit keine Termine in Österreich geplant). Er lebt in Ratingen bei Düsseldorf im Ruhrgebiet, unterhält aber auch Wohnsitze in Berlin und auf Ibiza und geht gerne auf ausgedehnte Reisen.
Zur Ausstellung
Die Schau "Woanders ist Überall" ist bei freiem Eintritt bis zum 4. August im Bank Austria Kunstforum, Freyung 8, 1010 Wien, zu sehen. Organisiert wird die Ausstellung von der "Association for Art in Public", hinter der Nuhrs Galerist Dirk Geuer steht. Gefördert wird die Schau von der Brost-Stiftung, die soziale und kulturelle Projekte aus dem Ruhrgebiet fördert. Sie wurde nach dem Willen der 2011 verstorbenen Anneliese Brost, Mitbegründerin und Gesellschafterin der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (WAZ), gegründet.
Ich kann mir schwer vorstellen, wie Sie so schnell von diesem meditaitven, ruhigen Prozess umschalten und sagen können: Okay, jetzt schreib ich mal einen Witz und haue auf die Deutsche Bahn hin.
Es sind zwei Seiten einer gespaltenen Persönlichkeit. Ich bin Teilnehmer an diesem ruhelosen Prozess der ständigen Erregtheit und habe das Bedürfnis, da mitzureden. Gleichzeitig bin ich auch ein sehr stiller Mensch. Ich kann mir die Freiheit nehmen, mein Leben zu halbieren in diesen stillen Teil und diesen aufgeregteren Teil. Wobei ich den Bühnenteil als gar nicht so aufgeregt empfinde. Ich habe eigentlich ein sehr mönchisches Leben, ich sitze sehr viel da und arbeite. Dass es dann oft zu einer so exorbitanten Aufgeregtheit kommt, ist mir dann auch fremd.
In Ihren Programmen nehmen Sie gern gesellschaftliche Normen wie das Gendern aufs Korn. Wäre die Kunstwelt da nicht eine Zielscheibe? Sie ist ein sehr reglementierter Raum.
Die Kunstwelt ist für die meisten Leute gar nicht von Belang. Es ist komisch, dass es so ist – aber ich denke, dass diese Art der „ernsthaften“ Kultur sich in den vergangenen 30 Jahren wahnsinnig aus dem allgemeinen Fokus rausgespielt hat. Vielleicht ist das in Österreich anders – aber in Deutschland ist für die geistige oder politische Haltung im Land für niemanden mehr von Belang, was im Schauspielhaus oder im Museum passiert.
Ist das so? Ob es jetzt um Genderfragen geht oder um Israel/Palästina – diese Debatten werden gerade sehr stark im Feld der Kunstakademien, Biennalen und Festivals ausgetragen.
Umso mehr entfernen sie sich von dem, was normale Menschen denken, die ganz normalen Tätigkeiten nachgehen. In den 80er Jahren, als ich Student war, sprach man drüber, was im Schauspielhaus passiert. Ich glaube, dass das heute viel weniger passiert oder sehr viel blasenmäßiger abläuft als früher. Die Diskussionen über Antisemitismus und über Gendern, die jetzt wieder plötzlich den Fokus auf Kultur, Medien und Universitäten richten, beschreiben diesen Vorgang der Entfremdung.
Aber wenn das so realitätsfern ist, warum nehmen Sie dann in Ihren Programmen darauf Bezug?
Naja, in meinen Programmen geht es ja um Humor. Und es macht auch sehr viel Spaß, sich über Menschen lustig zu machen, die keinen haben. Das ist die einfache Erklärung. Wo Menschen sich selbst für unantastbar erklären, macht es Spaß, ein bisschen nachzubohren.
Und die Kunstwelt ist da kein Thema? Auf der Biennale Venedig kommt man dem Thema Dekolonisierung nicht aus…
Ideologisierung der Kunst wäre ein Riesenthema, das finde ich auch. Aber bei dem, was ich im Fernsehen mache, kann ich nur über das reden, was allgemein in der Diskussion ist. Und ich denke, dass diese Diskussion in der Allgemeinheit überhaupt nicht ankommt. Kein Mensch glaubt, dass die Kolonisation der Welt im 15. Jahrhundert der Urknall der menschlichen Geschichte war. Als die Spanier nach Südamerika gingen, ist unfassbares Unrecht passiert, das ist keine Frage. Aber die Menschen, die da brutal behandelt wurden, lebten in Gesellschaften, wo genau dasselbe vor sich ging. Zu glauben, die Kolonisation sei der Anfangspunkt der Geschichte, und die Indigenen seien die Guten, und dann sinddie Bösen, die Entwickelten gekommen – das ist eine unhistorische Sicht auf die Dinge.
Gibt es so etwas wie ein Ziel, auf das Sie gesellschaftlich gerne hinsteuern würden?
Das habe ich früher gehabt – da habe ich an Fortschritt geglaubt, im Hegelschen Sinn, an ein Fortschreiten zu einer besseren Gesellschaft. Doch bin ich aus dem Alter raus, in dem ich denke, dass es auf ein Endziel einer humaneren Gesellschaft hinausläuft. Ich glaube, dass das Grundprinzip, das Betriebssystem der Menschheit der Konflikt ist - und der Ausgleich. Wir leben manchmal in Zeiten des Ausgleichs, und manchmal bricht der Konflikt aus. Ich würde alles daransetzen, in einer Zeit zu leben, in der der Ausgleich im Mittelpunkt steht. Doch ich fürchte, dass uns das gerade entgleitet.
Wenn Sie jetzt mit Bildern durch die Welt touren – wollen Sie dann auch, dass Ihr politischer Geist mitschwingt?
Nein, ich bin ganz froh, wenn sich das in einem abstrakten Bereich befindet. Das ist übrigens auch das Schöne am Reisen – dass man in der Fremdheit kein Urteil haben muss.
Ist es Ihnen wichtig, als Künstler auch am Markt erfolgreich zu sein?
Der Markt bedeutet Wertschätzung, insofern ist es schön, wenn jemand bereit ist, ein Bild zu kaufen. Ich will mich jetzt auch nicht als jemand darstellen, den Geld nicht interessiert. Meine Kunst finanziert auch meine Lebensform, die sehr aufwendig ist, dadurch, dass das alles auf meinen Reisen basiert. Von Laos nach Kambodscha, von Indien nach Sambia – und dann komme ich mit den ganzen Sachen nach Hause und muss die produzieren. Ich bin froh, dass der kommerzielle Erfolg mir das ermöglicht. Aber ich habe jetzt nicht vor, mir eine Yacht zu kaufen.
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