Alle hassen ihn im Elite-Internat: Die Zöglinge sowieso, aber auch die Kollegen und ganz besonders der Direktor. Als Weihnachten herannaht, muss ein Lehrer im Haus bleiben, um jene Schüler zu betreuen, die in den Ferien nicht nach Hause fahren können. Keiner will diesen Job übernehmen – und natürlich fällt er auf Professor Hunham: Er wird dazu bestimmt, die „Überbleibsel“ zu beaufsichtigen.
So kommt es, dass im verschneiten Neuengland des Jahres 1970 drei einsame Seelen in einer privaten Highschool zusammen Weihnachten verbringen müssen: ein Lehrer, ein Schüler und die Köchin.
Tolles Ensemble
Neben Giamatti spielt Da’Vine Joy Randolph – ebenfalls für einen Oscar nominiert – die resolute, afroamerikanische Küchenchefin Mary Lamb, die um ihren im Vietnamkrieg gefallenen Sohn trauert. Und Newcomer Dominic Sessa brilliert als smarter, aber tiefunglücklicher und aufmüpfiger Schüler namens Angus Tully.
Alexander Payne hat bereits zwei Mal einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch gewonnen: einmal für sein Roadmovie „Sideways“ von 2004 und einmal für sein Drama „The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten“ (2011) mit George Clooney im Hawaii-Hemd. Trotzdem lagerte er die Arbeit aus und ließ das Drehbuch für „The Holdovers“ von TV-Autor und Produzent David Hemingson schreiben. Warum eigentlich?
„Weil der Schreibprozess so mühselig ist“, stöhnt Payne und rauft sich das ergraute Haar: „Dass ich Drehbücher schreiben kann, habe ich mit zwei Oscargewinnen wohl bewiesen. Aber Schreiben ist schrecklich. Und eigentlich bin ich gelernter Regisseur. Insofern interessieren mich Regie und Editing viel mehr.“
Außerdem konnte Hemingson eigene Internatserfahrungen in das Drehbuch einfließen lassen – „und hatte Ideen, auf die ich selbst nie gekommen wäre“.
Aus der Zeit gefallen
Der 62-jährige Payne, geboren in Omaha, Nebraska – einer seiner Filme heißt sogar „Nebraska“ –, war im Jahr 1970 gerade einmal neun Jahre alt. Trotzdem wählte er dieses Jahr aus: Richard Nixon ist Präsident, in Vietnam tobt der Krieg und im Kino spielen sie Arthur Penns Anti-Western „Little Big Man“, einen von Alexander Paynes Lieblingsfilmen: „Der Zeitpunkt des Films schien mir interessant“, sinniert der Regisseur: „Der Vietnamkrieg spielt eine starke, unterschwellige Rolle. Der Tod des Sohnes von Mary Lamb erinnert auch noch einmal daran, wie viele afroamerikanische junge Männer oder Männer aus ärmeren Verhältnissen im Gegensatz zu weißen, wohlhabenderen Burschen gestorben sind. Alle diese Umstände verleihen dem Film eine Dringlichkeit und eine Traurigkeit, die ich gut finde.“
Zudem wirkt „The Holdovers“ angenehm aus der Zeit gefallen. Er fühlt sich nicht an wie ein zeitgenössischer Film, der im Retro-Look gedreht wurde, sondern wie einer, der tatsächlich in den 70er-Jahren entstand: „Das war Absicht“, strahlt Payne, der von selbst behauptet, dass er sich privat nur alte Filme ansieht und kaum neue: „Ich wollte nicht, dass ,The Holdovers‘ aussieht wie ein historischer Film, sondern wie einer, der damals entstand. Ich habe eine Zeitreise angetreten und so getan, als wäre es 1970 und ich drehe einen Film. Das hat Spaß gemacht.“
Spaß macht es ihm auch, seine (meist) männlichen Protagonisten immer wieder als tragisch-komische Figuren zu zeichnen, die von der Welt desillusioniert sind – wie einst Jack Nicholson in „About Schmidt“ (2002).
Auch Paul Giamatti als Paul Hunham ist alles andere als ein glücklicher Wonneproppen. Ohnehin schon sozialer Außenseiter, leidet er unter einer speziellen Krankheit: Wenn er unter Stress gerät, beginnt er nach Fisch zu stinken.
„Und vergessen Sie nicht: Er schielt auf einem Auge und hat Hämorrhoiden“, fügt Alexander Payne vergnügt hinzu: „Aber haben wir nicht alle unsere Probleme? Niemand ist perfekt.“
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