Ina Regen: "Ich fürchte, Putin glaubt, dass er das Richtige macht"
Für Ihr neues Album „Fast wie Radlfahrn“ haben Sie Ihr eigenes Label gegründet haben. Welche Freiheiten haben Sie damit, die Sie bei dem Major-Label nicht hatten?
Das Major-Label hätte sich viel früher und schneller neue Songs von mir gewünscht. Aber ich bin eine Album-Künstlerin und denke gern in größeren Bögen. Der Zugang, dass Musik vordergründig Content sein soll, der irgendwelchen Algorithmen folgt, nebenbei konsumiert werden soll und deshalb auch wieder ein bissl wurscht sein darf, ist nicht mein Anspruch. Und so, wie ich ticke, will ich die Erwartungen von jemandem, der über mir steht, erfüllen. Wenn das ein Labelchef ist, der will, dass ich einen gewissen Erfolg in Zahlen einfahre, reiße ich mir dafür den Allerwertesten auf, verfolge damit aber Ziele, die nicht meine sind.
Finden Sie es nicht traurig, dass Musik heute ein bissl wurscht sein darf?
Mir kommt das ein bisschen so vor wie in der Politik und mit Wahlumfragen: Eigentlich wünscht man sich von Politikern und Politikerinnen, dass sie langfristig einen positiven Weg für die Gesellschaft erkämpfen. Aber wenn dann nach drei Monaten bei einer Wahlumfrage das Gefühlsbarometer in der Bevölkerung nicht stimmt, reden wir von Neuwahlen. Dieser Mechanismus wirkt auch in der Musikindustrie. Davon wollte ich mich befreien und meine Leichtigkeit und meinen Spieltrieb ausleben.
Spricht der Song „Wann i groß bin“ diesen Spieltrieb an?
Ja, aber das kommt in Facetten in sehr vielen Songs auf diesem Album vor. Auch in „A Weg zu mir“, wo ich sage, ich habe mich ein bisschen verloren, aber ich finde mich schon wieder. „Wann i groß bin“ ist die Erkenntnis, dass ich wahrscheinlich nie erwachsen sein werde. Nicht in dem Sinn, wie ich als Kind meine Eltern gesehen habe: Sie haben Haus und Kinder, Bäume im Garten und alles im Griff. Als Kind dachte ich, dass Erwachsene sich immer leiwand mit sich selbst und der Welt, in der sie leben, fühlen. Diese Illusion habe ich aber jetzt begraben, weil mich das Leben mit 38 Jahren immer noch manchmal hoffnungslos überfordert. Aber das ist schon okay und auch lustig.
Sie sagen, Sie haben Ihr Label aus feministischen Gründen „Nannerl“ genannt . . .
Nannerl, war die Schwester von Mozart und so talentiert wie er. Als Kind ist mit ihm durch die europäischen Adelshäuser getourt und sie wurden beide gefeiert. Aber als sie 14 und im heiratsfähigen Alter war, schickte sich dieses Leben nicht mehr. Nur, weil sie eine Frau war, musste sie diese Karriere begraben, und sie hat sich dem auch gebeugt. Man weiß leider sehr wenig über sie. Es gibt kaum Biografien. Deshalb soll der Labelname auf alle Frauen hinweisen, die wegen ihres Geschlechts von der Geschichte verschluckt wurden.
Es gibt nach wie vor sehr viel Alltagssexismus in der Musik-Szene, Musikerinnen oder Produzentinnen werden nicht ernst genommen. Wie wollen Sie da mit dem Label gegensteuern?
Allgemein ist mein Rezept gegen diesen Alltagssexismus, vorzuleben, wie es anders geht. Alleine ein Label zu gründen, ist schon emanzipatorisch, weil ich mir eben nicht vorschreiben lassen will, wie hoch ich zu springen habe, sondern das für mich selbst determinieren will. Ich spreche diese Dinge immer wieder in Interviews an und lade damit Leute, die vielleicht ein anderes Bild von Feministinnen im Kopf haben, ein, darüber nachzudenken. Mein Rezept ist, möglichst offen zu sein mit meinem Frausein - in einer Industrie, die zutiefst männlich ist und patriarchale Strukturen hat, die verhindern, dass es Frauen gleichberechtigt schaffen können und in dieser Szene gleich wahrgenommen werden. Meine Verantwortung als Künstlerin - und ich bin eben nicht nur Sängerin und Entertainment-Hasi - ist, meine Gedankenprozesse, Erfahrungen und meine Erlebniswelt zur Verfügung zu stellen, dass andere sehen können, da hat sie einen Punkt.
Wollen Sie später auch andere Künstlerinnen auf Ihr Label holen?
Es gibt den Gedanken, das langfristig so aufzustellen, dass es ein Frauenlabel ist. Aber solange ich es mir nicht leisten kann, Mitarbeiterinnen anzustellen, die mir da etwas abnehmen, damit ich mich nur um das Künstlerische kümmern kann, bleibt es beim Willen. Aber ich arbeite sonst nur mit Frauen - mit einer Fotografin, mit einer Tourmanagerin und einer Stylistin. Nur beim Thema Produzentin bin ich gescheitert.
Weil es so wenige gibt?
Ich habe ein Zahl von 12 Prozent im Kopf. Nur 12 Prozent aller Produzenten sind Frauen, das ist wirklich sehr wenig. Und natürlich kenne ich Paenda und Sophie Lindinger, aber beide sind in einem anderen musikalischen Spektrum unterwegs. Und für das, was ich mache, diese Schnittmenge zwischen Liedermachertum und Pop, ist mir ehrlicherweise keine Produzentin eingefallen.
Woran liegt das? Trauen sich Frauen diesen Job weniger zu, weil sie wissen, dass es so viele Vorurteile gibt?
Ich glaube, es liegt unter anderem daran, dass wir so eine unterschiedliche Wahrnehmung von Eigenschaften haben. Wenn ein Mann ehrgeizig und ambitioniert ist, ist er eben ehrgeizig und ambitioniert. Wenn eine Frau das gleiche Maß an Ambitionen an den Tag legt, ist sie pushy, oder sie will so viel und gilt als anstrengend. Wir leben in einer gesellschaftlichen Struktur, die Frauen immer bremst. Oder Frauen lassen sich leichter bremsen - darauf habe ich noch keine Antwort gefunden. Aber das beginnt schon im Teenager-Alter. Da gehen die Buben gar nicht sanft miteinander um, haben einen Spruch und einen Schmäh drauf, der oft richtig weh tut. Aber die härten sich so gegeneinander ab. Teenager-Mädels schrecken davor zurück und sagen, nein, das Spiel spiele ich nicht mit.
Was ja auch ein schöner Zug ist, wenn man nicht jemand anderen niedermacht, um sich selbst zu erhöhen.
Absolut und deshalb habe ich den Song „Granit“ geschrieben. Der sagt, ich will nicht stark sein. Ich habe dieser Welt zugeschaut und weiß, wie man hart sein könnte, dass man in dieser Welt erfolgreich sein könnte. Aber so will ich nicht sein. Wir als Gesellschaft könnten da schon einen Unterschied machen, indem wir aufhören, den Starken und den Harten zu applaudieren, wodurch die Männer, die das leben, die erfolgreichsten sind und unsere Länder regieren. Wir müssen aufhören, denn Männern zu erzählen, dass Gefühle Schwäche sind, und die Frauen darin bestärken, dass sie ihren Gefühlen vertrauen dürfen und sich nicht bremsen lassen, wenn von außen ein blöder Schmäh kommt.
Ich dachte eigentlich, dass „Granit“ direkt auf Putin abzielt, weil das Lied mit der Szenerie des Ukraine-Benefizkonzertes am Heldenplatz beginnt, wo Sie aufgetreten sind.
Putin ist natürlich die Spitze von all dem. Ich habe das Lied gleich in der Woche nach dem Benefizkonzert geschrieben und natürlich war ich von dem Ukraine-Konzert in vielerlei Hinsicht beeindruckt. Der Heldenplatz ist so ein ambivalenter Ort. Wir nennen ihn Heldenplatz, aber gleichzeitig wissen wir, dass Hitler dort eine seiner ärgsten Reden gehalten hat. Aber es gibt dort auch das Lichtermeer und Solidaritätskundgebungen - wir leben dort den Versuch, eine bessere Menschheit sein zu wollen. Wir haben in den letzten Jahren in Großbritannien gesehen, wie Monumente in die Themse gestürzt werden. Wir haben „Black Lives Matter“ erlebt und bemerken, dass sich die westliche Welt mit der Verantwortung des Kolonialismus auseinandersetzten muss. Granit ist die Einladung: Feiert, dass ihr weich seid, nicht, dass ihr stark seid.
Das Lied „Unwahrscheinlichkeit“ feiert das Wunder des Lebens, richtig?
Dahinter steckt die Idee, was wäre denn, wenn es Aliens gibt, die sich die Welt anschauen. Aber auch der Gedanke, wie unwahrscheinlich es eigentlich ist, dass es uns gibt, dass sich vom Urknall an alles so entwickelt hat. Dass aus zwei winzigen Zellen, Menschen werden, die denken können, Musik machen können und gesund sind. Das ist doch ein Riesenwunder. Und mit dem sollte man sorgfältiger umgehen, als manche Menschen es tun.
Was glauben Sie, würden die Aliens denken? Würden sie uns auslachen? Oder denken sie, die Menschen sind komplett verrückt, mit dem, was sie mit ihrer Erde machen?
Ich würde mir wünschen, dass sie wahnsinnig viel Empathie mit uns haben. Dass sie auf uns schauen und trotz allem sehen, dass wir uns bemühen, gute Menschen zu sein. Wir bemühen uns, es richtig zu machen und scheitern kläglich daran. Dass ist das, was mich großherzig sein lässt. Ich denke, keiner will absichtlich ein schlechter Mensch sein, und trotzdem passiert es jedem von uns. Und manchen, wie dem Putin, konstant.
Sie glauben, auch Putin will ein guter Mensch sein und nicht nur seine Macht erhalten und erweitern?
Ich fürchte, dass sogar Putin glaubt, dass er das Richtige und für seine Leute etwas Gutes macht. Und es gibt halt andere Leute, die sein Gutes so sehr bedrohen, dass er sie auslöschen will. Hitler hat für sich selbst auch gedacht, er ist der Menschenretter, der Retter der Welt - halt nur für die arische Rasse, und alle anderen wollte er auslöschen. Er hat geglaubt, dass es der Welt dann besser geht. Das soll nichts von dem rechtfertigen, aber ich fürchte, dass solche Menschen auch denken, dass sie das Richtige machen.
INA REGEN AUF TOUR:
27. 3. Wien/Metropol (mit Charlie Winston)
21. 4. Telfs/Rathaussaal
22. 4. Dornbirn/Conrad Sohm
4. 5. Graz/Orpheum
5. 5. Klagenfurt/Konzerthaus
25. 5. St. Pölten/VAZ
26. 5. Großwarasdorf/KUGA
30. 5. Linz/Landestheater
31. 5. Kapfenberg/Stadthalle
16. 6. Lienz /Schloss Bruck
1. 7. Bad Ischl /Open Air
26. 7. Latschach/Burgarena Finkenstein
29. 7. Wien/Rathaus
5. 8. Klam/Burg Clam
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