Das Krimi-Drama, der Gangster-Thriller oder das Mafia-Epos befindet sich üblicherweise stark in männlicher Hand; Frauen und Freundinnen von Mobstern haben darin meist wenig zu melden. Zwar richtet sich manchmal die Aufmerksamkeit auf die Frau des Verbrechers: Doch Jean ist keine coole Gangsterbraut wie Gena Rowlands oder Sharon Stone in „Gloria“. Sie kann auch keinen Raubüberfall planen, wie zuletzt die Mafia-Witwen in Steve McQueens „Widows – Tödliche Witwen“.
Tatsächlich kann Jean kaum Autofahren, geschweige denn eine Waffe feuern.
Regisseurin Julia Hart erzählt ihren stimmungsschwankenden Thriller „I’m Your Woman“ (abrufbar auf Amazon Prime) aus der Sicht der Hausfrau. Die Hauptrolle hat Rachel Brosnahan übernommen, die als „The Marvelous Mrs. Maisel“ bereits Übung darin hat, sich als Hausfrau aus den 50er-Jahren zur Stand-up-Comedienne zu emanzipieren. Aber während sich ihre Midge Maisel mit hohem Sprechtempo und hektischem Wortwitz in der Männerwelt behauptet, bleibt sie als Jean eher passiv, wortkarg und zurückhaltend.
Allein gelassen mit Baby Harry, das viel plärrt und ihr wenig Schlaf gönnt, hängt Jean in ihrem Versteck herum und fragt sich, was aus ihrem Mann geworden ist.
Nach und nach dämmert ihr, dass sie in ihrem eigenen Leben nie mehr als eine Statistenrolle gespielt hat. Dann beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen, und sie muss das Versteck wechseln.
Julia Hart hat ihre zerbrechliche Geschichte an den Anfang der 70er Jahre gelegt, in cremige-schöne Nostalgie-Farben getaucht und mit Aretha-Franklin-Songs unterlegt. Doch während in zeitgenössischen Gangster-Thrillern – angefangen mit „Der Pate“ – die Story von (kriminellen) Ereignissen vorangetrieben wird, stellen sich in „I’m Your Woman“ gewisse „Leerläufe“ ein, in denen vordergründig „nichts“ passiert, sondern „nur“ ein Baby weint, eine Frau mit dem Kinderwagen herumfährt oder im Waschsalon in Tränen ausbricht und von einer anderen Kundin getröstet werden muss.
Die weniger spannenden Details von Mutterschaft wie Wäsche waschen, kochen oder einfach nur mit dem Kind herumsitzen flicht Julia Hart ebenso umstandslos ins Geschehen ein, wie erste Übungen mit der Schusswaffe oder Autoverfolgungsjagden. Zudem sensibilisiert sie den Blick für Alltagsrassismen: Als Jean mit ihrem Fluchthelfer Cal unterwegs ist, wird sie sofort von einem Polizisten gefragt, ob sie belästigt wird. „Nein“, sagt Jean, „er ist mein Mann.“
Das ist eine Lüge – und der erste Schritt in eine neue Selbstständigkeit.
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