„Hotel weißes Rössl“ allein reicht nicht mehr, um die Massentouristen von heute anzulocken: Der Zahlkellner Leopold hämmert über den legendären Namen des Hotels am Wolfgangsee ein „Romantic“-Zusatzschild, schief, das gehört heute so. Schließlich will auch das Paprikahendl von gestern an die auf der Seerundfahrt kurz vorbeischauende Massenkundschaft gebracht werden, bevor's zu stinken anfängt.
Und selbst den „Kaiser“ gibt es auch im Salzkammergut nur mehr unter Anführungszeichen: Regisseur Jan Philipp Gloger hat in der Volksoper Ralph Benatzkys hierzulande durchverklärte Operette als flottes, großteils ganz geradeaus operettig-witziges und auch liebevoll stichelndes Spiel über Erwartungshaltungen, Fassaden und den Irrsinn des Tourismus' auf die Bühne gebracht. Und dafür beim Premierenpublikum ungeteilte Zustimmung erhalten.
In der Salzkammergutidyllenkulisse - es gibt die auf vielerlei Arten aufklappbare Hotelfassade und einen Wegweiser zum Schafberg - fehlt eigentlich nur noch ein guter Augenarzt: Denn das „Weiße Rössl“ wird mit so viel Augenzwinkern auf die Bühne gebracht, dass man sich Sorgen um diverse Lidmuskelermüdungserscheinungen machen darf.
Kein Heimatfilm
Die Hitoperette („Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“, „Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“ etc.) mit über eine heitere Nacherzählung hinausgehenden Ambitionen zu inszenieren, ist natürlich ein heikles Unterfangen: Der Stoff ist hierzulande fix bei Peter Alexander und Waltraut Haas im Heimatfilmgenre eingemeißelt und dort so schwer herauslösbar wie der deutsche Fabrikant Giesecke aus seinem Balkonzimmer.
Manche Gipfelsiege der Inszenierung klingen dann auch der Papierform nach wie das, was Operetten- und Nachkriegsmusikfilmfans, „früher war alles besser“ murmelnd, hilfesuchend zur Peter-Alexander-DVD greifen lässt: Der Sigismund (sehr unterhaltsam: Oliver Liebl) ist nicht nur schön, sondern auch ein Instagram-Influencer auf Koks.
Der „Kuhstall“, in dem sich Ottilie (Nadja Mchantaf) und Dr. Siedler (David Kerber) zum ersten Rendezvous treffen, einer jener furchtbaren Apres-Ski-Clubs, in denen hochilluminiert Karaoke gesungen wird.
Gegen Ende gibt es eine Vorlesung aus Hans Magnus Enzenbergers kritischer Tourismus-Analyse. Und die Wirtin Josepha und der „Kaiser“ unter Anführungszeichen üben sich in einem ausführlichen Dialog darin, Rollenfassaden zu zerhauen.
Aber die große Leistung des Abends ist, dass das insgesamt funktioniert - und zwar zum allergrößten Teil nicht als Trockenlegung der eingeübten Wolfgangsee-Emotionen, sondern als deren Übersetzung ins heutige Gemüt. Denn die Essenz der Operette an sich ist ja eine Art generelle Albernheit, die aber immer schon alles andere als zahnlos war (zumindest außerhalb des Wirtschaftswunder-Heimatfilms). Gloger nun findet zu einer formgerechten, freundlichen, heutigen Überdrehtheit, die auf schlüssige Art allerlei Dinge aufs Korn nimmt, die das auch verdienen. Und nimmt die Operette dabei auch als das ernst, was sie ist: als Unterhaltung.
Eine Komödie der Tonfälle
Das Liebeskarussell im Boutique-Hotel ist hier vor allem eine Komödie der Tonfälle: Jakob Semotan als Leopold glänzt mit viel Stimmschmelz und fleißiger Komödienhaftigkeit. Annette Dasch als Josepha wechselt behände zwischen urösterreichischem Kampfdialekt für die Gäste und bundesdeutschem Idiom, zwischen Mut zum herrlichen Operettenklamauk und klarem Operntonfall.
Der umfangreich aus dem Fernsehen bekannte Götz Schubert berlinert als Fabrikant Giesecke ohne Gnade, dafür mit viel Selbstironie. Harald Schmidt als sparsamer Tourist, der seine Tochter Klara (auf unterspielte Art sehr witzig: Julia Edtmeier) und ein Balkonkraftwerk mitbringt, um sich die Stromgebühr zu sparen, schwäbelt frei von der Leber weg. Und „Kaiser“ Robert Palfrader tut das, womit er schon seit vielen Jahren herrlich unterhält: Er mahnt die Massentouristen, auch einmal ein bisserl brav zu sein.
Alles ist ernst, aber nichts ganz: Man macht die typischen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Pointen über Zigeunerschnitzel und Mohr im Hemd - für den Lacher, aber auch, um im Vorbeigehen rasch den Humorgehalt derartiger Witze zu hinterfragen. Man darf sowohl über Sigismunds kreisrunden Haarausfall lachen als auch, gerührt, beim ersten Kuss zwischen Josepha und Leopold szenenapplaudieren. Deutsche (offen unsympatisch) und Österreicher (hinterfotzig unsympathisch) begeben sich in den Nationen-Infight - und stehen beide blöd da. Alle werden im „Weißen Rössl“ über den Tisch gezogen, aber die schief abrechnenden Hotelangestellten sind selbst Opfer einer brutalen Branche: Einmal gibt es vor dem Hotel gefakte Trachtenidylle als Selfievorlage, während im ersten Stock das Personal schuftet.
Das Ganze kulminiert dann darin, dass hinter der Fassade des „Weißen Rössls“ nichts mehr ist außer Schwarz - und sich am Schluss dann doch alle Pärchen gefunden haben. Man hätte sich wohl mehr Operettenverve aus dem Graben gewünscht (am Pult: Michael Brandstätter), aber ein Kurzurlaub in diesem „Weißen Rössl“ lohnt sich, am besten wohl in der Nebensaison, wenn die ganzen Massentouristen nicht da sind.
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