"Das war ein ungeheurer Schritt"
Deutschland in den Fünfzigerjahren, das war das Land des Wirtschaftswunders, des Wiederaufbaus und der Lebenslust. Das Thema Nazi-Verbrechen war nach den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes tabu. In dieses Umfeld stach ein Frankfurter Staatsanwalt mit dem Plan, die Verbrechen von Auschwitz auch vor deutschen Gerichten zu ahnden. Der Film "Im Labyrinth des Schweigens" (Kinostart: 19. 2.) thematisiert diese schwierige Aufarbeitung. Der KURIER sprach mit Regisseur Giulio Ricciarelli.
KURIER: Was uns heute undenkbar erscheint, ist die Behauptung, die Deutschen hätten in den Fünfzigerjahren mit dem Begriff Auschwitz nichts anzufangen gewusst. Stimmt das wirklich?
Ihr Film ist wie ein Mahnmal gegen das Verdrängen und Verschweigen. Ein interessanter juristischer Aspekt eines Themas, das in allen Facetten beleuchtet schien. Wie sind Sie auf diese Prozesse gegen die Täter von Auschwitz gekommen?
Ich konnte es selber gar nicht glauben, dass ich zum Thema Nationalsozialismus noch etwas beitragen kann. Aber ich habe gemerkt, dass da von 1945 bis 1968 ein ganz komischer blinder Fleck in der deutschen Geschichte ist. Bevor ich mich mit dem Stoff beschäftigt hatte, hätte ich gesagt: Unmittelbar nach Kriegsende hat Deutschland sofort damit angefangen, sich vorbildhaft um die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen zu kümmern. Die Wahrheit ist aber: Nach Kriegsende hat Deutschland erst einmal zwanzig Jahre lang verzweifelt versucht, alles zu verdrängen und unter den Teppich zu kehren. Ich wusste kaum etwas über den Auschwitz-Prozess, um den es im Film geht. Das war ein ungeheurer Schritt in einer Demokratie, den es bis dato nicht gegeben hatte: Ein Land sitzt über sich selbst Gericht. Die Nürnberger Prozesse hatten ja vor einem US-Militärgericht stattgefunden.
Die zentrale Figur ist ein junger Staatsanwalt, Johann Radmann (Alexander Fehling). Er konnte die Täter von Auschwitz, die es sich in wichtigen Funktionen gemütlich gemacht hatten, nur mit Rückendeckung des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer vor Gericht bringen. Wieso haben Sie Bauer (grandios mit Gert Voss besetzt) nicht zum Mittelpunkt des Films gemacht?
Die große Leistung von Bauer war, diese Auschwitz-Prozesse zu initiieren. Die tatsächlichen Ermittlungen haben dann ja die Staatsanwälte geführt. Hätte ich ihn ins Zentrum gestellt, so hätte ich ihn nicht so frei sprechen lassen können, ohne dass es unangenehm und salbungsvoll klingt. Er sollte der kluge Mentor und Sparringpartner der jungen Staatsanwälte sein – da kommt er in keinen kleinkarierten Konflikt und kann ganz anders reden.
Haben Sie den Film für junge Menschen gemacht, damit die aus der Geschichte lernen?
Nicht wirklich. Ich wollte vor allem einen emotionalen Film machen, der Wirkung auf viele Menschen quer durch alle Altersschichten hat. Das ist mir, wenn ich mir die Reaktionen der Leute bei unserer Kino-Tour durch Deutschland ansehe, auch gelungen. Kino ist ja eine emotionale Reise. Eine Frau hat mir zum Beispiel von ihrer Großmutter erzählt, die Auschwitz überlebt hat. Sie konnte jahrzehntelang nicht darüber reden, nicht mit den eigenen Kindern. Erst jetzt, wo sie ganz alt ist, fängt sie an, ihren Enkeln darüber zu erzählen. Das sind sehr bewegende Geschichten, die zeigen, dass da noch immer nicht alles aufgearbeitet ist.
Die bundesdeutsche Aufarbeitung der NS-Verbrechen begann mit den sechs Frankfurter Auschwitz-Prozessen von 1963 bis in die Siebzigerjahre, um die es in "Im Labyrinth des Schweigens" geht. 360 Zeugen wurden vernommen, sechs Angeklagte erhielten lebenslang. Ein wichtiges Beweismittel waren die Aufzeichnungen des Lagerkommandanten Rudolf Höß, die dieser in polnischer Untersuchungshaft geschrieben hatte. Fritz Bauer, der als treibende Kraft der Prozesse galt, starb am 1. Juli 1968 in Frankfurt.
Kommentare