"Idomeneo:" Wenn der Krieg uns alle angeht

Richard Croft als Idomeneo im Theater an der Wien.
Mozarts Oper "Idomeneo" überzeugt szenisch und musikalisch im Theater an der Wien.

Wolfgang Amadeus Mozarts „Idomeneo“ im Theater an der Wien ist – um gleich mit einem Resümee zu beginnen – ein Ereignis. Und das in vielerlei Hinsicht. Eine konsequente, stringente und in sich stimmige Inszenierung sowie eine musikalische Seite, die kaum Wünsche offen lässt.

Aber der Reihe nach: Regisseur Damiano Michieletto hat sich zu dem 1781 uraufgeführten Werk sehr viel einfallen lassen. Geht es bei Mozart und seinem Librettisten Giambattista Varesco um König Idomeneo, der nach dem Trojanischen Krieg als Sieger in seine Heimat Kreta heimkehrt und von den Göttern gezwungen wird, seinen Sohn Idamante zu opfern – so geht es in Michielettos Adaption vor allem um seelisch kaputte Menschen.

Keine Götter, kein Orakel, keine Mythologie – Michieletto verortet die Handlung im Heute. Idomeneo ist ein alter Herrscher, traumatisiert von den Ereignissen. Immer wieder wird er (der Sieger) von blutüberströmten Erscheinungen gequält. Auf der Bühne (Paolo Fantin) liegen noch die Schuhe der Getöteten im (Erd-)Dreck.

Szenenfotos

"Idomeneo:" Wenn der Krieg uns alle angeht

Idomeneo
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Vater-Sohn-Konflikt

Idamante wiederum muss sich – das wird schon in der tollen Video-Sequenz zur Ouvertüre deutlich – von seinem Vater emanzipieren, muss erwachsen werden. Ein Vater-Sohn-Konflikt also, den die Regie psychologisch feinsinnig herausarbeitet, bei dem aber auch zwei Frauen wichtige Rollen spielen.

Ilia, eine Kriegsgefangene, eine Trümmerfrau (Kostüme: Carla Teti), hat sich von Idamante längst schwängern lassen. Sie kämpft für ihre Liebe und den noch ungeborenen Sohn, der später die Macht übernehmen soll. Ihre Gegnerin ist Elettra: Bei Michieletto eine gefühllose Shopping-Queen am Rande der Hysterie, die den Dreck nicht sehen will, die am Ende aber im Schlamm erbärmlich zugrunde geht. Denn die Liebe siegt, der Kreislauf des Lebens, das ewige Prinzip des Stirb-und-Werde lässt sich eben nicht aufhalten.

Diese ganz aus der Musik heraus entwickelte Familienaufstellung funktioniert szenisch hervorragend; exzellent sind die Charaktere und ihre deren Befindlichkeiten gezeichnet. Selbst eine Prise (bitterböser, ganz selten plakativer) Humor darf da nicht fehlen. So als wollte die Regie sagen: Hallo! Diese Oper geht uns alle an! Gelungen!

Seelenzustände

Und Gleiches gilt weitgehend auch für die musikalische Seite. So steht mit René Jacobs ein Dirigent am Pult des sehr guten Freiburger Barockorchesters, der in Sachen Phrasierung, Timing und Dynamik zu großartigen Lösungen findet. Jacobs und die Freiburger wählen oft bewusst langsame Tempi, loten Seelenzustände und humane Regungen behutsam aus, um gleich danach auf höchste Dramatik zu setzen. Ein Umstand, von dem auch der tadellose Arnold Schoenberg Chor profitiert.

Auch die Sänger fühlen sich in dieser szenisch-musikalischen Einheit merklich wohl. Allen voran Marlis Petersen als Elettra. Wie die deutsche Sopranistin diese Frau spielt und singt, ist sensationell. Grandios gestaltet sie ihre (so anspruchsvollen) Arien; ihre finale Wahnsinns-Szene bleibt im Gedächtnis. Das gilt aber auch für die Wiener Entdeckung dieser Produktion, für die französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez in der Hosenrolle des Idamante. Eine schöne, klare, reine Stimme gepaart mit Ausdruck und Gestaltungskraft – Mozart vom Feinsten.

Als Ilia überzeugt die Sopranistin Sophie Karthäuser als auch vokal sanft liebende Trümmerfrau. Karthäusers nicht allzu große Stimme ist an der Wien gut aufgehoben. In kleineren Rollen empfehlen sich die Tenöre Julien Behr (Arbace) und Mirko Guadagnini (Hohepriester) für weitere Aufgaben. Und Idomeneo? Tenor Richard Croft hat sich noch einmal eine große Partie virtuos angeeignet. Der Amerikaner agiert glaubhaft, ja eindringlich – ein vokales Feuerwerk darf man nicht erwarten. Egal, dieser „Idomeneo“ kann sehr viel.

KURIER-Wertung:

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