"Idomeneo" in Salzburg: Nur noch kurz die Welt retten
Klimawandel – das ist es! Worum sollte es sonst gehen in Wolfgang Amadeus Mozarts „Dramma per musica“.
- Vater-Sohn-Konflikt? Zu banal.
- Bigotterie? Zu abgehoben, zu mystisch.
- Egoismen? Opferbereitschaft? Zu profan.
- Liebe? Wen soll das heute schon interessieren?
Also Klimawandel – das ist die Königsidee.
Neptun schickt den Menschen böse Stürme, kippt den ganzen Plastikmüll, den die Götter bei ihren Drive-in-parties im Himmel so anhäufen, ins Meer. Und die Erde darf sich nur weiterdrehen, wenn Idomeneo seinen Sohn Idamante opfert (hatte er dummerweise mal versprochen, als er selbst gerettet wurde). Dass Neptun es eh nicht ganz so ernst meint und die Klimakrise abbläst, sobald der Regierende zurücktritt und Idamante und Ilia einander wirklich lieben, verrät der Hinterhältige leider nicht. Schade, sonst hätte man sich die ganze Aufregung sparen können.
Mögliche Analyse daraus: Österreich ist gut aus dem Schneider. Die Regierung hat es bereits weggeblasen, und tatsächlich schickte der Himmel seine Donnergrüße in die Felsenreitschule, wo Peter Sellars die Eröffnungspremiere der Salzburger Festspiele 2019 inszenierte. Angeblich „Idomeneo“, ganz genau weiß man das nicht, auch aus musikalischen Gründen.
Sellars ist ein fantastischer Regisseur, auch voller Fantasmen. Er ist ein wunderbarer Künstler, auch im Glauben an Wunder. Und er ist ein Mann, der Großes für die Bühne geleistet hat, auch in Salzburg, etwa zu Beginn der Intendanz von Gérard Mortier, Anfang der 1990er Jahre. Vor allem hat er sich seine erfrischende Kindlichkeit bewahrt. Nur mal kurz die Welt retten!
Freilich weiß er selbst am besten, dass das nicht geht. Vor allem aber erkennt der geneigte Opernbesucher wieder einmal, dass solche aktuellen Themen auf einer Bühne in dieser Konkretheit nicht funktionieren. Man will ja auch keine Trump-Geschichte sehen, wenn höchstens als Gleichnis. Keine Zusammenlegung der Sozialversicherungen. Und kein Ibiza.
Tanz deinen Namen!
Oper ist Überhöhung, ist Metaebene, Analyse, die Metaphorisierung des nicht Sagbaren. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man eine Oper machen – so oder so ähnlich. Dieser „Idomeneo“ jedoch verkleinert szenisch das große Thema Klimakrise, eines der drängendsten unserer Zeit, indem er es als reine Ausstattung nimmt, ohne analytische Unterfütterung und auf Sesselkreis-Qualität herunterbricht. Tanz deinen Namen oder eine Klimakrise.
Man sieht einander umarmende Choristen (in schrecklichen Pyjama-Kostümen), man sieht händeringendes Bewegungstheater aus der Eiszeit der Oper. Und am Ende, bei der mit den unzähligen Wiederholungen viel zu langen Ballettmusik, treten zwei polynesische Tänzer auf, vollführen Bewegungen, von denen garantiert jede einzelne viel Sinn macht – und retten damit das Universum. Uff, nochmal Glück gehabt. Es werde Licht im Saal, viele Besucher sind da leider schon ausgestiegen und lesen lieber im Programmheft.
Nun ist Zynismus natürlich völlig unangebracht – aber kein Mensch hat verstanden, was da Zauberhaftes passiert. Immerhin hat man Flüchtlinge, ein paar zeitgemäße Kleider, ein paar Plastik-Viecher, also handelt es sich wohl um eine Regie mit Aktualitätsanspruch.
Die Bühne von George Tsypin setzt – wie schon bei Mozarts „La clemenza di Tito“ – auf aus dem Boden fahrende Rohre mit Lichtern und trägt nicht viel zum Weltbesserungstheater bei. Zweimal innerhalb von drei Saisonen hat nun dieses Leading Team die Festspiele eröffnet. Eine weitere so prominente Therapiestunde bräuchte man nicht. „My shrink is here“, freute ein amerikanischer Besucher übrigens beim Betreten des Theaters. Wen er wohl gemeint hat mit seinem Psychiater?
Fabelhaft klingt jedenfalls, was unter der Leitung von Teodor Currentzis vom Freiburger Barockorchester aus dem Graben zu hören ist. Die Farbenpracht ist beeindruckend, die Flexibilität enorm, die Gestaltung eine Freude, die dynamische Balance ideal, die Differenzierung bis hin zu ewig langen Generalpausen gewaltig.
Eine Oper reicht nicht
Aber hätte man all das nicht auch mit einer stinknormalen Realisierung von Mozarts „Idomeneo“ erreichen können? In dieser Fassung wurde vieles gestrichen, das Ballett extrem ausgereizt – und sogar ein Stück (aus „Thamos, König in Ägypten“, immerhin von Mozart) eingefügt. Es hat nichts mit biederem Purismus zu tun, das zumindest zu hinterfragen.
Bei den Sängern ist Ying Fang als Ilia mit ihrem zarten, schön geführten Sopran herausragend, auch die wesentlich dramatischere Nicole Chevalier als Elettra besticht. Paula Murrihy, in der Hosen-, nein Pyjamarolle des Idamante, hat ebenso sängerisch berührende Momente wie Jonathan Lemalu als Nettuno und Issachah Savaga als Gran Sacerdote. Russell Thomas wirft sich mit größtem Engagement in die Rolle des Idomeneo, ist aber nicht immer ganz präzise, Levy Sekgapane wird eine Rolle wie den Arbace wohl bald ausfüllen. Exemplarisch gut singen die Choristen aus Perm, die Choreografie von Lemi Ponifasio bleibt rätselhaft.
Ganz schön viel CO2-Ausstoß jedenfalls für dieses Ergebnis.
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