"Ich halte mich am Fremdsein fest"

"Ich halte mich am Fremdsein fest"
Peter Turrini über seinen 70. Geburtstag, die Erhabenheit des Lächerlichen und das Burgtheater.

Am 26. September wird der große Dramatiker, Moralist und geniale Störenfried Peter Turrini 70 Jahre alt. Ein per Mail geführtes Interview mit einem "milden Wilden".

KURIER: Sie verzeihen mir die banale Frage zu Beginn: Was bedeutet Ihnen Ihr 70. Geburtstag? Wie stehen Sie zur Zumutung des Alterns?

Peter Turrini: Geburtstage sind unausbleiblich, und dass die Geburtstage irgendwann aufhören, ist auch unausbleiblich. Gegen die Zumutungen des Alterns halte ich mich am fröhlichen Gemüt meiner Liebsten fest. Ich habe sie gebeten, kurz vor meinem Ableben einen Strip zu machen. Aber was mache ich, wenn mein Augenlicht so rapide nachläßt, daß ich alles nur noch verschwommen sehe?

Die Ehrungen und Huldigungen, die vielen Worte, die nun über Sie hereinbrechen werden – empfinden Sie diese als Anerkennung oder machen diese Sie misstrauisch?

(lacht). Wissen Sie, in den 70er Jahren war ich ein Gewürgter und jetzt wandert die Hand vom Hals langsam zur Schulter und klopft auf diese. In diesem Vorgang ist die ganze österreichische Tragikomödie eingefangen: Was man nicht umbringen kann, läßt man halt hochleben. Das nehm ich alles nicht sehr ernst.

Sind Sie als Dramatiker mit den Jahren milder geworden? Ist die Wut kleiner geworden?

Ich habe eine merkwürdige menschliche Eigenschaft beobachtet, auch an mir: Man erinnert sich sehr genau an alle Verletzungen, die man durch andere erlebt hat, aber jene Dinge, die man anderen angetan hat, sind einem kaum erinnerlich. Das hat mich den Menschen gegenüber milder gemacht, oder – besser gesagt – vorsichtiger. Aber der Dramatiker in mir, der gegen die Zustände in dieser Welt mit literarischen Mitteln vorzugehen versucht, der ist nicht milder, sondern wilder geworden.

In Ihren Stücken steht das Lächerliche immer neben dem Tragischen. Sehen Sie so uns Menschen? Als Hauptdarsteller ihrer persönlichen, kleinen Tragikomödien?

Ich bin ja ein Verfechter des Lächerlichen. Dieser ganze aufgeblasene Protz, dieses Bedeutungsgetue, diese Zementgesichter sind doch nur eine Maskerade. Aber wenn die Maske zu bröckeln beginnt, wenn hinter der vorgegebenen Stärke die Hilflosigkeit durchschimmert, wenn nicht mehr der Mund, sondern die Hosen voll sind, dann erreicht der Mensch eine Spur von Wahrheit und Schönheit. Das Hilflose, das scheinbar Lächerliche, ist in Wahrheit das Erhabene. Wenn die beiden Jungen in meinem Stück „Rozznjogd“ am Ende nackt und dreckig und sprachlos voreinander stehen, ist für mich der schönste Punkt des Theaters erreicht: Die Demaskierung.

„Das Hilflose, das scheinbar Lächerliche ist in Wahrheit das Erhabene.“

Sie tragen einen italienischen Namen, damit gilt man in Österreich nicht selten als ein wenig verdächtig. In Ihrem Werk sehe ich immer wieder das Motiv des Fremdseins – fast als wäre das Fremdsein, das Nicht-Dazugehören, für Sie eine Art Heimat. Ist das so? Ist das Gefühl des Andersseins eine Voraussetzung dafür, Künstler zu sein?

Sie haben Recht. Ich halte mich an diesem Fremdsein fest, aber das war nicht immer so. Als Kind und Jugendlicher wollte ich dazugehören, aber das hat halt nicht funktioniert. Inzwischen glaube ich, dass Zugehörigkeiten generell nicht funktionieren, da können wir noch so viele Heimatlieder singen und Familienfotos machen. Selbst meine jüdischen Freunde, die von einer grauenhaften Geschichte zusammengehalten werden, fallen bei jeder Gelegenheit übereinander her. Letzten Endes hält einem gar nichts.

Wie sehen Sie die Funktion des Künstlers in der Gesellschaft? Künstler gelten ja bei uns schnell als Nestbeschmutzer, obwohl sie ja nur darauf hinweisen, dass das Nest schon beschmutzt ist?

Ich kann mir diese Hinweise auf das dreckige Nest nicht verkneifen, ich kann an den Ungerechtigkeiten und Wahnsinnigkeiten nicht kommentarlos vorbeigehen. Das treibt mich künstlerisch an, und ich habe zu mir selbst keine Alternative. Aber die Kunst ist mehr: Sie ist in einer nützlichen Welt absolut unnütz, sie ist frei, sie kann sich engagieren oder nicht engagieren, sie kann den Menschen dienen oder sich selbst. Und sie hat auch die Freiheit, nicht so zu sein, wie ich sie mir wünsche.

Sie haben sich stets gegen Rechtsextremismus, gegen die Verführung der einfachen Antworten, gegen die Schlampigkeit im Umgang mit der eigenen Vergangenheit und im Umgang mit Schwächeren engagiert. Heute ist die FPÖ in Umfragen die stärkste Partei – war all das Engagement also umsonst?

Umsonst nicht, aber vielleicht ist etwas falsch gelaufen in der „kritischen“ Berichterstattung. Früher hat man Herrn Haider dämonisiert und damit popularisiert und jetzt berichtet man über die Discoauftritte des Herrn Strache, der doch nur ein labbriges Würstel mit blauen Augen ist. Das Problem liegt doch wo anders: In dieser rechten Partei versammeln sich sehr viele Zukurzgekommene aus der Arbeiterklasse. Die Löhne und Gehälter sind in den letzten zehn Jahren kaum gestiegen, die Einnahmen aus Vermögen jedoch um ein Vielfaches. In der Zeitung lese ich immer, dass eine Umverteilung nichts bringen würde. Vielen Leuten geht es finanziell sehr dreckig, aber sie haben keine politische Adresse, an die sie sich wenden könnten. Also wenden sie sich an die nächstschlechteste.

Sie waren nie „pragmatisch“, nie „vorsichtig“, nie „diplomatisch“, haben immer klare Worte gewählt, haben klar für und gegen etwas Position bezogen, haben sich immer angreifbar gemacht. Haben Sie diese Haltung je bereut? Spürten Sie je die Verführung zur Unauffälligkeit?

Ja. Es gab solche schutzbedürftigen Momente, in der Depression. Da hätte ich am liebsten alles Gesagte zum Verschwinden gebracht. Aber das geht auf Dauer nicht. Weil mich nicht das Schweigen und Verschweigen am Leben hält, sondern das Reden und Gegenreden. Das ist keine mutige Eigenschaft von mir, sondern mein Überleben.

Derzeit wird – Stichwort Burgtheater-Finanzen – unter dem Druck von Sparpaketen mehr denn je über Kunst als Ware und über deren Preis und Wert diskutiert. Die einen werfen Theatermachern grenzenlose Gier vor, andere argumentieren, dass man als Theaterdirektor gar nicht anders könne, als sich mit kreativer Buchhaltung durch die Krise zu manövrieren. Wie ist Ihre Sicht der Lage?

Mir geht diese ganze Gelddebatte rund um das Burgtheater zunehmend auf die Nerven und ich drehe jetzt den Spieß einmal um. Theater bringen wesentlich mehr als sie kosten, und damit ist nicht nur der Mehrwert der Aufklärung und Erbauung gemeint. Auf der Fassade des Theaters der Josefstadt prangt derzeit der Satz: „Kunst bringt Kohle. Nur wegen dem Erdäpfelsalat kommt die Welt nicht nach Wien“. Das gefällt mir, denn so schaut's tatsächlich aus: Für jeden Euro, der für Kunst ausgegeben wird, kommen mindestens zwei Euro wieder herein. Schön wär's, wenn man das von einigen Banken, in denen angeblich die Wirtschaftskundigen sitzen, auch behaupten könnte. Aber eines konnten die Kapitalisten ja nie: Gut wirtschaften. Außer in die eigene Tasche.

Sie haben in der Vergangenheit in sehr scharfen Worten die Respektlosigkeit von Theaterregisseuren gegenüber den Autoren diskutiert, die deren Werke nach Belieben verändern. Hat sich die Situation seither geändert?

Lieber Tartarotti, Sie wissen ja aus eigener Erfahrung, dass es sich bei den Theaterleuten um eine Ansammlung von größenwahnsinnigen Autisten handelt. Aber damit ein Theaterabend entsteht, muss jeder etwas von seinem Autismus hergeben, sich auf den anderen einlassen, denn Theater ist schließlich eine gemeinsame Kunst. Wenn in dieser Gemeinsamkeit allerdings nur noch die Regie zählt, wenn die Worte des Theaterschreibers nur noch als Spielmaterial dienen, mit dem man machen kann, was man will, umdichten und mit anderen Texten collagieren, dann empfinde ich das als Kampfansage. Dann verteidige ich die Würde und den Platz des Stückeschreibers.

Sie leben jetzt seit 70 Jahren auf diesem Planeten. Halten Sie den Menschen für lernfähig? Für liebenswert? Für würdevoll?
Der Mensch ist ja eine vermischte Erscheinung und vor allem ist er ein großartiger Entwurf, der sich viel zu oft unter seinen Möglichkeiten verkauft oder sich verkaufen lässt. Mein ganzes Schreiben entzündet sich an dieser Differenz, was alles sein könnte und was nicht ist. Ständig nehme ich Maß an Menschen, auch an mir, und würde das Maßband zu gerne sehr weit aufrollen. Hinter allen Schrecklichkeiten in meinen Stücken steckt doch eine maßlose Sehnsucht nach Schönheit und Größe. Ich glaube, ein Dramatiker muß die Menschen lieben, sonst wären sie ihm ja gleichgültig, sonst könnte er ja nicht an ihnen verzweifeln. Aber ein Dauerverzweifelter bin ich nicht.

Lebenslauf
Peter Turrini kam am 26. September 1944 im Kärntner Lavanttal als Sohn eines italienischen Kunsttischlers und einer Hausangestellten zur Welt. Er wurde zu einem der bedeutendsten österreichischen Dramatiker.

Buch
Am Sonntag, 14.9. (11.00 Uhr), wird im Theater in der Josefstadt Turrinis neues Buch „C’est la vie. Ein Lebens-Lauf“ präsentiert.

Stück
Die Bühnenfassung des Buchs hat unter dem Titel „C’est la vie – Eine Revue“ am 17. September in der Josefstadt Premiere, die Uraufführung inszenierte Stephanie Mohr, es spielen Hilde Dalik, Susanna Wiegand, Marcello de Nardo, Thomas Mraz und Erich Schleyer. Der Text ist kein Theaterstück im engeren Sinn, sondern ein Monolog, ein Nachsinnen des Autors über seine Lebensliebe zum Theater.

Film
Am 26. September (17.30 Uhr) zeigt die Josefstadt als Premiere den Dokumentarfilm „Peter Turrini. Rückkehr an meinen Ausgangspunkt“ von Ruth Rieser. Am Tag davor (20.00 Uhr) lesen Turrini und Herbert Föttinger unter dem Titel „how much, schatzi“ Texte von HC Artmann.

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