Ich habe keinen Reiseführer geschrieben

Ich habe keinen Reiseführer geschrieben
Régis Jauffret will mit dem Fritzl-Roman "Claustria" Österreich nicht beleidigen. Aber eine Gesetzes­änderung will er.

Régis Jauffret ist Gast in Wien, der KURIER traf den Schöpfer des umstrittenen Romans "Claustria" im Hotel Triest – wo nebenan DJ Ötzi interviewt wurde. Autor und Sänger kennen einander nicht.

KURIER: Monsieur Jauffret, kannten Sie Österreich, bevor Sie die Recherchen zu "Claustria" begannen?
Régis Jauffret:
Nein, ich kenne es noch immer nicht. Ich war nur zwei Mal zehn Tage hier. Ich habe ja keinen Reiseführer geschrieben. Ich maße mir auch nicht an, über Österreich zu urteilen.

Würden Sie in Österreich Urlaub machen?
Ich mag die Berge nicht, auch die französischen nicht. Aber ich weiß, worauf Sie anspielen. Ich sehe wirklich nicht, warum mein Buch Österreich als Tourismusland schaden könnte.

Nun, Sie schreiben, dass Sie in Wien jederzeit damit rechnen, Hitler zu treffen ...
Ich habe nie gesagt, dass die Österreicher nach wie vor Nazis sind. So wie das etwa die englischen Boulevard-Zeitungen behauptet haben. Es ist aber eine Realität, dass Österreich seine Geschichte hat. Doch es stimmt natürlich nicht, dass man Hitler heute hier an jeder Ecke treffen könnte.

Diese Frage geht Ihnen schon auf die Nerven?
Aber nein.

In Frankreich hatten Sie gute Kritiken, in Österreich großteils verheerende. Hat man Sie missverstanden oder sind die Österreicher wehleidig?
Man spricht hier seit Februar über mein Buch. Als es noch nicht einmal in Frankreich auf dem Markt war! Eine regelrechte Vernarrtheit, wenn auch eine negative. Das hat weniger mit meinem Buch als mit meinen Aussagen zu tun. Weil ich Justiz und Polizei kritisiert habe.

Ich habe keinen Reiseführer geschrieben

Sie behaupten, die Kritiker haben Ihr Buch nicht gelesen?
Nein, sie haben es bestimmt danach gelesen. Aber man hat mir unterstellt, ich hätte behauptet, alle Österreicher seien Pädophile. Ich habe aber nur gesagt, dass Josef Fritzl seine Tochter ab dem Alter von 13 Jahren vergewaltigt hat. Das ist eine Tatsache. So wie die Tatsache, dass Inzest zwischen Vater und Kind in Österreich mit nur drei Jahren Gefängnis bestraft wird. Und wenn es der Onkel ist, dann ist es nur ein Jahr. Aber ich habe nie gesagt, dass die Österreicher alle Vergewaltiger und Pädophile sind. Sonst wäre ich nicht hierher gekommen. Ich verstehe nicht, warum das Gesetz nicht geändert wird.

Sie glauben ernsthaft, dass man wegen Ihres Buchs das Gesetz ändern wird?
Ich bin schockiert von dieser Gesetzeslage, und zwar als Europäer! Das geht uns alle an!

Sie sprechen hier von sehr realen Dingen. Gleichzeitig stellen Sie zu Beginn des Buches fest, dass alles Fiktion ist.
Denken Sie an Truman Capote. "Kaltblütig". Da ist kein Gramm Fiktion drin. Ich vergleiche mich nicht mit ihm. Ich habe mit Fakten gearbeitet, aber einen Roman daraus gemacht. Ich weiß, dass das eine Ambiguität ist.

Sie beschreiben Gewalt und Sex sehr explizit. Haben Sie keine Angst, Voyeure zu bedienen?
Nein, für die gibt es das Internet. Ich habe nichts geschrieben, was nicht in der Zeitung gestanden wäre. Es ist zu furchterregend, um voyeuristisch zu sein. Und ich weiß nicht, wie ein Buch etwas Schlimmes schlimmer machen könnte. Der Autor muss auch Chronist sein.

Die Affäre Fritzl ist nicht der erste Kriminalfall, über den Sie schreiben.
Was macht ein Kunstwerk aus? Das Besondere. Dostojewski, Flaubert ... ohne Tragödie keine Geschichte.

Aber Ihr nächstes Buch wird etwas Fröhlicheres?
Da können Sie sicher sein.

Chronist: Guter Name in Frankreich

Ich habe keinen Reiseführer geschrieben

Der Schriftsteller: Régis Jauffret, *1955 in Marseille, machte sich mit Romanen wie "Histoire d’amour" oder "Streng" einen Namen. 2005 wurde er mit dem Prix Femina ausgezeichnet. In "Claustria" erzählt er den Fall Fritzl aus der Sicht der Kinder. Er hatte zuvor für französische Medien über den Fall berichtet.

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