War es nicht kurios für Binoche, dass sie, die selbstbewusste Feministin, eine Frau spielt, die das genaue Gegenteil ihrer selbst verkörpert? „Das hat mir Spaß gemacht. Ich bin ja unter starken Frauen groß geworden. Meine Mutter war keine brave, höhere Tochter. Sie hat sich scheiden lassen, als ich sechs Jahre alt war. Sie durfte damals ohne die Erlaubnis meines Vaters nicht einmal einen Scheck unterzeichnen. Sie wurde zur Revoluzzerin und Feministin. Schon mit sieben hat sie mich zu Frauenstreiks und flammenden Diskussionen über Frauenfragen mitgenommen. Das hat mich sicher fürs Leben geprägt.“
Den Drang, zu heiraten und einen Mann mit Wohlverhalten glücklich zu machen, habe sie nie gespürt: „Ich finde es okay, wenn Leute heiraten wollen, aber ich habe dieses Bedürfnis nicht. Meine Schwester ist verheiratet, naja. Für mich ist das nichts. Ich brauche meine Freiheit.“
Fühlt sie sich, als Schauspielerin und Frau, auch unter Druck gesetzt, immer perfekt sein zu müssen? „Nein, ich will und kann nicht perfekt sein. Ich habe irgendwann eingesehen, dass ich nicht alles perfekt meistern kann. Vor allem als Mutter (Binoche ist zweifache Mutter mittlerweile erwachsener Kinder, Anm.) kannst du diesem Anspruch nicht gerecht werden. Als mein Sohn 16, 17 Jahre alt war, hat er immer wieder die Schule geschwänzt, was mich wahnsinnig gemacht hat. Ich wurde zur Direktorin gerufen und war verzweifelt, heulte vor ihr. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Doch sie meinte nur: Machen Sie sich keine Sorgen, das geht vorüber. Da habe ich begriffen, dass ich nicht die vollkommene Mutter bin, die für alles verantwortlich ist, was ihre Kinder tun.“
Zwei ihrer jüngsten Filme hat Juliette Binoche mit japanischen Regisseuren gedreht. „Die Blüte des Einklangs“ mit Naomi Kawase, wo sie eine Reisereporterin auf der Suche nach einer mystischen Heilpflanze in Japans Bergen spielt. Und das Familiendrama „La Vérité – Leben und lügen lassen“ von Hirokazu Kore-eda, wo sie sich als Tochter von Catherine Deneuve behaupten muss. „Naomi lebt in ihrem eigenen philosophischen Universum, und es ist schön, in dieses auch für kurze Zeit einzutauchen. Kore-eda ist für mich in erster Linie ein Schriftsteller, ein Weiser. Ein Tschechow des Kinos, der jedem seiner Charaktere größte Aufmerksamkeit schenkt, ohne ihn zu be- oder verurteilen. Er begleitet seine Charaktere, er mag sie. Nichts ist schwarz-weiß. Ich habe bei ihm eine Art von Hingabe und Respekt gespürt, wie ich sie in Frankreich noch nicht erlebt hatte. Zwischen uns hat sich großes Vertrauen aufgebaut, eine richtige Intimität. Irgendwann im Lauf des Drehs meinte er: Sag bitte nicht mehr Kore-eda-San zu mir, sondern nur Kore-eda. Wer die Japaner kennt, weiß, dass dieses Zulassen von Nähe speziell von Ausländern das größte Kompliment ist. Er hat seinen Distanzschleier kurz für mich gelüftet, und ich habe mich sehr geehrt gefühlt.“
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