KURIER: Wie sind Sie darauf gekommen, diese höchst ungewöhnliche Doku zum Thema Demenz zu drehen?
Houchang Allahyari: Ursprünglich wollte ich einen Film über Ebert und sein Automaten-Museum machen. Aber je näher ich seinen Umgang mit seiner Frau Amalia studieren konnte, desto mehr hat es mich gereizt, die Geschichte dieses Ehepaars zu erzählen. Ich muss gestehen, dass es eine Weile gedauert habe, bis ich an ihr die Anzeichen der Demenz klar erkannt habe – obwohl ich als Psychiater viele Patientinnen und Patienten mit dieser Diagnose habe. Und natürlich haben die Erfahrungen mit Demenz-Patienten auch meine Sicht auf das geprägt, was das Leben ausmacht. Wenn wir zur Welt kommen, bauen wir nach und nach den reich ausgestatteten Palast unseres Selbst auf. Mit allem, was uns ausmacht: Sprache, Wissen, Beziehungen, Besitztümern, Erfahrungen, Erinnerungen und Liebe. Vor allem Erinnerungen und Liebe. Und ich versuche, Betroffenen dabei zu helfen, mit dem fortschreitenden Selbst-Verlust eines Partners, einer Partnerin umzugehen.
Wann und wie haben sie zum ersten Mal die Anzeichen der Demenz an Amalia gemerkt?
Ferry und Amalia waren immer sehr lieb und fürsorglich zueinander, was mich sehr gerührt hat. Und auch zu mir war sie immer sehr freundlich. Einmal, als Ferry nicht anwesend war, wollte sie mir einen Kaffee machen – und servierte mir heißes Wasser. Sie konnte sich nicht mehr an alle Handgriffe erinnern, die man zum Bedienen der Kaffeemaschine braucht. Ich habe sie danach gefragt, was sie besonders gerne macht, und sie meinte: singen und tanzen. Sie war mir so sympathisch, dass ich sie – und auch ihren Mann – gefragt habe, ob ich einen Film über sie machen könne. Sie brauchten beide nichts anderes tun, als vor der Kamera ihren Alltag so zu leben, wie sie ihn gewohnt sind.
Und das hat funktioniert?
Was mich fasziniert hat, war das Verhältnis der beiden zueinander. Er ist 88 und sie ist 86 Jahre alt, aber sie waren immer noch verliebt wie Romeo und Julia. Und das war nicht gespielt. Ich weiß, wie schwierig es ist, demenzkranke Partner zu betreuen. Denn alles verändert sich – auch die Persönlichkeit. Es wurde mir klar, dass er mehr unter der Demenz der geliebten Frau leidet als sie selbst als Betroffene. Aber ich konnte auch beobachten, dass es ihm Freude bereitete, wenn sie sich plötzlich in eine Dreißigjährige verwandelte und ihn aus dieser Sicht wie eine junge Frau behandelte – und nicht wie eine, die schon 60 Jahre an seiner Seite gelebt hat. Sie sagte in solchen Momenten ganz spontan: „Gehen wir tanzen!“ Das haben sie dann auch getan. Er hat ihr geholfen, sich schön zu machen, und man konnte sehen, dass sie viel Spaß miteinander hatten. Ich habe dabei gelernt, meinen Beruf als Psychiater beiseitezulassen, und dass man Menschen mit Demenz nicht als Kranke behandeln soll, sondern immer auf Augenhöhe mit ihnen reden soll. Es ist mir nicht immer gelungen. Aber wenn ich gemerkt habe, dass sie aufgrund meiner allzu medizinischen Fragen irritiert ist, habe ich mich sofort wieder zurückgezogen.
Sehen Sie die positive Grundhaltung Ihres frei finanzierten Films als Beitrag, gegen die Depressionen rund um die Demenzerkrankung vorzugehen?
Ja, völlig richtig. Es war mir wichtig, dass diese Doku von vielen Menschen gesehen wird. Und was sehen die Menschen im Kino am liebsten? Unterhaltungsfilme wie Komödien und Liebesgeschichten. Ich hoffe, dass man diese Worte jetzt nicht in dem Sinne missversteht, dass ich möchte, dass man über Demenz lachen kann. Aber man kann mit Demenzkranken lachen, weil Humor immer eine gute Medizin ist. Ich habe bei Testvorführungen gemerkt, dass viele im Publikum bei einigen Szenen mitgelacht und auch geweint haben. Bei einem Film zu diesem Thema darf man keine Angst vor Emotionen haben – und auch keine Angst vor Kitsch. Wenn Zuschauer die Liebe zwischen zwei alten Menschen wie Ferry und Amalia kitschig finden, dann stört mich das auch nicht. Dass es so eine Liebe gibt, finde ich tröstlich angesichts einer Welt, in der wieder Kriege geführt werden.
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