Horváth in der Josefstadt: "Das gehört jetzt erzählt"
Das Theater in der Josefstadt zeigt ab Donnerstag Ödön von Horváths zeitkritischen Roman „Ein Kind unserer Zeit“ rund um einen radikalisierten Soldaten als Dramatisierung. Alle Figuren werden auf vier Darstellerinnen aufgeteilt: Katharina Klar, Susa Meyer, Martina Stilp und Therese Affolter.
Die Regie und die Bühnenfassung übernahm Stephanie Mohr. Im KURIER-Interview spricht sie über die Aktualität des Projekts. Eine moralfreie Politik kennt keine Skrupel, ein friedliches Land zu überfallen und auszubeuten. Eine manipulierte Masse geht ihr dabei zur Hand. Der Einzelne geht unter und zerbricht.
KURIER: Wie kam dieses Projekt zustande?
Stephanie Mohr: Wir mussten auf coronabedingte Umstände reagieren und ziemlich schnell ein spannendes Projekt erfinden: Ich hatte zuletzt viel Horváth gelesen und dann dieses Buch vorgeschlagen. Bald entstand die Idee, die Inszenierung mit vier Frauen verschiedenen Alters zu besetzen. Und dann ging alles ganz schnell. Ich hatte vorher in Linz „Geschichten aus dem Wiener Wald“ inszeniert, war also glücklicherweise im „Horváth-Modus."
Provokante Frage: Von Horváth gibt es so viele großartige Stücke – warum musste es eine Roman-Dramatisierung sein?
Ich finde die Frage berechtigt. Ich lese den Roman als Aufschichtung verschiedener Charaktere innerhalb einer Figur, insofern interessiert es mich sehr, das in Bilder und in aufgeteilte Sprache zu bringen. Dieser Roman war eines der letzten Dinge, die Horváth geschrieben hat, und ich finde, das ist etwas, was jetzt erzählt gehört. Es geht um das Trauma eines Menschen und einer Generation und um die Weitergabe dieses Traumas. Und das ist etwas, was uns durch den Krieg eingeholt hat. Ich würde unsere Arbeit auch nicht „Dramatisierung“ nennen, es ist eine Bearbeitung für die Bühne, eine Bewohnung dieses Textes (lacht)
Der Autor
Ödön von Horváth, geboren 1901 in Österreich-Ungarn, zählt zu den bedeutendsten Dramatikern und Roman-Autoren des
20. Jahrhunderts. Zu seinen Werken gehören „Geschichten aus dem Wiener Wald“, „Glaube Liebe Hoffnung“ und „Jugend ohne Gott“
Stück
„Ein Kind unserer Zeit“, erschienen 1938, zeigt den Lebens- und Leidensweg eines Soldaten in einem Führerstaat. Eigentlich ein Roman, wurde der Text jetzt für die Bühne adaptiert
Regie
Die Bühnenfassung stammt von Stephanie Mohr. Geboren in Genua, wuchs sie in Wien und Paris auf und zählt zu den prägenden Regisseurinnen im deutschsprachigen Raum
Dramatisierungen sind sehr in Mode. Woher kommt das?
Ich bin da auch eher skeptisch. Ich frage mich, ob das im Zuge des Bedürfnisses aufgekommen ist, Texte mehr umzuschreiben – bei Romanen ist diese Freiheit vielleicht noch größer. Man greift auf bekannte Stoffe zurück, um die Menschen zu bewegen, ins Theater zu gehen. Es gibt auch immer mehr Remakes von großen Filmen, was ich merkwürdig finde. Es gab ja sogar das Gerücht, dass „Citizen Kane“ neu gemacht wird! Bitte nicht! Ich denke, wir leben in einem epischen Zeitalter. Auch in den vielen Serien wird in großer Breite erzählt, offenbar gibt es hier ein Bedürfnis.
Sie lassen die Hauptperson, aber auch alle andere Figuren, von vier Frauen spielen. Warum das?
Ich hatte das Gefühl, es sei wichtig, eine Distanz zu der Figur zu schaffen. Und gleichzeitig die weibliche Perspektive auf den Krieg in den Raum zu stellen, ohne sie immer thematisieren zu müssen. Wenn Männer über Frauen reden – und es spricht aber eine Frau – hat das sofort einen anderen Charakter. In dem Roman geht es um einen Mann, der seine Mutter verloren hat und nach einer weiblichen Projektionsfläche sucht – dieser Aspekt ist durch die Besetzung immer mit dabei. Aber es ist auch für uns ein Experiment!
Es heißt, Krieg sei der Ausdruck toxischer Männlichkeit, Frauen würden so etwas nicht tun. Denken Sie das auch?
Ich bin mir nicht sicher. Ich finde es auch schwierig, so schwarz-weiß zu denken: Männer würden immer, Frauen würden nie ... Ich glaube, da sollten wir vorsichtig sein. Dass die Welt seit Jahrhunderten in unserem Kulturkreis von Männern geführt wurde, ist aber eine Tatsache.
Ist Kriegführen ein Ausdruck von falsch verstandener Männlichkeit?
Ich glaube, dass auch Frauen Krieg führen – aber vielleicht anders, oder ahmen sie teilweise nur männliches Verhalten nach? Ich sehe ein Problem darin, was als „männlich“, bzw. als „stark“ definiert wird: Unbeugsam zu sein, hart, aggressiv, laut. Andererseits: Der Dalai Lama ist ja auch ein Mann. Ich bin da sehr vorsichtig im Festlegen von Geschlechterzuschreibungen. Sind Frauen grundsätzlich mehr an Harmonie interessiert? Ich weiß es nicht.
Wie sehen Sie das „canceln“ russischer Künstler?
Ich würde mir wünschen, dass auch hier differenziert vorgegangen wird, habe aber das Gefühl, in unserer Zeit ist sehr wenig Raum da, um nachzudenken. Heute wird eine permanent erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit vorausgesetzt, die absurd ist.
Woran liegt das?
Vielleicht ist es ein Versuch, um jeden Preis klare Strukturen und Glaubenssätze zu formulieren, Halt zu suggerieren?
Das findet sich ja auch in diesem Stoff: Da ist ein Mensch, der findet scheinbar Halt in der militärischen Welt.
Er ist ein arbeitsloser junger Mann, der sozial benachteiligt aufgewachsen ist, die Mutter hat er früh verloren, den Vater sieht er als weltkriegstraumatisierten, versehrten Verlierer. Im Militär findet er soziale Anbindung und die Möglichkeit, zu überleben. Er nimmt am Überfall auf ein kleines Land teil. Zurück in der zivilen Welt zerbricht er daran, was er an Gräueltaten gesehen und verübt hat.
Inwiefern ist er ein Kind auch „unserer“ Zeit?
Ich sehe diese Geschichte ganz nah an uns dran. Aber ich höre hier weniger Österreich 1938 als Vietnam, Irak, Syrien, Ukraine: Es geht um den Überfall auf ein kleineres Land, wegen Rohstoffen und politischem Zugriff.
Viele Theater sind derzeit halb leer. Haben die Menschen verlernt, ins Theater zu gehen, und schauen lieber Netflix?
Hoffentlich nicht! Vielleicht haben manche Leute es sich abgewöhnt? Ich finde das traurig, denn das Live-Erlebnis, das gemeinsame Atmen und Fühlen, sind nicht zu ersetzen. Und Theater ist natürlich auch teurer, aufwendiger – ich hoffe, die Menschen können und wollen es sich weiterhin leisten.
Es gibt derzeit viele Diskussionen um toxische Männlichkeit am Theater. Pflegen Sie als Regisseurin einen anderen Umgang und Führungsstil?
Ja, ich versuche es jedenfalls. Ich versuche, mit Freundlichkeit und Miteinander zu arbeiten, Verbundenheit herzustellen. Das hat auch mit meinen eigenen Bedürfnissen zu tun: Probenzeit ist Lebenszeit.
Oft wird ein demokratischerer Stil des Arbeitens eingefordert. Geht das in der Kunst überhaupt?
Ich bin da skeptisch. Alles demokratisch zu erarbeiten, ist für mich schwer vorstellbar. Ich finde es wichtig, dass jeder seinen Teil mitbringt. Mein Teil ist es, eine Idee, ein Konzept zu haben. Und irgendwer muss entscheiden – das ist halt die Regisseurin oder der Regisseur. Aber ich finde, das hat auf eine freundliche, respektvolle Weise zu passieren. Aber ich habe auch Schauspieler erlebt, die ihr Trauma mitgebracht haben und das für schwach halten ...
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