Höllenlärm im Todeslager

Son of Saul
Der ungarische Regisseur László Nemes erhielt für sein Holocaust-Drama den Oscar.

Son of Saul. HU 2015.107 Min. Von László Nemes. Mit Géza Röhrig, Levente Molnár, Urs Rechn.So hat man die Todeslager der Nazi-Diktatur noch nie im Kino gesehen: Nicht totenstilles Grauen herrscht in László Nemes "Son of Saul", sondern höllischer Lärm. Als Publikum sieht man das Geschehen mit den Augen eines ungarisch-jüdischen Gefangenen in Auschwitz – mitreißend gespielt von Géza Röhrig.

Mit einer magnetisierenden Hand-Kamera bleibt der Film gute 100 Minuten lang einem einzigen Menschen dicht auf dem Fuß: Saul ist ein ungarisch-jüdischer Gefangener im Vernichtungslager Auschwitz – und er ist Teil eines jener berüchtigten, aus Häftlingen zusammengesetzten Sonderkommandos, die gezwungenermaßen der deutschen Mordmaschine der Shoah assistierten.

Als Zuschauer erlebt man einen langen Tag im Oktober 1944 mit, den Tag vor dem Aufstand der Sonderkommandos, der scheiterte und mit der Ermordung von mehr als 100 Häftlingen endete.

Ob das Unvorstellbare wirklich nachempfindbar wird, wenn man ihm visuell so direkt ausgesetzt wird, sei dahingestellt – jedenfalls ist der Vorstellung des Holocausts wohl noch niemand so nahegekommen.

Es ist ein Blick unmittelbar in die Gaskammern und Verbrennungsöfen. Wo Steven Spielberg in "Schindlers Liste" melodramatisch wird, operiert der ungarische Regiedebütant László Nemes mit blankem Fatalismus und sparsamen Dialogen. Keine Hoffnung herrscht in diesem erschütternden Werk, in welchem sein Protagonist im Irrsinn des Mordens darum ringt, wenigstens einem der Opfer zu einer würdigen Beerdigung im Beisein eines Rabbiners zu verhelfen.

Akt der Menschlichkeit

Ob es sich bei dem Toten wirklich um seinen Sohn handelt, bleibt im Unklaren. Es geht um einen Akt der Menschlichkeit – und dass er daran scheitern wird, ist absehbar. Dass sich das Grauen im Film zumeist unscharf im Bildhintergrund abspielt, macht das Dargestellte nicht erträglicher.

"Son Of Saul" ist ein herausfordernder, zwischen historischem Grauen und fiktionalem Konstrukt oszillierender Film, der aber auch unangenehme Fragen aufwirft. Was haben wir Europäer aus unserer faschistischen Vergangenheit gelernt? Und wo steht dieses Holocaust-Drama im Verhältnis zu der Gesellschaft, aus der es kommt?

Filmästhetisch war der eben erst vergebene Auslands-Oscar für das Werk aus Ungarn, wo unter Viktor Orbán demokratische Spielregeln zunehmend aufgegeben werden und Journalisten, Künstlern und insbesondere Filmemachern die Arbeit erschwert wird, jedenfalls verdient.

Kommentare