Dass das sogenannte „Historienbild“ keine tote Gattung ist, unterstreicht derzeit die herausragende Ausstellung „History Tales“ in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Die Direktorin der Institution, Sabine Folie, setzt dabei zu kunsthistorischen Tiefenbohrungen an: Ausgangspunkt ist die Sammlung der Akademie, an der Künstler (nicht gegendert!) über Jahrhunderte geschult wurden, das Genre zu meistern.
Antike und Gegenwart
Die Darstellung von historischen Ereignissen hatte der Kunsttheoretiker der Renaissance, Leon Battista Alberti (1435), als höchstes Ziel der Kunst festgeschrieben. Alle anderen Formen, von der Körperdarstellung über die Landschaftsmalerei bis zur Darstellung von Flora und Fauna, gingen darin auf. Augenzeugenschaft, wie wir sie heute von Journalisten verlangen, war nicht gefragt: Oft wurden auch antike oder biblische Ereignisse als Paraphrase für das dargestellt, was aktuell geschah – das gebildete Publikum kannte sich aus.
Eruption und Revolution
Die Themen-Bohrinseln in der Schau „History Tales“ – man wünscht sich fast ein wöchentliches Seminar zur Erkundung jeder Station – fördern oft verblüffende Schichtungen innerhalb der Kunstgeschichte zutage. So befeuerte die Entdeckung und Ausgrabung Pompejis ab 1748, auf die ab 1779 weitere Vesuv-Ausbrüche folgten, die Produktion spektakulärer Gemälde von Vulkanausbrüchen. Zugleich fiel aber auch die Industrielle Revolution mit ihren Hochöfen und die Französische Revolution in diese Zeit. Man wusste Parallelen zu ziehen zur antiken Erzählung der „Eisernen Zeit“, die auf das „Goldene Zeitalter“ folgt.
Es steht frei, von hier aus Parallelen zur „Polykrise“ aus Klimawandel und Krieg zu sehen, wie sie in aktueller Kunst teilweise mit apokalyptischen Bildern erfasst wird.
Es gibt freilich keine klare Kontinuität zwischen den Historienbildern jener Art, wie sie im 19. Jahrhundert zur Hochform aufliefen, und den bildnerischen Auseinandersetzungen mit der Welt heute. Medienrevolutionen, insbesondere die Erfindung der Fotografie, machten manche Maler zu Reportern und ließen andere nach neuen Formen suchen.
Die Fotografie nutzte ihrerseits Posen nach historischen Vorbildern, um Bilder prägnant zu machen, und nutzte die Möglichkeiten von Fakes und Retuschen von Anfang an massiv aus. Der Faden des Bildungskanons, der Aktuelles mit Antikem verband, wurde daneben durchgescheuert oder riss ab, die Katastrophen des 20. Jahrhunderts stellten die Frage nach dem Darstellbaren neu. Künstler wie Anselm Kiefer, schufen danach etwa Materialcollagen, in denen deutsche Geschichte und Mythologie zusammenfällt – im Format alter Historienschinken.
Historie und Heute
Zeitgenössische Kunst macht sich die „verborgnen Zeichen“, durch die sich Bilder laut der Arie aus Puccinis „Tosca“ gleichen, dennoch zunutze: In der Schau „History Tales“ sieht man etwa ein Video von Cyprien Gaillard, das vor einer barocken Balustrade nur den Nebel einer Schlacht filmt – was passiert ist, bleibt unsichtbar. Der israelische Videokünstler Omer Fast zeigt den Film „Continuity“, der vordergründig eine Kriegsheimkehrergeschichte erzählt, im Detail aber völlig unklar lässt, wer gekämpft hat, wer tot und wer traumatisiert ist. Der deutsche Universalgelehrte Alexander Kluge wiederum experimentiert im Alter von 92 Jahren noch mit KI-Bildgeneratoren und verdichtet historische Bilder von Herrschern zu einer unheimlichen Collage.
Ein Geschichtsbild, in das sich alles nach dem Vorbild der Römer einordnen lässt, scheint in dieser Vielschichtigkeit hoffnungslos verloren. Wer seinen Blick fürs Komplexe schulen will, ist bei der Kunst aber immer noch gut aufgehoben.
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