Vance erzählt darin, wie er in einer weißen Unterschichtsfamilie von Hillbillies – zu deutsch: Hinterwäldlern – zwischen Ohio und Kentucky aufwuchs. Trotz drogensüchtiger Mutter und desolater familiärer Verhältnisse kann sich J. D. zum Studenten an der Elite-Universität Yale hinauf arbeiten.
Vance selbst ist eingefleischter Republikaner mit besten Verbindungen zu rechtskonservativen Kreisen. Die Kernbotschaft seiner „Hillbilly Elegy“ verkündet die Durchsetzung des amerikanischen Traums durch individuelle Eigeninitiative: Wer hart arbeitet, kann es schaffen. Dazu braucht es keinen Wohlfahrtsstaat, sondern eiserne Disziplin, gerne mit militärischer Ausbildung.
„Hillbilly Elegy“ wurde zum Bestseller und somit reif für die Verfilmung. Regie-Routinier Ron Howard nahm sich des Stoffes für Netflix an (ab Dienstag abrufbar; in Österreich ist ein Kinostart geplant). Der liberale Hollywoodianer wollte sich offenbar in keine ideologischen Nesseln setzen und löschte die Unterzeile des Romans – die „Gesellschaft in der Krise“ – aus seiner Verfilmung. Übrig blieb die „Geschichte meiner Familie“, die J. D. Vance (Gabriel Basso) in Rückblenden auf seine Jugend erzählt.
Der Trigger der Erinnerung erfolgt durch den Anruf der Schwester, die J. D. in die Heimatstadt in Ohio zurück bittet. Die Mutter ist nach einer Überdosis Heroin im Krankenhaus gelandet und muss in eine Rehab-Klinik übersiedelt werden.
J. D. klettert zu diesem Zeitpunkt bereits eifrig die Karriereleiter hinauf. Er besucht Dinnerpartys, um es in die Welt der Anwälte zu schaffen, scheitert aber beim Abendessen beinahe am Bestecküberangebot: Welche der drei Gabeln muss er zuerst benutzen? Als jedoch einer der Kollegen abfällige Bemerkungen über die Hinterwäldler aus der Provinz macht, verteidigt er stolz seine Herkunft. Ron Howard lässt in aller Überdeutlichkeit die unterschiedlichen Welten aufeinanderprallen, vermeidet aber jede Milieuschilderung, die etwas über gesellschaftliche Zustände oder gar strukturelle Armut erzählen könnte. Politischer Resonanzraum wird evakuiert; übrig bleibt ein soapiges Familiendrama mit hohem Hollywood-Prestigewert, das Howard den Vorwurf von „poverty porn“, Armutsporno, eingebracht hat.
Und man muss schon zweimal hinschauen, um sie zu erkennen: Die fluchende Alte mit der Riesenbrille, der grässlichen Miniplis-Dauerwelle und einer Zigarette im Mundwinkel, ist Glenn Close. Als raubeinige, schlagfertige White-Trash-Oma befreit sie den jungen J. D. aus der Nichtobhut seiner drogensüchtigen Mutter Bev. Außerdem sorgt sie für die meisten Lacher. Auch Amy Adams, instabile Bev mit rotgeränderten Augen und aufgedunsenem Gesicht, spielt ihre nervtötende Junkie-Mom auf höchstem Emotionsniveau.
Es ist immer faszinierend, dabei zuzusehen, wie Hollywood-Millionäre arme Leute spielen. Gut möglich, dass Glenn Close – sieben Mal für einen Oscar nominiert und sieben Mal übergangen – ihn diesmal erhält. Das würde zwar auch nichts über die Trump-Wähler erzählen, aber viel über Hollywood.
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