"Hillbilly Elegy" auf Netflix: Biografie eines Trump-Wählers

Eine ältere Frau steht in einer unordentlichen Küche.
Ron Howard verfilmte für Netflix den Bestseller von J. D. Vance; Glenn Close spielt eine White-Trash-Oma

Nachdem sich Trump bei der vorletzten US-Wahl überraschend gegen Hillary Clinton durchgesetzt hatte, fragte sich die liberale Hälfte der Nation betropezt, wer, verdammt noch einmal, ihn eigentlich gewählt hatte.

Im selben Jahr erschien ein Buch, das Einblicke in die Lebensverhältnisse der abgehängten weißen Wählerschaften aus den Industrieregionen des „Rostgürtels“ versprach; von denjenigen, die Hilary Clinton unglückseligerweise als die „deplorables“ (die Bedauernswerten) denunziert hatte. Es handelte sich um die Memoiren von J. D. Vance, damals 32 Jahre alt, und nannte sich „Hillbilly Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“.

Vance erzählt darin, wie er in einer weißen Unterschichtsfamilie von Hillbillies – zu deutsch: Hinterwäldlern – zwischen Ohio und Kentucky aufwuchs. Trotz drogensüchtiger Mutter und desolater familiärer Verhältnisse kann sich J. D. zum Studenten an der Elite-Universität Yale hinauf arbeiten.

Vance selbst ist eingefleischter Republikaner mit besten Verbindungen zu rechtskonservativen Kreisen. Die Kernbotschaft seiner „Hillbilly Elegy“ verkündet die Durchsetzung des amerikanischen Traums durch individuelle Eigeninitiative: Wer hart arbeitet, kann es schaffen. Dazu braucht es keinen Wohlfahrtsstaat, sondern eiserne Disziplin, gerne mit militärischer Ausbildung.

Eine Frau tröstet einen jungen Mann in einem Wohnzimmer.

Desolate Familienverhältnisse: Gabriel Brasso und Amy Adams

„Hillbilly Elegy“ wurde zum Bestseller und somit reif für die Verfilmung. Regie-Routinier Ron Howard nahm sich des Stoffes für Netflix an (ab Dienstag abrufbar; in Österreich ist ein Kinostart geplant). Der liberale Hollywoodianer wollte sich offenbar in keine ideologischen Nesseln setzen und löschte die Unterzeile des Romans – die „Gesellschaft in der Krise“ – aus seiner Verfilmung. Übrig blieb die „Geschichte meiner Familie“, die J. D. Vance (Gabriel Basso) in Rückblenden auf seine Jugend erzählt.

Der Trigger der Erinnerung erfolgt durch den Anruf der Schwester, die J. D. in die Heimatstadt in Ohio zurück bittet. Die Mutter ist nach einer Überdosis Heroin im Krankenhaus gelandet und muss in eine Rehab-Klinik übersiedelt werden.

Drei Personen sitzen nebeneinander auf Stühlen in einem Wartezimmer.

Amy Adams (re.) auf Heroin, besucht von ihren Kindern Haley Bennett (li) und Gabriel Brasso

Welche Gabel zuerst?

J. D. klettert zu diesem Zeitpunkt bereits eifrig die Karriereleiter hinauf. Er besucht Dinnerpartys, um es in die Welt der Anwälte zu schaffen, scheitert aber beim Abendessen beinahe am Bestecküberangebot: Welche der drei Gabeln muss er zuerst benutzen? Als jedoch einer der Kollegen abfällige Bemerkungen über die Hinterwäldler aus der Provinz macht, verteidigt er stolz seine Herkunft. Ron Howard lässt in aller Überdeutlichkeit die unterschiedlichen Welten aufeinanderprallen, vermeidet aber jede Milieuschilderung, die etwas über gesellschaftliche Zustände oder gar strukturelle Armut erzählen könnte. Politischer Resonanzraum wird evakuiert; übrig bleibt ein soapiges Familiendrama mit hohem Hollywood-Prestigewert, das Howard den Vorwurf von „poverty porn“, Armutsporno, eingebracht hat.

Zwei Frauen stehen sich auf einer Wiese gegenüber und scheinen sich zu streiten.

Glenn Close und Amy Adams als Mutter und Tochter liegen sich in den Haaren

Und man muss schon zweimal hinschauen, um sie zu erkennen: Die fluchende Alte mit der Riesenbrille, der grässlichen Miniplis-Dauerwelle und einer Zigarette im Mundwinkel, ist Glenn Close. Als raubeinige, schlagfertige White-Trash-Oma befreit sie den jungen J. D. aus der Nichtobhut seiner drogensüchtigen Mutter Bev. Außerdem sorgt sie für die meisten Lacher. Auch Amy Adams, instabile Bev mit rotgeränderten Augen und aufgedunsenem Gesicht, spielt ihre nervtötende Junkie-Mom auf höchstem Emotionsniveau.

Es ist immer faszinierend, dabei zuzusehen, wie Hollywood-Millionäre arme Leute spielen. Gut möglich, dass Glenn Close – sieben Mal für einen Oscar nominiert und sieben Mal übergangen – ihn diesmal erhält. Das würde zwar auch nichts über die Trump-Wähler erzählen, aber viel über Hollywood.

Eine ältere Frau mit Brille und einem T-Shirt mit Vogelmotiv steht im Freien.

Reif für einen Oscar? Glenn Close in "Hillbilly Elegy"

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