Hexenjagd auf Unschuldigen

Mads Mikkelsen/Die Jagd (Thomas Vinterberg)
Der dänische Star Mads Mikkelsen über seine Rolle in Thomas Vinterbergs Film "Die Jagd".

Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Doch große Einigkeit herrscht darüber, dass Mads Mikkelsen zu den attraktivsten europäischen Männern zählt, die das Kino derzeit zu bieten hat. Seine Landsleute, die Dänen (und da wahrscheinlich vor allem die Frauen), halten ihn überhaupt für den „sexiest“ Mann von ganz Dänemark. Egal, ob der 47-jährige Schauspieler mit bebenden Lippen die Frau des dänischen Königs begehrt („Der Leibarzt der Königin“) oder als Bösewicht in „Casino Royale“ gegen James Bond beim Pokern verliert – Mads Mikkelsens verleiht jeder seiner Rollen den Schmelz des begehrenswerten Mannes.

In Thomas Vinterbergs neuem, gefühlsintensiven Dänen-Drama „Die Jagd“ (Kinostart: Freitag) kommt er allerdings in etwas ungewohnter Aufmachung daher: Mikkelsen spielt einen sanftmütigen Kindergärtner namens Lucas, dessen Leben aus den Fugen gerät. Die kleine Tochter seines besten Freundes beschuldigt ihn, sie sexuell belästigt zu haben. Wir wissen, dass er unschuldig ist. Doch die Bewohner der Kleinstadt wenden sich zunehmend hasserfüllt gegen ihn.

KURIER: In „Die Jagd“ spielen Sie einen unschuldigen Mann, der des Kindesmissbrauchs bezichtigt wird. Gab es je die Überlegung, seine Unschuld in Zweifel zu ziehen?
Mads Mikkelsen:
Nein, wir wollten keinen Thriller drehen, der um die Frage kreist, ob Lucas schuldig ist oder nicht.Wir wollten auch keinen Film über Männer machen, die falsch angeklagt wurden. Und wir sagen auch nicht, dass Missbrauch nicht stattfindet. Aber wir wollten erzählen, wie Liebe und Freundschaft in Angst und Hass umschlagen können. Das ist unsere Geschichte.

Wie haben Sie sich vorbereitet?
Indem ich sehr viele Fragen stellte. Ich fand zum Beispiel, dass meine Figur die längste Zeit sehr zivilisiert mit diesen Unterstellungen umgeht, bevor sie sich endlich wehrt. Ich wäre, ehrlich gesagt, nicht so lange so zurückhaltend geblieben.

Es gibt eine Szene, wo Lucas einem feindseligen Fleischhauer eine Kopfnuss versetzt. Das Publikum in Cannes applaudierte. Ist Ihnen so eine Reaktion recht?
Es ist keine Geheimnis, dass Thomas Vinterberg und ich schon längst viel früher so etwas Ähnliches gemacht hätten. Insofern haben wir diese Szene richtig genossen. Aber es ging nicht darum, den Fleischhauer zu demütigen, sondern darum, dass unser Held endlich den Mut findet, sich zu wehren.

Lucas’ beste Freunde lassen sich recht leicht davon überzeugen, dass er ein Täter ist. Konnten Sie das nachvollziehen?
Es gab keine einzige Figur, die ich nicht nachvollziehen konnte. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind wird von Freunden auf eine Party eingeladen und dort sagt jemand zu ihm: „Halt’s Maul, du bist zu laut.“ Ich versichere Ihnen, Sie werden tödlich beleidigt sein und die nächsten zwei Jahre Ihr Kind nicht zu diesen Leuten lassen. Und jetzt stellen Sie sich vor, es gibt den Verdacht, jemand hätte Ihr Kind sexuell belästigt. Da hört sich einfach alles auf.

Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass Sie hier eine für Sie eher untypische Rolle spielen?
Es ist egal, welche Rolle ich spiele, es heißt immer, sie sei für mich untypisch. Als ich erstmals in „Pusher“ einen Drogendealer spielte, sagten alle: Was, der ist doch so lieb? Als ich einen Schwulen spielte,hieß es, wieso der? Der ist doch eher der kriminelle Typ. Und so weiter. Ich denke darüber, ehrlich gesagt, überhaupt nicht nach.

Offenbar zirkulieren sehr unterschiedliche Bilder von Ihnen ...
... die immer alle im Auge des Betrachters liegen. Und alle sind falsch (lacht). Das passiert oft, dass Leute sagen: „Ich sehe etwas in dir, was die Welt noch nie gesehen hat. Ich werde dich neu erfinden!“ Aber mir ist das egal. Schauspiel ist Schauspiel. Und wenn irgendwer glaubt, er hat Mads Mikkelsen erfunden – mir soll’s recht sein.

Ihre Flexibilität kommt eben gut an.
Ja, ich habe Glück. Aber wenn ich im nächsten Film das Gleiche machen muss, wie in diesem Film, ist mir das auch egal – solange es ein guter Film ist. Ich suche nicht die Herausforderung. Wenn ich mich herausfordern will, dann klettere ich auf den verdammten Mount Everest.

Tobias Lindholm wollte ein Drehbuch über eine Hexenjagd schreiben: darüber, wie sich vorgeblich sanftmütige und zivilisierte Menschen plötzlich in einen aggressiven Mob verwandeln. Der dänische Drehbuchautor und Regisseur arbeitete bereits zum zweiten Mal mit Thomas Vinterberg zusammen und schrieb mit ihm gemeinsam das Script für „Die Jagd“.

„Was würde mich selbst zum Killer machen?“, fragte sich Lindholm und fand schnell die Antwort: „Wenn jemand etwas meinen Kindern antun würde.“

Die „Paranoia der Eltern“ nennt Lindholm jenes Phänomen, das Menschen mit Kindern oft befällt und in ihren Reaktionen auf (vermeintliche) Gefahren sehr schnell (über-)reagieren lässt: „Das Schlimmste, das uns in unserer Gesellschaft passieren kann, ist, wenn wir als Eltern versagen“, meint Lindholm im KURIER-Interview. „Das ist unsere größte Angst. Mit schlechtem Gewissen stecken wir unsere Kinder in die Tagesbetreuung. Und wenn ihnen dort etwas passiert, dann ist das ein Beweis dafür, dass wir sie nicht genug geliebt haben.“

Keinesfalls wolle er Vorfälle von Kindesmissbrauch kleinreden, beteuert Lindholm. Gleichzeitig aber führe die große Angst um die Kinder auch zu übertriebener Vorsicht, wie etwa in den dänischen Kindergärten: Dort ist es verboten ist, dass Kinder Handschuhe mit Schnüren tragen – „weil sie sich damit erwürgen könnten“.

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