Herwig Turk im KunstHaus Wien: Eine Flusslandschaft geht zum Arzt

Herwig Turk im KunstHaus Wien: Eine Flusslandschaft geht zum Arzt
Der Künstler präsentiert sein Langzeitprojekt über den Tagliamento, einen der letzten "wilden" Alpenflüsse

Wer schon einmal mit dem Auto von Kärnten kommend auf Urlaub an die obere Adria gefahren ist, kennt den Tagliamento als ein weites Geröllfeld, das die Autobahn auf dem Weg nach Bibione oder Lignano kreuzt.

Tatsächlich gehört dem Tagliamento eines der wenigen noch unverbauten Flussbetten Europas – eine Landschaft, die sich im Wechsel von Überschwemmungs- und Trockenperioden ständig verändert und die Kriege und Katastrophen erlebt hat, darunter das Erdbeben, das 1976 die Region Friaul erschütterte. Heute zieht es Wissenschafter hierher, die die Ökosysteme der urtümlichen, aber keineswegs unberührten Landschaft studieren.

Herwig Turk im KunstHaus Wien: Eine Flusslandschaft geht zum Arzt

Das alles ist mehr, als sich mit einem schönen Bild sagen lässt, wie Herwig Turk weiß: „Ich versuche eine Dekonstruktion und Aufsplitterung“. Der aus Kärnten stammende, in Wien lebende und lehrende Künstler legt seine Projekte meist im Austausch mit wissenschaftlichen Disziplinen an, borgt sich Vokabular und Instrumentarien von anderswo aus. In der „Garage“ des KunstHaus Wien präsentiert Turk nun seine fotografischen und filmischen Erkundungen, die er seit vier Jahren am Tagliamento betreibt, unter dem Motto „Anamnese einer Landschaft“ (bis 16. 5.).

Entsprechend der ärztlichen Bestandsaufnahme sind Fotografien teils auf Röntgen-Leuchtkästen montiert, teils auf einem Paravent aufgebracht, wie er in Krankenhäusern zwischen Betten verwendet wird. Turk spielt auch mit Formaten oder der Ausrichtung der Bilder, um zu verhindern, dass sich alles vorschnell in eine abgeschlossene Erzählung fügt.

Herwig Turk im KunstHaus Wien: Eine Flusslandschaft geht zum Arzt

Der italienische Patient

Dass der Tagliamento ein kranker Patient sei, lässt sich dabei nicht so eindeutig sagen. Wie Turk in einem Abschnitt seiner Präsentation vorführt, wird etwa just der Zivilisationsmüll – weggeworfene Flaschen oder Autoreifen – teilweise von der Natur integriert, bildet im Verbund mit Schwemmholz und Gestrüpp wieder einen Nistplatz oder Laichplatz für Tiere.

Sehr wohl sieht Turk den Fluss aber im Spannungsfeld verschiedenster Begehrlichkeiten. Ein sanfter Tourismus ließe sich hier verwirklichen – aber auch das Interesse an der Kiesgewinnung und der Schaffung von Bauland spielt eine Rolle. „Alles, worauf wir unsere Zivilisation aufbauen, zerstört auch Lebensräume“, fasst Turk die Ambivalenz zusammen. Er selbst verhehlt nicht, dass ihm der Erhalt der Landschaft ein Anliegen ist. Er möchte aber nicht mit erhobenem Zeigefinger zu Werke gehen, sondern den Sinn für Zusammenhänge schärfen: Denn was mit den Wäldern, den Bergen und dem globalen Klima geschehe, bilde sich letztlich auch im Flusslauf ab.

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