KURIER: Lieber Nitsch, wie ist es dir während der Corona-Krise ergangen?
Hermann Nitsch: Ich will das Wort nicht hören – im Interview. Die Epidemie hat mich belästigt, mir Angst gemacht. Und die Angst hab’ ich noch immer.
Du hast in deinem Schloss Prinzendorf gearbeitet?
So wie immer.
Mehr als sonst, weil man nicht raus durfte?
Gott sei Dank ist das Schloss groß genug. Nein, nicht mehr als sonst.
Hier in Mistelbach zeigst du neue Arbeiten. Auffallend sind fröhliche Farbkombinationen – etwa aus Orange und Rosa. Ist das für dich eine Weiterentwicklung?
Ich habe mich, wie du weißt, schon früh mit Farben auseinandergesetzt. Meine Malerei hat sehr viel mit der Ausweidung eines Tieres zu tun. Auch da gibt es eine Vielzahl von Farben. Es ging mir immer um die Substanz, um die Materie der Farbe. Ich wollte in Farbe wühlen, die Farben kneten. Am Anfang stand das Rot und das Blut, auch das Schwarz. Und später habe ich alle Farben des Regenbogens eingesetzt. Zunächst sparsam. Aber dann hab’ ich mich immer mehr in die Welt der Farben hineinbegeben. Du wirst dich erinnern können: Hier im Museum gab es 2009 eine große Malaktion, die Wolfgang Denk, damals der Direktor, „Kathedrale der Farbe“ genannt hat.
Die Farben waren aber gedeckter und schwerer …
Ja, es waren alle Farben da, aber nicht in dieser Helligkeit und Blumenbezogenheit wie jetzt. Die Malerei ist die gleiche geblieben, dieses Mal eben dominierend in diesen Farbtonarten. Das hat sich in den letzten zwei Jahren entwickelt. Je älter ich werde, desto mehr interessieren mich Harmonien. Auch das hängt mit meiner Musik zusammen.
Am Anfang stand das Lärmorchester …
Und jetzt schalte ich viel mehr die Harmonik ein, zum Beispiel die Tonarten C-Dur oder g-Moll, eingebettet aber in die Lärmmusik und Ganzton-Cluster. Ja, meine Arbeit hat sich in Richtung Farbe entwickelt. Blut und Fleisch wird zu Blumenfleisch.
Welche Empfindungen willst du beim Betrachter auslösen? Heiterkeit?
Meine Malerei ist das, was sie ist. Und wenn sie etwas auslöst, dann freut es mich. Also: Wenn sich jemand positiv gestimmt fühlt, soll es mir recht sein. Ich sage: Diese Malerei hat etwas mit Auferstehung zu tun, mit einem strahlenden Erwachen im Sein.
Blickst auch du dem Tod und dem Jenseits gelassen entgegen?
Meine Philosophie möchte den Tod überwinden. Und es gibt große Augenblicke, da sehe ich mich im Mittelpunkt der Welt. Da habe ich das Gefühl, dass ich alles war und dass ich alles sein werde. Die Blumen sind in mir – und ich bin in den Blumen. In diesen Augenblicken taucht man in das ewige Leben ein – in den Vollzug dessen, dass alle Lust Ewigkeit will. Ich glaube an die ewige Wiederkehr: Wir kehren immer wieder, wir sind da. Aber ich sage nicht, dass ich keine Angst vor dem Tod habe. Mir geht es wie den Kindern vor dem Einschlafen.
Welche Farben du für einen Zyklus einsetzt: Ergibt sich das einfach – oder triffst du eine bewusste Auswahl?
Ich würde sagen: Meine Arbeit ereignet sich vegetativ. Es ist wie im Frühling: Zuerst kommen die Schneeglöckerln, dann die Maiglöckerln, dann die Pfingstrosen und die Rosen … Vielleicht spiegelt die Malerei auch die Stimmung des Alters wider? Indem man in die Richtung eines strahlenden C-Dur-Finales arbeitet. Und meine Bilder sind immer parallel zu Klängen und Tönen. Das lässt sich nicht voneinander trennen.
Hörst du eigentlich Musik beim Malen?
Komischerweise nein. Ich trinke auch keinen Alkohol. Weil mich das Malen selbst so berauscht.
Tatsächlich?
Bei den großen Malaktionen hatte ich immer einen Stab von Assistenten rund um mich. Und am Abend sind wir zum Heurigen gegangen. Wir haben uns beim Weinkeller in die Felder gesetzt und oft bis zum Sonnenaufgang durchgetrunken. Aber ich bin nie alkoholisiert in den Ring gestiegen. Schon von Anfang an, auch bei der Aktionsmalerei: Da war eine gewisse Ekstase und Erregung intendiert, die ich hoffentlich erreicht habe – und die durch meine Bilder und mein Orgien Mysterien Theater seismografiert wurden.
Am zweiten Sechs-Tage-Spiel hältst du fest?
Ja, ich arbeite weiter an der Partitur. Es verlangt natürlich eine gewaltige Organisation. Beim ersten Mal, 1998, hatten wir 500 Mitwirkende. Wir wollen es trotzdem realisieren – Ende Juli, Anfang August nächsten Jahres. Das neue Sechs-Tage-Spiel wird vielleicht schlanker sein, aber die Musik wird eine größere Rolle spielen.
Am 7. Juni hättest du unter dem Titel „Orgelmysterium“ ein Konzert im Dom von St. Pölten geben sollen.
Es musste verschoben werden – wegen dieser … jetzt sag’ sogar ich im Interview: Corona-Krise! Aber es wird stattfinden! Am 8. November. Ich spiele zusammen mit dem Domorganisten Ludwig Lusser, der mein Orgelspiel sehr schätzt. Und mit einem Chor. Und Renato Zanella, der ehemalige Direktor des Staatsopernballetts, wird eine Choreografie beisteuern. Der Abend ist also auf dem Weg zum Gesamtkunstwerk.
Hat Corona für dich negative Auswirkungen gehabt? Weil vielleicht Verkäufe ausgeblieben sind?
Ich habe schon mehrere Krisen erlebt. Es leiden immer die Jüngeren darunter. Und ich war viele Jahre einer der Jüngeren. Aber wenn
sich eine Arbeit durchgesetzt hat … Nein, ich kann mich nicht beklagen. Es gibt nur Verschiebungen. Jetzt aber kommen Ausstellungen in Graz, ab 11. Juli in der Galerie Zimmermann Kratochwill, in Bukarest und in Genf. Mitte September folgt eine Neuhängung samt Aktion in unserem Museum in Neapel.
Diese Reise scheust du also nicht – trotz Corona…
Auch ohne Corona ist Reisen nicht mehr angeraten. So einen alten Herrn schickt man nicht mehr in die Ferne. Aber so lange ich es noch kann, nehme ich die beschwerlichen Reisen auf mich. Ich war zuletzt in Australien und in New York. Aber Neapel ist ja nicht weit.
Kommentare