Ein so perfektes Produkt wie Persil plus Pathos
Die Schreckensmeldung für gut 90.000 Kartenbesitzer (Dienstag u. Mittwoch, Ernst-Happel-Stadion, 19.30 Uhr) geisterte Freitagmittag über stern.de durchs Netz, freilich unter "Vermischtes", nicht als "Breaking News": "Fan entführte Helene Fischer!" Laut Polizeidienststelle Soest hatte ein Unbekannter im westfälischen Geseke sein Idol gepackt und sich per Skateboard davongemacht, doch handelte es sich dabei lediglich um eine lebensgroße Pappfigur der Sängerin aus dem Flur eines Mehrfamilienhauses.
Zweifler und Verzweifler am atemlosen Erfolg Fischers fragen sich: Worin läge der Unterschied zum Original?
Nun, der Triumphzug der gebürtigen Russin (Jelena Petrowna Fischer aus Krasnojarsk in Sibirien), die mit vier, als Tochter eines Sportlehrers und einer Ingenieurin, nach Rheinland-Pfalz übersiedelt war, ist nicht von Pappe & schwillt seit einem Jahrzehnt zum "Phänomen" (so der Titel eines ihrer Hits): "Du, bist ein Phänomen / Du, kannst die Erde drehen / Du, dich fängt niemand ein."
Mit kleinen Melodien und großen Gefühlen ist die hochbegabte, blitzsaubere Beauty in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Man könnte es "Helenismus" nennen: Keiner aus ihrem – glücklich glühenden – Gefolge geniert sich, sie zu lieben. Warum auch? 533 Wochen waren Fischers Tonträger (bisher 8,2 Mio. verkaufte Exemplare, siehe Grafik re.) in den Top 100. Damit liegt sie noch hinter ihrem "Gegenentwurf" Andrea Berg (701), aber weit vor Robbie Williams (463).
Records und Rekorde
Das zierliche Energiebündel – mit 1,58 immerhin drei Zentimeter größer als Lady Gaga – kreierte gar ein eigenes Parfum: "That’s me". Also: Records und Rekorde duften nach einer Lizenz zum Gelddrucken. "Helene Fischer" ist ein perfektes Produkt. Das hat sie sogar amtlich: Seit 28. Oktober 2010 ist ihr Name im Register des "Deutschen Patentamts" offiziell als Marke eingetragen. Die Sauber- und Zauberfrau der Schlagerwelt ist wie Persil mit einer Extraportion Pathos. Mehr können Sie für Ihre Psyche nicht tun, guten Abend. Dazu gehört ein porentief pures Privatleben: Goldkehlchen & Silbereisen!
Magie des Mittelmaßes
Der romantische Zufall will es, dass sie ihren ersten TV-Auftritt ("Hochzeitsfest der Volksmusik", 2005) als Helen Fisher just an der Seite des Moderators Florian Silbereisen (33) mit einem Operetten-Medley absolvierte – "Nimm, Zigeuner, deine Geige". Seit 2009 gelten die beiden als Paar. Angeblich wird er auf der Straße öfter erkannt, obwohl sie dem einstigen Frisur- und Outfit-Role-Model für Autoverkäufer und Dorf-Disco-Doormen löblicher Weise ein völlig neues, auch in verbautem Gebiet herzeigbares Styling verpasste. Sie selbst ist stilistisch auch sehr weit herumgekommen.
Sehr schön, sehr präzise, sehr gekonnt – und sehr glatt. Kritiker monieren das Fehlen jedweder Bruchlinie. So atemlos wie makellos. Gibt es denn höchstes Niveau ohne zweite Ebene oder doppelten Boden? Ist es nicht eher die Magie des Mittelmaßes? Selbst fünf kokette Kostümwechsel pro Konzert – vom "kleinen Gelben" übers knallenge Silberfederne bis zum glitzernden Giftgrünen – befreien Fischer nie vom Doris-Day-Appeal. Über Hollywoods "Parade-Prüde" hatte Groucho Marx einmal gemutmaßt: "Ich bin sicher, dass sie unter ihrem Slip noch einen trägt." Huch, verrucht!
Inbegriff des Deutschen
Als Die Welt den Oasis-Sänger Noel Gallagher mit "Atemlos" befasste, sagte der: "Das ist ja furchtbar! – Gott, können wir das bitte ausmachen? Das ist nicht mal Musik. Okay, bringt irgendwem sehr viel Geld – mich macht es sehr, sehr traurig." Der Philosoph Peter Sloterdijk hält Fischer in Bild für den "Inbegriff des Deutschen, sogar blond. Heute muss man durchschnittlich sein, um den Menschen zu gefallen."
533 Wochen in den Top 100
8,2 Millionen verkaufte Tonträger (44 x Gold, 12 x Platin)
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13 Millionen Euro verdient sie heuer
21 Songs in 5 Outfits in 2,5 Stunden
250.000 Euro kostet ein privater Auftritt
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