Hanekes historische Titelverteidigung in Cannes
Niemals zuvor in der Geschichte der Filmfestspiele von Cannes hat ein Regisseur so kurzfristig hintereinander die Goldene Palme bekommen wie Michael Haneke. Ohnehin gelang es bisher nur sieben Regisseuren, einen derartigen Zweifachsieg zu erzielen. So gesehen war es überraschend und doch auch irgendwie erwartbar, dass Haneke – bereits 2009 für "Das weiße Band" ausgezeichnet – für "Amour" erneut die höchste Auszeichnung erringen konnte.
"Amour", das zärtlich-grausame Liebesdrama um ein altes Musiker-Ehepaar in den letzten Wochen seines Lebens, zählte von Anfang an zum Favoriten dieses Festivals. Man war sich einig, dass Haneke einen für ihn ungewohnten, liebevollen Blick auf die Menschen geworfen und damit ein grandios-berührendes, zutiefst erschütterndes Filmmeisterwerk geschaffen hatte.
"Lange Zeit war ich darauf abgestempelt, ein Spezialist für Gewalt zu sein", sagte Haneke in Cannes: "Journalisten suchen immer nach Labels. Ich selbst möchte mir aber keinerlei Grenzen setzten."
Ob er ein Romantiker geworden sei? "Wenn Sie wollen", so Haneke leutselig, "damit habe ich kein Problem."
Persönliche Erfahrungen in der Familie haben ihn dazu gebracht, einen Film über das Sterben eines geliebten Menschen zu machen: "Gleichzeitig ist ,Amour" aber auch der Ausdruck eines Versprechens, das meine Frau und ich uns gegeben haben: Wenn wir je in so eine Situation kommen, uns nicht allein zu lassen."
Hanekes fantastische Hauptdarsteller – der große alte Mann des französischen Kinos, Jean-Louis Trintignant, und die hervorragende Emmanuelle Riva – trugen maßgeblich zum Erfolg dieses eindringlichen Meisterstücks bei.
Wie Jury-Präsident Nanni Moretti verlautete, wurde innerhalb der Jury debattiert, die Schauspieler mit Auszeichnungen zu ehren. Doch die Goldene Palme sei eben die Goldene Palme, so Moretti. Und Mehrfachauszeichnungen wären nicht möglich.
Dass ein Österreicher damit die Goldene Palme gewonnen hat, steht außer Frage. Aber ist "Amour" ein "österreichischer" Film? Die Besetzung ist rein französisch, die Produktionsmittel kommen aus Österreich, Deutschland und Frankreich. Aber natürlich: Aufseiten der Politik wird der Sieg des österreichischen Kinos gefeiert, obwohl kein politischer Vertreter es der Mühe wert gefunden hatte, zu den Premieren von Haneke oder Ulrich Seidl nach Cannes zu reisen.
Umstritten
Keine der Jury-Entscheidungen sei einheitlich gewesen, so Moretti. Unterschiedliche Kaliber wie Modedesigner Jean Paul Gaultier, die britische Regisseurin Andrea Arnold oder Schauspieler wie Diane Kruger und Ewan McGregor gingen nicht leicht unter einen Hut. Zu den umstrittensten Filmen gehörten jene des Franzosen Leos Carax, des Mexikaners Carlos Reygadas und – des Österreichers Ulrich Seidl. Bis knapp vor der Preisverleihung war heftig debattiert worden, wer von diesen einen Preis gewinnen sollte. Die Reygadas-Fraktion setzte sich (leider) mit dem Regie-Preis für "Post Tenebras Lux"durch, während Seidl mit "Paradies: Liebe" und Carax mit "Holy Motors" – unverständlicherweise – leer ausgingen.
Was bleibt von Cannes 2012? Ein durchwachsener Wettbewerb, in dem der beste Film gewann. Für die Vergabe der anderen Preise aber hätte man sich mutigere Entscheidungen für die mutigeren Filme gewünscht.
Zwei Palmen und ein Globe
Hanekes wichtigste Wettbewerbsteilnahmen und Preise im Überblick:
1997, Cannes: "Funny Games" im Wettbewerb – als erster österreichischer Film überhaupt
2001, Cannes: "Die Klavierspielerin" erhält den Großen Preis der Jury
2002, Berlin: "Die Klavierspielerin" erhält den Deutschen Filmpreis
2005, Cannes: "Caché" wird für die Beste Regie ausgezeichnet
2005, Europäischer Filmpreis: "Caché" erhält die Preise für denBesten Film und die Beste Regie
2009, Cannes: "Das weiße Band" erhält die Goldene Palme
2009, Europäischer Filmpreis: "Das weiße Band" erhält die Preise als Bester Film , für die Beste Regie und das Beste Drehbuch
2010, Golden Globes: "Das weiße Band" ist der Beste ausländische Film
2010, Oscars:"Das weiße Band" ist für den Auslands-Oscar und für die Beste Kamera nominiert
2010, Berlin: "Das weiße Band" erhält den Deutschen Filmpreis in zehn Kategorien
2012, Cannes: "Amour" erhält die Goldene Palme , nur sechs Regisseure vor ihm konnten zwei Goldene Palmen gewinnen.
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Hintergrund
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