Handke-Uraufführung: Nicht irre, nur langweilig

Man spürt die Anstrengung. Immer hat man das Gefühl: Die wollen mich jetzt mit aller Kraft überwältigen. Und wehrt sich instinktiv dagegen.
Salzburger Festspiele: "Zdeněk Adamec" ist vielleicht die erste Corona-Inszenierung der Geschichte - jeder bleibt für sich.

Wenn man nach einer Stunde im Landestheater Salzburg auf die Uhr schaut und es sind erst 30 Minuten vergangen, dann kommen die bösen Fragen.

Etwa: Soll man jetzt froh sein, dass es coronabedingt keine Pause gibt, weil es dann schneller vorbei ist – oder diese Tatsache eher bedauern, weil  man sich nicht mit  einem Bier stärken kann?

Wie ist das Qualifying in Silverstone eigentlich ausgegangen?

Und: Wäre dieser Text nicht von Peter Handke, sondern von Max Huber oder Chantal-Tiffany Kronawidleitner – würden ihn die Salzburger Festspiele ebenfalls spielen? Oder irgendein  anderes Theater? Gibt es, außer der Tatsache, dass er von einem Nobelpreisträger stammt, einen Grund, den Text auf die Bühne zu bringen?

An dieser Stelle schämt man sich wohlerzogen seiner Ort und Anlass nicht angemessenen Gedanken und stellt ernsthaftere Überlegungen an.

Totale Demokratie

Etwa über das Thema dieses Stücks: Im März 2003 verbrannte sich der 18-jährige Schüler Zdeněk Adamec in Prag selbst. In einem an die Öffentlichkeit gerichteten Abschiedsbrief, dar sich liest wie der rührend ernsthafte Schulaufsatz eines übersensiblen Teenagers, macht er den Zustand der Welt für seine unfassbare Tat verantwortlich.

Adamec schreibt von „Protesten gegen das Böse“: „Die ganze Welt ist bereits von Geld dominiert und verdorben.“ Er erwähnt Kriege, Umweltzerstörung, Drogen, Alkohol und Gewalt im Fernsehen, das er „eine satanische Erfindung“ nennt und führt als Beispiel die Trickfilme um „Tom und Jerry“ an.

Schließlich fordert Adamec die Einführung der „totalen Demokratie“ – über jedes einzelne Gesetz solle abgestimmt werden. Er schließt mit den Worten: „Mehr über mich erfahrt ihr aus der Zeitung. Bitte, macht keinen Irren aus mir.“

Einen Irren hat man nicht aus ihm gemacht – er wurde vergessen. Im Unterschied etwa zu Jan Palach, der sich 1969 aus Protest gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakt in der Tschechoslowakei selbst verbrannte, wurde aus Adamec kein „Held“ – es gibt nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag über ihn.

Als Stück getarnt

Diese in ihrer Radikalität empörende Lebens- und Sterbensgeschichte  wäre ein packendes Thema für ein Theaterstück.  Peter  Handke hat aber kein Stück geschrieben, sondern einen als Stück getarnten Essay, wie immer anspielungsreich, assoziierend, oft vage, poetisch und manchmal auch ein wenig plump.

Die Handke-erprobte Regisseurin Friederike Heller hat die Sätze auf  sieben Personen aufgeteilt, die in einer Art Tragwerks-Industrie-Kathedrale (Bühne: Sabine Kohlstedt) ein nicht näher definiertes „Fest“ feiern und dabei über Adamec, sich selbst und das Denken an sich nachdenken.

Das klingt anstrengend und ist es auch. Vor allem deshalb, weil Heller den Text offenbar durch Langsamkeit mit Bedeutung aufladen will. Man könnte das Stück locker in einer Stunde durchspielen, in Salzburg werden festspielschwere zwei Stunden daraus, in denen sich auch die Drehbühne dreht und eine (sehr gute) Band musiziert.

Corona-Inszenierung

Diese sich dahinschleppende Aufführung ist vielleicht auch die erste typische Corona-Inszenierung: Die Darsteller bleiben (meist) auf Abstand und interagieren kaum miteinander. Würden sie Masken tragen, wie der Großteil des Publikums im nur zu einem Drittel besetzen Landestheaters, wäre es nur konsequent.

Christian Friedel, Luisa-Céline Gaffron, André Kaczmarczyk,  Eva Löbau, Nahuel Pérez Biscayart, Sophie Semin und Hanns Zischler geben alles, um dem Abend Nachhaltigkeit zu verleihen. Vor allem Kaczmarczyk greift tief in die Trickkiste seiner beeindruckenden darstellerischen Fähigkeiten.

Das Problem dabei: Man spürt die Anstrengung. Immer hat man das Gefühl: Die wollen mich jetzt mit aller Kraft überwältigen. Und wehrt sich instinktiv dagegen.

Das Publikum – der KURIER sah eine Vorpremiere – spendete ermüdeten Applaus. Zdeněk Adamec wurde nicht zu einem Irren gemacht. Sondern, schlimmer, zu einem Langeweiler.

 

 

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