Gunkl: "Blödheit ist wie Hornhaut - jeder hat die Anlagen dazu“
Der Kabarettist, Musiker und „Experte für eh alles“, Günther „Gunkl“ Paal, wurde vergangenen Mittwoch 60 Jahre alt. Groß gefeiert hat der Wiener aber nicht, denn „jedes vermiedene Fest ist für mich ein gewonnener Abend“, sagt der Jubilar im Interview. Er habe sich dann persönlich auch nichts gewünscht, denn er sei mit seiner Lebenssituation „echt zufrieden“.
KURIER: 60 Jahre. Wie klingt das? Und vor allem: Wie fühlt es sich an, 60 Jahre auf dieser Welt zu sein?
Gunkl: 60 Jahre klingt wie eben eine Zeitspanne, ich werde bei dieser Zahl nicht „tachykard“. Und es fühlt sich nicht anders an, als es die letzten paar Jahre für mich getan hat. Man bemerkt einen gewissen körperlichen Verfall, aber das ist bewältigbar.
Was wurde Ihnen mit zunehmenden Alter wichtiger, was weniger wichtig?
Was mit zunehmendem Alter tatsächlich wichtiger wird, ist, zu wissen, wo die nächste Toilette ist. Weniger wichtig werden große Ziele, die man sowieso bis jetzt nicht erreicht hat.
Wie gehen Sie mit dem Begriff Altersweisheit um? Gibt es so etwas überhaupt?
Vermutlich gibt es das Phänomen der Altersweisheit, aber es ist darauf zu achten, dass man nicht jedes präsenile Phlegma dafür hält.
Apropos Altersweisheit: Was würden Sie einem Jugendlichen mit auf dem Weg geben?
Du wirst draufkommen, und manchmal wirst du draufkommen, dass du dich da geirrt hast. Sei da aufmerksam und merke dir die Grammatik deiner Irrtümer.
Sie wirken so, als wären Sie ein genügsamer Mensch. Welchen Luxus gönnen Sie sich hin und wieder Mal?
Ich gönne mir den Luxus, mit meiner immer bemessener werdenden Zeit verschwenderisch umzugehen.
Sie wirken stets besonnen. Was bringt Sie aus der Ruhe, was zur Weißglut?
Dummheit, die sich für Haltung hält, bringt mich tatsächlich innerlich in Wallung. Aber mit Weißglut habe ich nur zu tun, wenn ich in der Schmiede bin, und da muss man so konzentriert und sauber arbeiten, dass man da keinen Dampf ablassen kann. Wenn man da halt nur fest draufhaut, ärgert man sich nachher mehr als vorher. Man macht etwas richtig, und dann ist es wieder gut.
Würden Sie sich als Misanthrop bezeichnen?
Nein. Dass ich nicht gerne schwimmen gehe, macht mich ja auch nicht zum Meereshasser. Ich kann gut – eigentlich besser – alleine. Aber alle sollen es so fein haben, wie sie nur können. Das wünsche ich ihnen wirklich.
Können Sie über sich selbst lachen?
Wenn mir etwas passiert, was ich an anderen auch lustig fände, kann ich sehr herzlich über mich lachen. Und – weil kein Misanthrop – bin ich bei mir selbst da auch ein bisserl großzügiger.
Themenwechsel: Wie sind Sie eigentlich kabarettistisch sozialisiert worden?
Wir haben es zu Hause immer humorvoll gehabt, entspannt und mit klarem Blick auf die Welt, insofern kann man sagen, dass ich im Sinne eines mentalen und kognitiven Rüstzeugs kabarettistisch sozialisiert worden bin.
Welcher Humor gefällt Ihnen eigentlich privat? Gibt es da Vorbilder?
Heute habe ich auf Youtube einen jungen Mann entdeckt – Daniel Thrasher – über den kann ich echt laut lachen. Großartig. Vorbilder gibt es für mich ein paar, unter anderem Jochen Malmsheimer, Andreas Rebers und Thorsten Sträter. Die sind aber nicht Vorbilder in dem, was sie tun, da muss jeder Seines machen, sondern indem sie eben Ihres machen, so wie sie sind und das für richtig halten. Vorbildlich!
Sie gelten als der Philosoph unter den Kabarettisten, als Oberlehrer. Woher kommt all das Wissen?
Naja, wenn es jemanden gäbe, der als Kabarettist unter Philosophen gilt, dann wäre das auch noch nicht zwingend ein Kabarettist. Mit dem, als was man gilt, sollte man sehr vorsichtig im Selbstbild sein. Und weil mich vieles interessiert, weiß ich ein paar Sachen über ein paar Sachen. Für „all das Wissen“ ist das zu wenig. Ich habe das große Glück in meinem Leben, ein paar Menschen zu kennen, die wirklich was wissen, und da weiß ich, dass das, was ich weiß, echt schmal ist.
Was bedeutet Kabarett für Sie?
Kabarett als Beruf für mich bedeutet, Soll-Ist-Verscherungen in der Welt zu erkennen, und sie in ihren Grundlagen unterhaltsam darzustellen.
Wie sind Sie eigentlich zum Kabarett gekommen, wie kabarettistisch sozialisiert worden?
Also, wir haben es zu Hause immer humorvoll gehabt, entspannt und mit klarem Blick auf die Welt, insofern kann man sagen, dass ich im Sinne eines mentalen und kognitiven Rüstzeugs kabarettistisch sozialisiert worden bin.
Das Politische ist Ihnen im Programm ja fremd. Ist das nicht ein Nachteil, lässt man da einige aufgelegte Lacher liegen?
Dieser Nachteil, so das denn überhaupt einer ist, wird mehr als aufgewogen dadurch, dass ich nicht jedes Mal mein Programm umschreiben muß, wenn irgend einem Politiker wieder einmal ein Blödsinn aus dem Gesicht plumpst.
Kabarett war eigentlich immer auch politisch. Warum ist Ihnen das Politische im Kabarett nicht wichtig?
Mich interessieren nicht so sehr die Ereignisse als deren Grundlagen. Ereignisse wechseln, die Grundlagen bleiben, und vor allem bleiben sie weitgehend unbeachtet. Daher können die Ereignisse in dieser Kryptopetrischale auch so ungehindert wuchern.
Wie beurteilen Sie die derzeitige Lage in der heimischen Kabarettszene?
Was die Auftrittssituation angeht, ist es seit Corona schütter, aber für diese Analyse muss man kein Wirtschaftswissenschafter sein. Und was das Personarium angeht, freut es mich, dass es viel Nachwuchs gibt. Wer davon bleibt, wird sich weisen. Ich würde es den jungen Kollegen wünschen, dass sie in einer Situation beginnen, die nicht so ein engmaschiges darwinistisches Raster anlegt, weil bei grundsätzlich viel Publikum auch Nischenkünstler ein Auskommen finden. Und die Nischen find ich besonders interessant.
Ihr neues Programm heißt: "So und anders - eine abendfüllende Abschweifung". Es dreht sich im Großen und Ganzen um den „Conditio Humana“. Wie tickt die aktuelle Gesellschaft (jetzt mal auf Österreich beschränkt)?
Ich habe den schrecklichen Verdacht, dass Blödheit so etwas ist wie Hornhaut; jeder hat grundsätzlich die Anlagen dazu (ein paar stärker, ein paar schwächer), und wenn die Bedingungen nicht danach sind, kommt es nicht dazu, dass sie sich entwickelt. Und wenn nach ein paar Jahren in behütetem Umfeld, wo die Reichweite von Stammtischdiskussionen auf die unmittelbar Anwesenden beschränkt ist, was für diese Beteiligten das Gewicht der dort verhandelten Standpunkte auch als so gering, wie es ist, veranschaulicht, wenn dann in sozialen Medien das, was in kleiner Runde herausgeblökt und anderntags wieder vergessen wird, wenn das auf einmal schriftlich vorliegt, und das auch noch auf einem Bildschirm, über den man alles Wichtige und damit Gültige über die Welt erfährt, und das auch noch in einem Wettbewerb um Zuspruch für die absurdesten Behauptungen stattfindet, dann wird die unterschwellige Blödheit leicht einmal überschwellig. Das war jetzt ein langer Satz, aber man kann ihn ja langsam lesen.
Wie man derzeit wieder sieht, scheint der Mensch aus der Geschichte nicht viel zu lernen. Warum ist das so?
Ich befürchte, das ist so, weil wir als Gattung metaphorisch den Ast von dem Baum, von dem wir runtergestiegen sind, noch in der Hand haben, aber über die Jahrhunderte lockert sich dieser Griff.
Haben Sie Hoffnung, dass die Menschheit sich grundsätzlich und positiv weiterentwickelt?
Das muss man nicht einmal hoffen, dazu gibt es ein Buch von Steven Pinker „Gewalt“, in dem er nachweist, dass die Menschheit sich tatsächlich positiv entwickelt, aber da muß man halt schon auf der ganz langen Strecke denken. So, von einem Jahrzehnt aufs andere gibt es immer wieder deutlich Rückschläge.
Sie stehen eigentlich dauern auf der Bühne, spielen im Monat durchschnittlich zehn Mal. Treten Sie eigentlich gerne auf oder ist das ein lästige, aber überlebensnotwendige Pflicht?
Ich spiele gerne, erstens, weil das der für mich der wie gesagt beste denkbare Beruf ist, und außerdem kann ich jeden Abend etwas richtig machen, und zwar so, wie ich es will. Das ist doch großartig.
Auf Ihrer Homepage veröffentlichen Sie täglich den Tipp des Tages. Wie kam es dazu? Und haben Sie einen Tipp des Tages für unsere Leserinnen und Leser?
Den Tipp des Tages habe ich mir irgendwann eingebildet, weil ich die Idee lustig gefunden habe, jeden Tag irgendwas Abseitiges in die Welt zu stellen. Allerdings habe ich mir dabei nicht überlegt, dass ich dabei kein Ende festgelegt habe. Und weil ich titeltreu bin, gibt es das seit über zwanzig Jahren. Das meiste dabei ist, wie bereits gesagt, abseitig, aber ein paar Tipps sind schon sinnvoll. Zum Beispiel: Vermeiden Sie Gespräche, in denen die Frage „Wie hast du das gemeint?“ berechtigt ist.
Wie können Sie sich als "Experte für eh alles", wie sie in Alfred Dorfers TV-Show "Dorfers Donnerstalk" bezeichnet wurden, den Krieg in der Ukraine erklären?
Das ist das erste Mal, dass von mir eine Kriegserklärung verlangt wird. Das hat, denke ich, ohne da auch nur irgendeinen Anspruch auf Gültigkeit, die den Rahmen einer sehr privaten Einschätzung überragt, zu beanspruchen, viele - auf jeden Fall einige - Gründe. Österreich hat sich erst im zweiten Anlauf damit abgefunden, kein Reich mehr zu sein, sondern nur noch so zu heißen. Putin tut sich da offenbar ein wenig schwerer, zumal das was vom zerfallenen Reich übrig ist, immer noch das flächengrößte Land ist. Karl Kraus hat als eine Ursache für den ersten Weltkrieg ausgemacht, dass die Politiker die Presse zu lang belogen haben, und dann geglaubt haben, was in der Zeitung steht. Man kann befürchten, daß Putin seine Propaganda mittlerweile selbst glaubt. Ein Land, das sozusagen vor seiner Türe den Schritt aus dem Potentatentum macht, in dem ein Komiker Präsident wird, indem er die Marionette Putins ablöst, das ist ein Beispiel fürs russische Volk, das er nicht dulden will. Und es gibt Menschen, die Macht wollen. Und es ist naiv, zu glauben, so jemand ist zufrieden, wenn er Macht hat. Das denken Menschen, die diese Machtfixierung nicht haben. So einer will Macht nicht nur haben, er will sie ausüben. Ein äußerer Feind ist außerdem immer gut, um von inneren Problemen abzulenken. Aber es gibt bestimmt noch ein paar Gründe, die hier anzuführen erstens mehr Wissen um die geopolitischen Zusammenhänge erfordert, und außerdem mehr Platz und Zeit braucht, als es hier geboten scheint.
Sie reden gerne in Schachtelsätzen, machen also das, was im Deutschunterricht verpönt ist. Warum Schachtelsätze? Und was zeichnet einen guten Schachtelsatz aus?
Manchmal sind Schachtelsätze die beste Möglichkeit, komplexere Zusammenhänge darzustellen. Und sie ermöglichen es auch, als formaler Schuss vor den Bug (wenn mir diese kriegsmarinöse Metapher gestattet ist) beim Publikum Aufmerksamkeit zu wecken. Was bei Schachtelsätzen auf einer Bühne wichtig ist, ist Verständlichkeit, die aber nur zum Teil aus dem Geschriebenen zum größten Teil aber aus der Betonung, die sich alleine daraus beziehen kann, dass der Vortragende genau weiß, was er da und warum er es so sagt, kommt.
Glauben Sie eigentlich an irgendwas?
Ich hüte mich zu glauben, man kommt mit Annahmen weit sauberer durchs Leben. Das woran geglaubt wird, wird auch gegen unbestreitbare Widerlegungen verteidigt, weil der Gläubige sich selbst in der Geglaubte hineingießt, und daher nicht nur der Inhalt des Geglaubten, sondern der Gläubige gleich mit bedroht sind.
Welchen Stellenwert in Ihrem Leben hat die Musik?
Musik ist mir sehr wichtig. Mit Big-Band-Jazz bin ich aufgewachsen. Ein guter Bläsersatz ist nach wie vor etwas, was mich fröhlich stimmt. Als Beispiel sei hier Tower of Power angeführt.
Kabarett: Mit „Grundsätzliche Betrachtungen“ feierte der Wiener 1994 sein Debüt auf der Kabarettbühne. 1996 bekam er für sein erst zweites Solo den renommierten Kleinkunstpreis „Salzburger Stier“. 2018 folgte der Österreichische Kabarettpreis. Die damalige Jury-Begründung: Paal erkunde „zwischen Philosophie, Soziologie und Physik das Prozesshafte unseres Daseins“. Bei seinen Auftritten komme das Schwere federleicht und das Abstrakte ganz konkret daher.
In seinem aktuellen Programm „So und anders“ geht es im Großen und Ganzen um die Bedingungen des Menschseins. Termine: 26. 3.: Kulturlabor Stromboli, Hall in Tirol; 30. 3.: Kulisse/Wien; 31. 3.: Orpheum/ Graz; 2. 4.: Stadtsaal/Wien. Weitere Termine unter www.gunkl.at
Musiker: Der Saxofonist und Gitarrist landete als Mitglied von Wiener Wunder mit „Loretta“ (1986) einen Hit in den heimischen Charts. Seit 2014 ist Paal zusammen mit u. a. Manuel Rubey, Clara Luzia und Gerald Votava als Familie Lässig unterwegs.
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