Günther Groissböck: "Es ist auch Unschönes passiert"
Günther Groissböck ist großen Zuspruch gewohnt. An den wichtigsten Opernhäusern der Welt singt er die anforderndsten Bass-Partien und wird dafür gefeiert. Dass ein neuer Film über den Niederösterreicher „Ich leb allein in meinem Himmel“ heißt, mag zunächst überraschen. Im KURIER-Interview, das wir vor der Filmpremiere in einer Loge im Metro-Kino geführt haben, erklärt er den Kontrast zwischen gleißendem Bühnenlicht und dem Alleinsein.
KURIER: In dem Film geht es auch um Alleinsein und Einsamkeit. Wie haben Sie das erlebt?
Günther Groissböck: Ich kenne trotz der vielen Reiserei und trotz des Trubels auch eine gewisse Einsamkeit. Diese kommt aus meiner Sicht am Ende des Films besonders gut heraus. Da wird es intim, sogar etwas verloren und trotzdem kann man etwas eine gewisse Geborgenheit spüren.
Sie nennen es „positive Einsamkeit“…
Weil diese Art von Einsamkeit noch kein Mangelzustand ist. Den Trubel, das Herumflitzen und das Leute treffen, vergleiche ich gerne mit einem Saunagang. Es ist wie eine soziale Überhitzung, Adrenalin pur. Und dann gibt es diesen großen Kontrast, als ob du ins Eisbecken springst. Das Alleinsein hat dann eine völlig andere Intensität – die darf man nicht als Schock betrachten, sondern als Teil des Ganzen. Als konstruktives Wiederaufladen der Batterie. Das ist für viele Leute betrachtet schwer vorstellbar, weil es von außen betrachtet so wirkt, als ob ich dauernd und überall im Mittelpunkt stehe. Aber wenn ich etwa länger in New York und dort doch ziemlich allein bin, dann ist das in dieser großen, lebhaften und lauten Welt ein seltsames Gefühl.
Nach Auftritten setzen sie sich oft gleich ins Auto, fahren nach Hause ins Tessin oder ins Mostviertel. Was gibt Ihnen das?
Dieses Alleinsein im Auto ist für mich eine wichtige „Me-Time". Weil ich so richtig rücksichtslos laut Musik horchen und das Freiheitsgefühl genießen kann. Das ist gerade nach einer Vorstellung, wenn man immer noch und voller Eindrücke und Adrenalin ist, wichtig. Man rollt aus und kann sich zugleich wieder auf den Weg machen – für die nächste Aufgabe oder auch für die Familie.
Und welche Musik hören Sie da?
Querbeet, meine Playlist ist sehr bunt. Natürlich mein tägliches Brot, von Wagner bis italienische Oper, romantisches deutsches Lied, bis zu Mozart. Ich höre aber auch gern Barockmusik und Orgelmusik im klassischen Bereich, und dann läuft natürlich sehr wohl auch Austropop oder Metallica bis hin zu Eros Ramazotti. Erst letzte Woche hat sich mein Auto in eine rollende Disco verwandelt, inklusive Wunschkonzert - weil jemand mitgefahren ist. Hansi Orsolics‘ "Mei potschertes Lebn" war der Höhepunkt (lacht).
Wenn Sie jetzt zum Beispiel von Bayreuth nach Hause fahren, ist es Ihnen dann vielleicht gar nicht recht, wenn jemand mitfahren möchte?
Lustige Frage, denn ich komme immer wieder in diese Situation. Es kommt ganz darauf an, wer mitfahren möchte – ich nehme auch nicht jeden mit, ganz klar (lacht). Aber wenn es freundschaftlich ist oder geschäftlich, dann kann man auch sagen: Gut, dass wir einmal Zeit haben, in Ruhe zu reden.
Im Jahr 2021 haben Sie eine einschneidende Entscheidung getroffen, nämlich den Wotan in Bayreuth zurückzulegen. Wie denken Sie heute darüber?
Das war absolut richtig und hat sich aus heutiger Sicht außerdem bewahrheitet. Weil die Bedingungen es damals in Bayreuth nicht erlaubt hätten, so zu reüssieren oder überhaupt so zu performen, wie es für diesen Ort angebracht ist und wie es mir vom Anspruch an mich her genügt hätte. Gerade bei dieser Erwartungshaltung. Dazu kamen wie angesprochen eben die Umstände – mit Masken tragen, der Testerei und all den Regeln. Den musikalischen Leiter zum Beispiel habe ich erst bei der Orchesterprobe mit vollem, freiem Gesicht dirigieren gesehen. Da wird einem bewusst, wie wichtig die Mimik bei einem Dirigenten ist, gerade beim ersten Mal, gerade bei einer so wichtigen Rolle. Ich will die Maßnahmen gar nicht mehr im Einzelnen kritisieren, sondern einfach nur ein Gesamtbild zeichne. Das waren viele Schotterfelder auf einer Asphaltbahn, die glatt sein sollte. Da rutschst du in einer Kurve weg.
Ein Grund, den Sie angeben haben, war, dass man einfach nicht in diesem täglichen Betrieb war, man brauche aber diese Wettkampfbedingungen.
Wenn du daran gewöhnt bist, drei Mal in der Woche in einer Vorstellung oder bei einer Probe alles zu geben, dann war die Situation damals rückblickend völlig aus der Zeit gerissen. Der Rhythmus und die Selbstverständlichkeit, sich vor Leute zu stellen und abzuliefern, das wurde radikal gebrochen – und zwar über einen sehr langen Zeitraum. Als sich die ersten Theater dann wieder gefüllt haben, und man wieder echte Leute gesehen hat, fühlte sich das an, wie ein neues Wiederreinschnuppern. Im Sommer 2021 war die Stimmung in Bayreuth speziell angespannt. Und in der Summe dieser Variablen ist die Gleichung dann eben so ausgegangen.
Andere Rollen haben Sie aber in Bayreuth gesungen ...
Unter anderem der Landgraf im "Tannhäuser", der auch heuer neben dem König Marke in Tristan und Isolde wieder kommt – das sind auch keine kleinen Partien. Aber die habe ich eben schon gesungen. Da ist der Fokus nicht so drauf wie bei so einem Debüt, auf das man seit Jahren hin arbeitet und hin fiebert, wo auch von außen auch viel Neugierde besteht. Das ist ein bisschen wie in der römischen Arena: Schafft er es, schafft er es nicht? Es muss einfach alles passen. Und das war mir zu heikel. So verrückt das manche Leute im ersten Moment gefunden haben – ich glaube, dass sie es jetzt auch so sehen. Es war die richtige Entscheidung.
Wie lange muss Wotan jetzt noch warten?
Den "Rheingold"-Wotan habe ich letztes Jahr schon in Budapest abgeliefert, der tut nicht weh. Das macht Spaß. Der andere wird sich noch ein bisschen gedulden müssen. Mal schauen, wie sich das jetzt entwickelt, es gibt ja schon wieder andere Kandidaten, die sich da jetzt heranwagen. Wenn die Zeit kommen sollte, dass ein Dirigent oder ein Intendant von sich aus befindet, ich sollte den Wotan machen, dann werde ich mir das wieder überlegen. Es muss die Rückendeckung geben, die man für so etwas wirklich braucht. Man kann nicht sagen: Ich will es jetzt singen, weil ich es damals nicht gemacht habe – das wäre kindisch. Du musst zwei, drei Leute in Entscheidungsfunktionen hinter dir haben, Menschen, die wirklich daran glauben.
Es begann mit einem „Parsifal“ in Bayreuth – mit Günther Groissböck als Gurnemanz. Filmemacherin Astrid Bscher war „völlig fasziniert von den vielen Facetten, die er der Figur gibt.“ Dann habe sie im Gespräch festgestellt, „dass er sich wenig Gedanken darüber macht, wie er rüberkommt, er ist einfach so, wie er ist. Und das ist eine Voraussetzung für einen guten Film.“
Bscher, die davor etwa Dirigent Andris Nelsons porträtiert hatte, begleitete Groissböck dann mit der Kamera, es sollte der Weg zum Wotan im „Ring des Nibelungen“ gezeigt werden, der Olymp für Bassisten. Doch die mit Spannung erwartete Bayreuther Neuinszenierung fiel 2020 aufgrund der Pandemie aus – weshalb daraus die Doku „Wotan muss warten“ für den Bayerischen Rundfunk entstand.
Das Thema ließ Bscher nicht los. Sie begleitete den Sänger weiter auf Auto-Nachtfahrten, beim Sport in New York, bei Proben und Vorstellungen. Sie zeigt lange Musikpassagen – eine zeigt ihn beim Konzert im leeren Stephansdom. Wieder fordert Corona Tribut: Groissböck sagt seinen Wotan für 2021 ab.
„Ich glaube, dass durch Corona das Thema Einsamkeit eine viel größere Relevanz bekommen hat“, sagt Bscher. Deshalb erhielt der zweite Film, der nun ab 7. Juni bei Amazon Prime Video erhältlich ist, den Titel eines von Mahler vertonten Rückert-Gedichts: „Ich leb’ allein in meinem Himmel“
"Etwas Unmögliches schaffen"
In der Doku kommt auch zur Sprache, dass bei manchen Rollen auch die Lebenssituation dazu passt ...
Erstaunlicherweise gibt es beim Einstudieren von Partien oft Lebensphasen, die die Rolle zusätzlich mit Eindrücken nähren. Wahrscheinlich Zufall, aber so kann man vieles auf die Bühne mitnehmen, das eh schon in dir schwingt.
Und wie ist das beim Ochs im "Rosenkavalier"?
Der Ochs ist ein Sonderfall (lacht) Es ist eine Rolle, die im Grundcharakter sehr wenig mit mir zu tun hat. Trotzdem ist sie zutiefst österreichisch in vielen Facetten. Eine gewisse rot-weiß-rote DNA in mir ist da sicherlich nützlich.
Der "Rosenkavalier" 2014 in Salzburg war ebenfalls eine zentrale Produktion für Sie. Wie haben Sie das erlebt?
Ein besonderer Husarenritt, weil es mein erster Ochs war – und dann auch noch in Salzburg. Eine Art Mission Impossible, die auch in die Hose gehen hätte können, ähnlich wie beim Wotan in Bayreuth. Aber in Salzburg haben die Bedingungen damals gepasst, es war sehr friedlich. Ich habe gespürt: ich bin geschützt, man steht vollkommen hinter mir. Man hat mir vermittelt: Konzentrier' dich auf dich selbst, wir sind bei dir und wenn du lieferst, wird alles gut. Auf diese Weise kann man etwas eigentlich Unmögliches trotzdem schaffen.
Wie haben Sie die Zeit in New York erlebt, die im Film beschrieben wird? Sie haben den Philipp in Verdis "Don Carlos" gesungen ...
Die MET war eines der Häuser, das während der Pandemie am längsten geschlossen hatte – für uns Sänger und Sängerinnen eine sehr schwere Zeit. Das Zurückkommen war insofern besonders, weil man gesehen hat: Das Haus steht noch, das Publikum kommt – ein wirklich schönes Wiedersehen. Gottseidank sind dann die letzten Restriktionen gefallen. Ein großes Durchatmen, und ds auch noch in diesem wunderbaren „Indian Summer“. Eine sehr glückliche Zeit mit einer Traumrolle in einer sehr schönen Produktion mit einer Top-Truppe an einem der besten Häuser der Welt.
"Es ist auch Unschönes passiert"
Sie haben ja einige Covid-Maßnahmen als übertrieben empfunden, nehmen auch in der Doku dazu Stellung.
Als Vielreisender - auch in dieser Zeit - hast du ja einen gewissen Vergleich, wie es anderswo funktioniert. Auf hinterfragende Leute wie mich wurde damals rasch hingeprügelt. Dabei habe ich zum Beispiel nur darauf hingewiesen, dass bei uns in der Schweiz, im Tessin – wir sind Luftlinie keine 100 Kilometer von Bergamo entfernt – meine Tochter in der Schule nie einen Test machen musste. Oder dass im riesigen London im Herbst 2021 schon alles „normal“ lief, während es in Österreich erneut zum Kulturlockdown kam. Solche Hinweise wurden als Provokation aufgefasst, ich bin ins Fadenkreuz geraten.
Wie hat sich das geäußert?
Es ist auch Unschönes passiert. Man hat manche Charaktere besser kennengelernt, hinter die Fassade geblickt. Ob sich meine hinterfragende Ader negativ bei den Engagements niederschlägt oder niedergeschlagen hat, kann ich nur mutmaßen. Ich bin mir in zwei, drei Fällen zwar fast sicher, ich kann es aber nicht beweisen. Und Spekulationen liegen mir nicht.
Ging es da auch um Haltung?
Haltung ist ein Großes Wort. Ich stemme mich einfach gerne gegen ein gewisses Story Telling, das blind übernommen wird. Im Februar 2022 etwa war ich gerade in Moskau, als der Ukraine-Krieg losgegangen ist. Ich habe in einem Posting gezeigt, wie es gerade in Moskau bei mir so ist. Das wurde mit überschaubarer Euphorie beantwortet. Weil ich gewisse Narrative nicht bestätigt habe. Ich mag aber keine Schwarz-Weiß-Bilder – ich bestehe darauf, dass man sich die Nuancen und Wirklichkeiten ansieht.
Was haben Sie da nicht gesehen?
Zum Beispiel habe ich gerade in der Sekunde keine Massenverhaftungen am Puschkin Square gesehen. Es waren auch keine 3000 Neonazis am Ring bei den Corona-Demos unterwegs, es gab auch keine vom Ex-Kanzler prognostizierten 100.000 Corona-Tote. Gerade in aufgeheizten, ängstlichen Zeiten schafft man sich mit solchen Beobachtungen plötzlich unglaublich viele Feinde. Auch wenn es sinngemäß nur darum geht: Regnet es gerade oder regnet es nicht? Und wenn ihr sagt, es regnet draußen, und ich gehe raus und bleibe trocken, dann stimmt irgendwas nicht. Entweder meine Wahrnehmung oder eure Beschreibung.
Wie denken Sie jetzt darüber nach, aus einer gewissen Distanz? Dass Sie gewisse Dinge vielleicht anders gesagt hätten?
Prinzipiell ja. Ich würde mich allerdings in der Dichte der Wortmeldungen ein bisschen zurückhalten. In dieser Phase, so im Frühjahr 2021, wo wirklich alles stillstand, wo die Maßnahmen weit ins Private reichten, da waren alle aufgewühlt – ich nicht ausgenommen. Man hat sich gefragt: Wie weit kann es gehen? Ist das noch verhältnismäßig? Das Demonstrationsrecht etwa ist ein Grundpfeiler der Demokratie, es ist ein um Grundrecht. Deshalb war es sehr wahrscheinlich wichtig, etwas zu sagen. Um zum Nachdenken anzuregen. Und bewahrheitetet haben sich ja einige meiner damals als krude abgetanen Theorien ja immerhin.
Zurück zur Oper: Von Opernliebhaber kommt oft die Kritik, dass sie nicht zu viel hininterpretiert wissen wollen. Wie stehen Sie dazu?
Das kann man nicht pauschalieren. In der Regietheater -Diskussion ist mir schoin allein der Begriff als solches zu zu flach, zu plakativ. Es gibt für jedes Werk einen Spielraum von Zugängen. Manche Stücke vertragen sehr moderne, fast trashige Interpretationen, bei manchen historischen Stücken würde man vielleicht gerne mehr die Atmosphäre der Zeit spüren, da passt es vielleicht weniger. Und dann gibt es leider noch Fälle, wo vielleicht die Botschaft des Werks verzerrt wird oder so überlagert, wird, dass du das Werk nicht mehr wiedererkennst. Das ist meine Grenze. Werk und Urabsicht sollten erkennbar sein. Und in diesem Rahmen ist doch sehr viel möglich. Der Freischütz in Amsterdam, der im Film ja behandelt wird, war eine im besten Sinne des Wortes schräge Produktion, aber mit einem Zugang, der absolut legitim war. Und am Schluss entscheidet dann so und so das Publikum. Und dem hat es gefallen.
Sie haben kürzlich im Serebrennikov-Parsifal den Gurnemanz gesungen, weiß Gott keine einfache Rolle ...
Es vielleicht sogar meine Lieblingsrolle. Sie ist auf jeden Fall sehr lang und unangenehm nur ist die lange Pause zwischen erstem und drittem Akt, weil da die Stimme ein bisschen schlafen geht. In Bayreuth, wo die Pausen noch viel länger sind als in Wien, habe ich öfters einen Power-Nap gehalten. Also bis zu dem Zeitpunkt, wo sich Kundry und Parsifal so anbrüllen, dass auch das Abschalten des Monitors nichts mehr hilft. Das ist wie bei einem Wecker, wenn die Schlummerfunktion im Intervall immer lauter wird. (lacht)
In so einer langen Pause kommen Sie da wieder in diesen „Einsamkeitsmodus“?
Eher in einen Zustand der gegensätzlichen Eindrücke. Zuerst gehst du raus vor 2000 Leute, die etwas erwarten und zu einem Orchester, das alles gibt. Dann kommt aber dieses Zurückziehen in die Garderobe, wo du wirklich alleine in deinem Kämmerchen bist. Ein sehr großer Kontrast. Wieder so eine Art von positiver Einsamkeit, weil du das zum Aufladen brauchst.
Ist das Thema Dokumentarfilm jetzt für Sie erledigt oder geht es weiter?
So etwas passiert meistens „on the go“. Material gibt es ohne Ende und auch schon gute Ideen. Bei einer CD-Aufnahme wurde gerade wieder mitgedreht. Wer weiß, was da noch entsteht. Ob ich dann der Hauptdarsteller sein werde – keine Ahnung. Aber zumindest daran beteiligt, weil es stets Situationen und Geschichten sind, die wirklich großartige Bilder hergeben.
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