Beim Vater des noch ungeborenen Cyborgs – Pardon! – Kindes soll es sich um den 19 Jahre älteren Tesla- und Paypal-Gründer Elon Musk handeln, der mit eigenen Raketen zum Mars fliegen und Menschen durch eine Röhre von San Francisco nach Los Angeles schießen will. Mit diesem Visionär teilt Boucher seit rund zwei Jahren das Bett – vielleicht auch bald ein Raumschiff?
Ob Musk mit seinen Ideen und seinem Vermögen, das vom Wirtschaftsmagazin Forbes auf 40 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, der Menschheit etwas Gutes tun möchte, wird sich zeigen.
In der Zwischenzeit besingt seine Liebste auf ihrem soeben veröffentlichten Album „Miss Anthropocene“ erst einmal die Erderwärmung. Anthropocene (zu Deutsch: Anthropozän) ist ein Vorschlag zur Benennung einer neuen Epoche: nämlich des Zeitalters, in dem der Mensch zum wichtigen Einflussfaktor (besser gesagt: Störfaktor) für Mutter Erde wurde. So weit, so klimaneutral.
Die 31-jährige Kanadierin präsentiert sich seit Jahren als Cyber-Pop-Königin der Gegenwart. Als mystisches Mischwesen (Tier, Maschine, Mensch), das gegen das Böse (aktuell Klimasünder) kämpft. Das war aber nicht immer so. Claire Boucher betrat als Grimes in den Nullerjahren zum ersten Mal die Bühne. Sie wurde als aus der Zeit gefallene, lethargisch agierende Geisterprinzessin des Pop wahrgenommen, was an der Gangart ihrer beiden Alben lag. Auf diesen, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen Tonträgern reagieren nämlich Beats in Zeitlupen-Tempo, die mit kraftlosen Klangschwaden den Sound zum Ketamin-Trip liefern. Die Musik war ein radikaler Gegenentwurf zum immer schneller werdenden Breitband-Leben. Man nannte diese Entschleunigung folglich „Chill-Wave“ oder „Witch-House“. Erfolgreich war Grimes damit nur bedingt: Die Kritiker lobten zwar ihren Pop-Innovationsgeist, aber der Masse war das alles viel zu abstrakt.
Auf „Visions“ (2012) mit zwei Überhits („Genesis“, „Oblivion“) und ihrem vor vier Jahren erscheinenden Longplayer „Art Angels“ hat sich Grimes selbst upgeloadet. Ins Internet. Dort präsentiert sie sich als finstere Manga-Gothic-Superheldin, die auch aus dem DC-Comic-Universum stammen könnte. Die von ihr mitgelieferte Musik klingt zwar immer noch gewöhnungsbedürftig, fällt aber eingängiger aus.
Dieser Balanceakt zwischen Massenappeal und Avantgarde gelingt ihr auch auf ihrem jüngsten Werk „Miss Anthropocene“. Die zehn darauf zu hörenden Songs sind zwar selten überwältigend, aber phasenweise gar nicht mal so schlecht. „Delete Forever“ zum Beispiel, eine mit 08/15-Beats und einer an Oasis erinnernden „Wonderwall“-Gitarrenmelodie ausgestattete Ballade. Erwähnenswert sind noch das Trip-Hop-Stück „Darkseid“ und „New Gods“, in dem sie ihre schönste Heliumstimme auspackt. Der Rest klingt ideenlos.
Sollte es stimmen, dass Grimes das neue Album mithilfe von künstlicher Intelligenz entworfen hat, ist das eine erfreuliche Nachricht. Denn sie zeigt, dass Musik ohne menschliches Zutun, ohne kreativen Input, ohne Herz, Hirn und Emotion nur blutleere Schablone bleibt.
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