Die "Griechische Passion" thematisiert einen Flüchtlingsstrom vor mehr als 100 Jahren im Griechisch-Türkischen Krieg. Das Libretto des Komponisten basiert auf einem Roman von Nikos Kazantzakis, der berühmt wurde durch "Alexis Sorbas". Und irgendwie erzählt es auch die Geschichte des Komponisten, der vor den Nazis in die USA fliehen musste und nie wieder in seine böhmische Heimat zurückkehrte.
Es handelt sich quasi um ein Spiel im Spiel: In einem Dorf wird zu Ostern festgelegt, wer im kommenden Jahr bei den Passionsspielen in die diversen Rollen schlüpft. Diese Entscheidung verändert die Persönlichkeiten der Dorfbewohner, vor allem jene von Manolios, der Jesus spielen soll, aber auch die von Panais, der zu Judas wird.
Während der Dorfpriester die Besetzung verkündet, kommen flehend Flüchtlinge ins Dorf. Ausgerechnet der Gottesmann will aber nicht helfen und den Migranten Land geben. Er instrumentalisiert die Bewohner für seinen strengen Kurs. Manolios hingegen versucht zu helfen, wird dadurch in seinem Dorf zum Außenseiter und am Ende umgebracht - von Judas und anderen Bewohnern. Jesus muss also quasi noch einmal sterben in dieser Oper. Und die Flüchtlinge ziehen weiter, ein tragischer Kreislauf.
Wie Bohuslav Martinů das erzählt, ist von dauerhafter Gültigkeit. Er hat auch keine Lösung für Flüchtlingskrisen, aber er zeigt, wie rasch Vorurteile entstehen, wie sehr sie geschürt werden, und er plädiert für einen humanitären Umgang mit den Schutzsuchenden, deren Dorf von den Türken niedergebrannt wurde. Das funktioniert jedoch nicht angesichts der politischen Lage, der Ängste im Dorf und des brutal agierenden und um Machterhalt kämpfenden Priesters.
Die Musik des 1890 geborenen und 1959 gestorbenen Komponisten ist brillant und mitreißend. Uraufgeführt wurde das Werk 1961 in Zürich, nachdem London die geplante Premiere aus fadenscheinigen Gründen abgesagt hatte. In Österreich kennen einige Opernliebhaber die "Griechische Passion" seit 1999, als der damalige Bregenzer Intendant Alfred Wopmann das Werk an den Bodensee holte - damals war Bregenz noch ein starker innovativer Faktor für das ganze Genre.
Aber wie klingt Bohuslav Martinů bei diesem Werk? Durchaus tonal, mit ganz wenigen atonalen Ausreißern, fast spätromantisch, filmisch inspiriert, als wäre Leoš Janáček in den USA groß geworden und hätte für Hollywood gearbeitet. Man denkt ein bisschen an Korngold, dann wieder an Antonín Dvořáks "Rusalka". Die musikalische Sprache ist höchst emotional, klangschön, sehr rhythmisch orientiert, mit prachtvollen Zwischenspielen und Soli (vor allem vom Englischhorn und auch von einem Klavier). Die Wiener Philharmoniker spielen unter der Leitung von Maxime Pascal präzise, aufwühlend, dramatisch, dann wieder prachtvoll lyrisch, diese Kombination ist ideal für dieses Werk.
Die "Griechische Passion" ist eine echte Wiederentdeckung - und man sollte die Chance nützen.
Auch weil die Regie von Simon Stone so fabelhaft ist. Er nimmt das Werk in all seiner Kraft, wie es ist, muss nichts überhöhen (wie Christoph Marthaler tags zuvor bei "Falstaff"), er führt die Hundertschaften an Choristen (großartig der Wiener Staatsopernchor) exzellent, stellt die monochrome Dorfgemeinschaft (ganz in Grau, alle Individualität verweigernd) den bunt gekleideten Flüchtlingen gegenüber. Auf der einen Seite gibt es Unterdrückung und Meinungsdiktate, auf der anderen den Willen zur Lebensfreude. Stone beweist auch seine theatralische Pranke mit tollen Effekten auf der leeren Bühne der Felsenreitschule, die nur - bis zur letzten Arkadenreihe - von einer weißen Wand verhüllt ist, in der sich immer wieder kleine Türen öffnen. Die Personenführung ist grandios und entwickelt die Figuren auf ihrer emotionalen Reise hin zum Passionsspiel sehr klug. Und spätestens wenn sich drei Männer abseilen, um auf die Wand die Worte "Refugees out!" zu schreiben, weiß man: Das ist das Stück zur Zeit.
Auch gesungen wird sehr gut, allen voran vom Tenor Sebastian Kohlhepp als Manolios/Jesus und von Gabor Bretz als Priester Grigoris. Aber auch Sara Jakubiak als Katerina, die Maria Magdalena zuerst spielen muss und dann spielen will, Charles Workman als Yannakos und Christina Gansch als Lenio begeistert das Publikum, das am Ende mit Standing Ovations dankte.
Salzburg hat, spät aber doch, einen Operntriumph zu feiern.
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