Unter Schock
Nicht an der Preisverleihung teilnehmen konnte Nicole Kidman, die für ihre furchtlose Darstellung in dem Erotikthriller „Babygirl“ mit dem Preis als beste Darstellerin ausgezeichnet worden war. Als Chefin einer großen Firma verstrickt sie sich in „Babygirl“ in eine Affäre mit einem viel jüngeren Praktikanten und setzt dabei ihre gesamte Existenz aufs Spiel.
Nachdem ihre Mutter Janelle Ann überraschend gestorben war, konnte Kidman verständlicherweise nicht persönlich den Preis entgegennehmen. Sie stehe unter Schock, ließ die 57-jährige Schauspielerin durch „Babygirl“-Regisseurin Halina Reijn in einer Mitteilung vermelden: „Dieser Preis ist für meine Mutter. Sie hat mich geformt, sie hat mich geführt und sie hat mich gemacht. Ich bin unendlich dankbar, dass ich ihren Namen durch Halina an euch alle weitergeben darf.“
Ihr Herz sei gebrochen, teilte Kidman mit.
Durch diese Nachricht sichtlich getrübt, nahm im Anschluss daran der amerikanische Regisseur Brady Corbet einen Silbernen Löwen für beste Regie in Empfang und sprach Nicole Kidman sein Beileid aus.
Corbet erhielt die Auszeichnung für sein Nachkriegsepos „The Brutalist“ über einen fiktiven, jüdischen Architekten namens László Tóth. Nur mit Mühe kann sich Tóth vor den Nazis in die USA retten. Dort beginnt er im Auftrag eines Mäzens mit dem Bau eines futuristischen Gebäudes, doch latenter Antisemitismus in den USA erschwert seine Beheimatung im Land der Freiheit gravierend. Das Bild, das Brady Corbet von der amerikanischen Nachkriegsmoderne zeichnet, ist düster, bringt aber den herausragenden Hauptdarsteller Adrien Brody zum Strahlen.
Danke, Isabelle
In Venedig allerdings wurde Brody übergangen; an seiner Stelle erhielt der Franzose Vincent Lindon den Hauptpreis als bester Darsteller für seine Rolle in „The Quiet Son“. Darin verkörpert Lindon den alleinerziehenden Vater eines jungen Burschen, der sich den Rechtsradikalen anschließt.
„Danke, Isabelle!“, wiederholte Lindon in seiner Rede gefühlte zehn Mal und meinte damit die französische Jurypräsidentin Isabelle Huppert, unter deren Leitung er den Preis zugesprochen bekommen hatte.
Für harte Kost aus Georgien wurde die Regisseurin Dea Kulumbegashvili mit dem Spezialpreis der Jury belohnt. In ihrem erst zweiten Film „April“ folgt Kulumbashvili einer georgischen Gynäkologin bei ihren Routinen – teilweise auch abseits des Gesetzes, denn die Ärztin arbeitet nicht nur als Geburtshelferin, sondern nimmt auch heimlich illegale Abtreibungen vor.
Der Silberne Preis der Jury ging an „Vermiglio“ von der in Bozen geborenen Regisseurin Maura Delpero. In ihrem Familienporträt folgt Delpero im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg dem Leben dreier Schwestern, die aus dem italienischen Bergdorf Vermiglio stammen.
Die Verlierer
Komplett leer ausgegangen ist „Maria“ des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín. Angelina Jolie spielte darin hingebungsvoll die letzten Lebenstage der großen Operndiva Maria Callas, wurde aber in Venedig mit keinem Preis belohnt. Ihr bleibt dafür die Hoffnung auf eine Oscarnominierung.
Ähnlich erging es Daniel Craig, der nun endgültig seine James-Bond-Rolle hinter sich gelassen hat und gegen sein Image anspielte: In Luca Guadagninos „Queer“ verkörperte er das Alter Ego des amerikanischen Schriftstellers William S. Burroughs, leidet unter Heroinsucht und verfällt einem deutlich jüngeren Mann. Auch „Queer“ wurde gänzlich von der Preisjury übersehen und erhielt keine einzige Auszeichnung.
Bleibt schließlich noch „Joker: Folie à Deux“, das Großereignis des diesjährigen Filmfestivals in Venedig: Die Fortsetzung des Löwengewinners aus dem Jahr 2019 mit Joaquin Phoenix und Lady Gaga in den Hauptrollen blieb ebenfalls ohne Preis.
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