„Die beste aller Welten“ war sehr autobiografisch gefärbt. Könnten Sie den Wunsch, alles hinzuschmeißen und sich in die Berge zurückzuziehen, nachvollziehen?
Adrian Goiginger: Absolut. Das war auch der Grund, warum ich dieses Projekt machen wollte. Ich kann diesen Wunsch total nachvollziehen. Er war in meiner Zeit beim Bundesheer sehr stark, als ich meinen Grundwehrdienst in den Tiroler Alpen machen musste, also dort, wo der Film spielt, und ich war beeindruckt von dem Egoismus – da muss ich Verena zustimmen –, mit dem der wirkliche Elias sein Einsiedlerleben durchgezogen hat. Mich hat interessiert, was hinter dieser Konsequenz steckte.
Altenberger: Was ich so spannend finde bei „Märzengrund“, aber auch bei „Into the Wild“ ist, dass am Ende diese einsamen Egozentriker merken, dass sie vielleicht doch andere Menschen um sich gebraucht hätten. Bei „Into the Wild“ ist die Moral von der Geschicht‘: „Happyness is only real when shared“ und der Elias sagt bei einer seiner raren Begegnungen mit einem Jäger: „Wann habe ich wirklich einem Menschen geholfen? Wie fühlt sich das überhaupt an – helfen?“.
Sehen Sie Ihren Film auch als Metapher für Flüchtlinge, die ja auch ihr früheres Leben zurücklassen – in dem Fall zurücklassen müssen?
Goiginger: Das schwingt ja in allen Aussteiger-Geschichten irgendwie mit. Der sogenannte „Migranten-Hintergrund“ suggeriert ja, dass sie aus einem Leben davor kommen, das anders war. Und meist auch lebensgefährlich aufgrund von Kriegen, politischer Verfolgung oder Armut. Das Eremitendasein ist eine Flucht vor sich selbst. Im Fall von Elias kennt er ja gar keine andere Welt, weil er zeitlebens nie aus seinem Tal herausgekommen ist. Obwohl es immer noch Kontakte zu seinem früheren Leben gegeben hat, hatte er Angst vor der Rückkehr in sein Dorf. Ob er seine große Liebe Moid jemals wiedergesehen hat, wissen wir nicht.
Altenberger: Ich glaube, sie haben sich nie wieder gesehen.
Goiginger: Was mich am Elias auch fasziniert hat, war sein Verzicht auf alles Materielle. Das ist der Unterschied zu den Flüchtlingen, die jetzt gerade mit leeren Händen aus der Ukraine kommen, weil ihre Häuser und Besitztümer in Trümmern liegen. Aber Elias hat sein Millionen-Erbe, einen Bauernhof inmitten riesiger Grundstücke, zurückgelassen. Er hätte einer der reichsten Bauern im Zillertal sein können, aber er hat die Einsamkeit vorgezogen. Ich kann nur ahnen, was in ihm vorgegangen sein könnte.
Ihr habt ja mit „Die beste aller Welten“ schon einen ganz außergewöhnlichen Film miteinander gemacht. Haben Sie aufgrund dieser Erfahrung zugesagt, auch im „Märzengrund“ mitzuspielen, oder hätten Sie nach dem Lesen des Drehbuchs auch bei einem anderen Regisseur zugesagt?
Altenberger: Ich weiß nur, dass ich meinen Agenten gleich nach „Die beste aller Welten“ angerufen habe und ihm gesagt habe: Wenn der Goiginger anruft, kannst du einfach zusagen. Auch wenn es eine Waschmittel-Werbung ist (lacht). Eine Waschmittelwerbung würde ich inzwischen nicht mehr machen, aber sonst würde ich so ziemlich alles blind zusagen, was mir der Adrian anbietet. Wir sind uns künstlerisch zu nah, als dass er etwas machen würde, mit dem ich gar nichts anfangen könnte. Aber ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich für „Märzengrund“ ein Casting machen musste. Also er hat mir nicht blind zugesagt (lacht).
Goiginger: Da muss ich aber dazu sagen, dass ich mir nur anhören wollte, ob Verena den Tiroler Dialekt hinbringt. Und – korrigiere mich, wenn ich das falsch in Erinnerung habe – du hast mir damals gesagt, dass du immer schon eine Figur wie die Moid spielen wolltest.
Altenberger: Ja, das stimmt. Ich habe eine alte Liste auf meinem Handy – alles Rollen, die ich einmal spielen wollte. Eine Wunschliste ans Universum. Gestern habe ich zufällig diese Liste wieder einmal geöffnet und da stand: „ein schöner Bergfilm, ein Berggeist vielleicht“? Auf dieser schon Jahrzehnte alten Liste stand unter anderem auch die Buhlschaft (lacht).
Der Film ist eine Zeitreise in die Vergangenheit, aber auch sehr zeitgemäß. Die Corona-Epidemie, die Klima- und Umweltkatastrophen und der Ukrainekrieg lösen in vielen Menschen die Frage nach Exilmöglichkeiten aus.
Goiginger: Wir haben den Film ja schon vor Ausbruch der Epidemie begonnen. Und da klingt ein Satz vom Elias tatsächlich prophetisch: „Auf dem Berg gibt es keine Krankheiten“. Der Satz ist nicht von mir, sondern kommt schon im Stück von Felix Mitterer vor. Aber als ich dann wegen eines Lockdowns längere Zeit hindurch in meiner Salzburger Wohnung hockte, dachte ich mir, dass der Film – wenn dann die Kinos wieder offen sind – tatsächlich einen Nerv der Zeit treffen könnte.
Wo würdet ihr euer Exil sehen, wenn ihr denkt, dass die Zeit reif ist, sich zurückzuziehen?
Goiginger: Nicht in die Berge. Denn der Übertourismus, den ich bei meiner Recherche nach einem geeigneten Drehort gesehen habe, hat mich schockiert. Ich kann nur hoffen, dass nach all den Katastrophen rund um die Epidemie, den Klimawandel, den Krieg und die daraus erwachsende Energiekrise ein Umdenken im Tourismus stattfindet. Mit der „Piefke-Sage“ hat der Felix Mitterer schon genial die Probleme dieser Branche eingefangen. Mittlerweile ist es fast unmöglich, für Dreharbeiten einen Berg zu finden, auf dem es keine Ski-Lifte gibt, auf dem keine fetten Luxushotels stehen. In Tirol wird wirklich g’schissen auf die Natur. Da geht es nur um das Geld, das der Tourismus bringt. In Salzburg ist es noch nicht ganz so extrem, aber auch schon sehr arg. Da muss umgedacht werden.
Altenberger: Ich hab‘ bezüglich Tourismus-Regulierung wenig Hoffnung, sondern Angst, dass alles noch mehr wird. Vor allem auch die Lichtverschmutzung. In Dorfgastein gibt es jetzt auch eine erste LED-Tafel mitten im Ort. Warum macht man das? Glaubt man wirklich, dass die Leute, die Infos brauchen, sich vor eine LED-Tafel stellen? Die schauen doch eh alle nur in ihre Handys. Warum muss man mitten im Ort eine Werbefläche bespielen, die Tag und Nacht in grellbunten Farben leuchtet, das ist doch furchtbar. Und auf die Frage, wohin ich aussteigen würde: Ich habe derzeit so viel Angst vor Einsamkeit, dass ich derlei Gedanken nicht weiterverfolgen will, sonst werde ich traurig.
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