Der sogenannte „Raub des Mortara-Kindes“ durch Papst Pius IX. erregte einst derartig viel Aufsehen, dass im Jahr 1862 sogar ein Gemälde dazu entstand. Gemalt von Moritz Daniel Oppenheim zeigt es eine häusliche Szene, in der sich ein Mönch und eine Nonne freundlich einem Buben zuneigen. Ein Mann im Hintergrund versucht, schützend einzugreifen, während seine Frau in Ohnmacht fällt. Es sind die Eltern des Kindes, die vergeblich versuchen, ihren Sohn vor dem Zugriff zu bewahren.
Oppenheimers Bild dokumentiert einen historischen Fall von Kindesentzug seitens der katholischen Kirche, der sich tatsächlich vier Jahre zuvor in Bologna zugetragen hatte und sogar für Schlagzeilen in der New York Times sorgte. Es handelte sich dabei um Ereignisse rund um die jüdische Familie Mortara, seit 1850 mit ihren fünf Kindern in Bologna wohnhaft. Als ihr kleiner Sohn Edgardo, geboren 1851, schwer erkrankt, wird er vom christlichen Dienstmädchen heimlich notgetauft. Jahre später kommt der Vorfall durch eine Beichte dem Inquisitor zu Ohren, der das Kind den verzweifelten Eltern wegnimmt und nach Rom unter die Obhut des Papstes persönlich bringt.
Ähnliche Entführungsfälle gab es auch schon davor, doch der „Fall Mortara“ erregte noch nie da gewesenes Aufsehen. Trotz zahlreicher Interventionen weigerte sich der Papst jedoch, das Kind zurückzugeben. Hoch dramatischer Historienstoff also, den der renommierte italienische Regisseur Marco Bellocchio unter dem Titel „Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes“ eindrucksvoll und emotionsstark verfilmte (ab Freitag im Kino).
Fanatismus
Mittlerweile bald 85 Jahre alt, verkörpert Marco Bellocchio den Inbegriff des eleganten Italieners. Obwohl er neben Bernardo Bertolucci und Pier Paolo Pasolini zu den bedeutendsten Filmemachern des italienischen Kinos zählt, ist er im deutschsprachigen Raum weniger bekannt als seine berühmten Regiekollegen. Schon sein erster Film, das bittere Familiendrama „Mit der Faust in der Tasche“ (1965) erregte bei der internationalen Filmkritik große Aufmerksamkeit und gilt mittlerweile als Klassiker der europäischen Kinomoderne. Seitdem hat sich Bellocchio konsequent kritisch mit italienischer Geschichte und Gesellschaft, Kirche und Familie, Staat und Terrorismus auseinandergesetzt.
Besonders in den letzten Jahren nahm seine Karriere mit der Mafia-Geschichte „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“, dem sehr persönlichen Dokumentarfilm „Marx Can Wait“ und der Fernsehserie „Und draußen die Nacht“ über die Verschleppung von Aldo Moro erneut Fahrt auf. Mit „Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes“ rollte Bellocchio nun einen wenig bekannten, historischen Fall auf, der ein kritisches Licht auf die katholische Kirche und ihr Verhältnis zum Judentum wirft: „Ich habe diesen Film nicht gemacht, um gegen die Kirche oder den Papst zu polemisieren“, hält Marco Bellocchio im Gespräch mit dem KURIER fest: „Es ist mein Versuch, durch diese Geschichte von der Gewalt zu erzählen, die einem kleinen Buben angetan wird. Es gibt viele Erzählungen von Juden, die sich bekehrten – manche aus Überzeugung, manche um zu überleben. In diesem Fall erzähle ich von einer Tragödie eines Kindes, das aus seiner Familie herausgerissen wurde. Er wird katholisch, um zu überleben – und später, als Erwachsener, bleibt es dem Papst treu und im Glauben des Katholizismus verhaftet. Aber am Anfang dieser ,Bekehrung‘ stand die Gewalt.“
Wir können nicht
Besonders interessant findet Bellocchio die päpstliche Weigerung, das getaufte Kind an seine jüdische Familie zurückzugeben: „Non possumus“ („Wir können nicht“) lautete die bekannte Ablehnungsformel gegenüber Forderungen, die der Lehre der Kirche widersprechen. „Jede Form des dogmatischen Glaubens, egal welcher Religion, hat eine absolute Dimension“, weiß Bellocchio: „Darin liegt auch ihr blinder Fleck. Wir alle kennen fanatische Blindheit. In der Hinsicht haben politischer – siehe auch die Entführung von Aldo Moro – und religiöser Eifer große Ähnlichkeiten. Er entsteht aus der Überzeugung, ausnahmslos das Prinzip der Gerechtigkeit zu vertreten.“
Marco Bellocchio erzählt „Die Bologna-Entführung“ mit epischem Gusto und melodramatischer Musik: „Ich wollte eine Welt und ihre Landschaften erstehen lassen, die es heute so nicht mehr gibt. Es sollte wie eine Reihe realistischer italienischer Gemälde aussehen und der tragischen Geschichte, die mich selbst so ergriffen hat, Leben einhauchen.“
Kommentare