Reich wie Rothschild
Der alte Rothschild galt als sehr sparsam. Als er im Pariser Nobelhotel Ritz nach dem billigsten Zimmer fragte, flüsterte ihm der Portier zu: „Aber Herr Baron, Ihr Sohn nimmt immer das Fürsten-Appartement!“
„Mein Sohn“, erwiderte der alte Rothschild, „hat ja auch einen reichen Vater“.
Nachfahren des in den USA lebenden Zweigs der Familie Rothschild streiten – wie der KURIER berichtete – mit der Stadt Wien um die Zukunft der Nathaniel Freiherr von Rothschild’schen Stiftung und die von ihr errichtete Nervenheilanstalt am Wiener Rosenhügel.
Viele „alte Rotschilds“
Albert Freiherr von Rothschild leitete am Beginn des 20. Jahrhunderts die Wiener Niederlassung des größten Bankenimperiums der Welt und zählte zu den reichsten Männern Europas. Und er war nur einer von vielen „alten Rothschilds“, zumal die Dynastie über Generationen im europäischen Industrie- und Bankenwesen tätig war – und heute noch ist.
Das Wiener Bankhaus
Der erste „alte Rothschild“ war Mayer Amschel Rothschild, der Urgroßvater unseres bescheidenen Hotelgastes. Er hatte mit einer kleinen Wechselstube im jüdischen Getto von Frankfurt begonnen, die er zu einem Bankhaus ausbaute. Seine Söhne wandelten es in einen internationalen Konzern um, der die Industrialisierung Europas mitfinanzierte. Sie ließen sich in London, Neapel und Paris nieder. Und Salomon, der zweitälteste, gründete 1821 das Bankhaus in Wien.
Salomon Rothschild baute gute Beziehungen zu den Habsburgern auf, denen er riesige Kredite gewährte. Mit den Zinsen errichtete er Fabriken, die erste mitteleuropäische Eisenbahnlinie (von Wien nach Krakau), und er gründete die Creditanstalt.
Salomon war bald so mächtig, dass man munkelte, in Wien gäbe es zwei Monarchen: Kaiser Ferdinand und König Salomon.
Das Bankhaus achtete auf die Kreditwürdigkeit der Gläubiger und war bei allen wichtigen Geschäften dabei: im internationalen Versicherungs- und Währungshandel, bei der Errichtung von Bergwerken, Industrieanlagen und des Suezkanals, des zur Mitte des 19. Jahrhunderts größten Bauprojekts der Welt.
Liebesaffäre
Salomons Enkel Albert Freiherr von Rothschild – der im Ritz nach dem billigsten Zimmer fragte – baute die Creditanstalt zu Österreichs größter Bank aus. Unter Albert wurde der Ausspruch „Reich wie Rothschild“ zum geflügelten Wort. Die Familie hatte den größten Börsenkrach der Geschichte überstanden, sie stiftete Spitäler und andere soziale Einrichtungen, besaß Schlösser und Stadtpalais in Wien. Aufsehen erregte Albert auch durch seine Affäre mit der Schauspielerin Helene Odilon, der Frau des Volkslieblings Alexander Girardi.
Albert Rothschild wurde 1887 „hoffähig“, wodurch er Zutritt zu den Empfängen des Kaisers hatte – ein Privileg, das sonst nur Hocharistokraten zustand. Als Kaiser Franz Joseph bei einem Hoffest etwas länger als üblich mit dem Bankier plauderte, kursierte in Wien das Gerücht, die Monarchie befände sich in akuten Geldschwierigkeiten.
„Sisis“ Freundin
An dem Gerücht war – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt – nichts dran. Allerdings musste der Kaiser den Namen Rothschild bald mit dem traurigsten Ereignis seines Lebens in Verbindung bringen. Julie Rothschild, die Schwester des Wiener Bankiers, war mit Kaiserin Elisabeth befreundet und besaß ein Anwesen am Genfer See. Am 9. September 1898 stattete „Sisi“ der Baronin Rothschild einen Besuch ab, dessen Folgen die Monarchie erschütterte. Die Kaiserin fuhr zurück in ihr Genfer Hotel, vor dem sie tags darauf ermordet wurde. „Sisi“ hatte den letzten Tag ihres Lebens im Hause Rothschild verbracht.
Auch Julies und Alberts Bruder Nathaniel Rothschild schrieb Geschichte, als er 1894 Österreichs ersten Fußballclub, die Vienna, gründete. Und danach jene Stiftung, die die Nervenheilanstalt am Rosenhügel errichtete, um die seine Nachfahren jetzt mit der Stadt Wien streiten.
Louis Rothschild folgte seinem Vater Albert und wurde zum letzten Chef der österreichischen Linie. Als Englands König Edward VIII. 1936 aus Liebe zu der Amerikanerin Wallis Simpson auf den Thron verzichtete, führte ihn sein erster Weg – als nunmehriger Herzog von Windsor – auf das Rothschild-Schloss in Enzesfeld bei Wien, um hier die Flitterwochen zu verbringen. Der Besuch war das letzte Großereignis, mit dem die Rothschilds ihren Rang in der Gesellschaft zeigen konnten.
Die „Arisierung“
Am 13. März 1938 wurde Louis Rothschild in seinem Palais auf der Wiener Prinz-Eugen-Straße von der Gestapo verhaftet. Der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler kam persönlich ins Gefängnis, um die „Arisierung“ des österreichischen Rothschild-Vermögens zu organisieren. Nach einem Jahr Haft durfte Rothschild ausreisen, seine Banken wurden von deutschen Geldinstituten übernommen. Teile der privaten Kunstsammlung – sie zählte zu den bedeutendsten der Welt – gingen in Hitlers persönlichen Besitz über.. Louis’ Bruder Alfons Rothschild saß im Kuratorium der Rothschild’schen Stiftung, um deren Zukunft jetzt sein in den USA lebender Enkel streitet.
Führende Bankiers
Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes schenkte Louis Rothschild sein Palais auf der Prinz-Eugen-Straße der Republik Österreich, die das prunkvolle Gebäude verfallen und 1954 abreißen ließ. Heute steht an seiner Stelle der schmucklose Bau der Wiener Arbeiterkammer. Die Kunstschätze wurden von der Republik Österreich erst 1999 restituiert.
Louis Rothschild ertrank im Jänner 1955 im Alter von 73 Jahren beim Schwimmen auf Jamaika. Damit war der österreichische Zweig ausgestorben. In Frankreich, Großbritannien und in der Schweiz zählen Angehörige der Familie Rothschild heute noch zu den führenden Bankiers.
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