Gerne gefangen – von einer tollen Frau

„Jetzt geb’ ich die Rolle nicht mehr her“: Seit 20 Jahren spielt Paulus Manker in „Alma“ den impulsiven Maler Oskar Kokoschka
Paulus Manker über das 20-Jahr-Jubiläum von "Alma" und über die österreichische Kulturpolitik.

KURIER: Das Polydrama "Alma" über Alma Mahler-Werfel und ihre berühmten Männer, darunter Gustav Mahler, Oskar Kokoschka und Franz Werfel, feiert heuer sein 20-Jahr-Jubiläum. Warum immer wieder "Alma"? Wird’s nicht langweilig?

Paulus Manker: Nein. Sonst würd’ ich’s nicht machen. Ich bin der Meinung: Man macht eine Sache besser oft, die man kann – als mehrere Sachen, die man nicht kann, dauernd. Und ich muss ja nicht vielseitig sein. Ich hab in all meinen Verträgen nachgeschaut: Da steht nichts von Vielseitigkeit drin. Vor der Premiere 1996 in Purkersdorf hätte ich mir nicht gedacht, dass "Alma" ein so langes Leben haben könnte. Aber dann gab es frenetischen Applaus. "Alma" hat sich sehr schnell zu einem Kultstück entwickelt.

Nach sechs Jahren war Schluss, weil das ehemalige Jugendstil-Sanatorium verkauft wurde.

Wir gingen daher auf Reisen. Damit fing es wirklich an.

Sie gastierten u. a. in Prag, Venedig und Lissabon. Die Produktion wurde immer größer, die Zahl der Requisiten nahm jedes Jahr zu. Sind Sie nun ein Gefangener Ihrer Produktion?

Wer ist nicht gerne von einer tollen Frau gefangen? Diese Auslandsgastspiele waren das Salz in der Suppe. Denn man fragt sich die ganze Zeit: Schafft man das überhaupt in Los Angeles oder in Jerusalem? Das ist wie eine wochenlange Expedition durchs ewige Eis, dann am Südpol die Fahne hissen – und schnell zurück ins Warme. Zum Beispiel: In Jerusalem wurde das Stück von Joshua Sobol zensiert! Man hatte zu mir gesagt: "Geh nicht nach Jerusalem! Geh nach Tel Aviv, das ist eine weltoffene, liberale Stadt!" Ich aber sagte: "Nein, ich spiele in keiner Stadt, die jünger als 2000 Jahre alt ist."

Deswegen spielen Sie jetzt zum zweiten Mal in Wr. Neustadt.

Wr. Neustadt ist eine uralte Stadt. Sie haben ja gar keine Ahnung! Mit vielen berühmten Söhnen, darunter Karl Merkatz. Und Michael Haneke ist hier aufgewachsen.

Ist die riesige "Serbenhalle", in der die Nationalsozialisten Raketen bauten, nicht belastend?

Es ist eine Fabrik mit Vergangenheit. Aber Vergangenheit hatten alle unsere Spielorte. Und Wr. Neustadt hat sogar einen inhaltlichen Zusammenhang mit Alma, weil Kokoschka hier an der Militärakademie im Ersten Weltkrieg zum Dragoner ausgebildet wurde. Alma und er schrieben sich damals viele Briefe. Kokoschka hat es in Wr. Neustadt nicht so gut gefallen.

Und wie geht’s weiter?

Nächstes Jahr wird die 500. Vorstellung stattfinden. Die können wir nicht auslassen! Dann sind wir im 21. Jahr. Das ist aber kein Abschluss. Also werden wir wohl ein Vierteljahrhundert spielen müssen.

Welche Spielorte wären noch möglich?

Istanbul habe ich lange versucht, ist aber nicht zu machen. Paris käme infrage.

Naheliegend wegen Almas Flucht mit Franz Werfel vor den Nationalsozialisten.

Und irgendwann muss es doch New York werden. Da ist Alma gestorben. Dieser Ort würde fehlen, wenn wir davor aufhören müssten.

Die Almas wurden unter anderem von Johanna Wokalek, Martina Ebm, Susanne Wolff und Anna Franziska Srna verkörpert. Die einzige Konstante sind Sie: Seit der ersten Vorstellung spielen Sie den Kokoschka. Wann werden Sie zu alt für die Rolle?

Das war ich schon von Anfang an. Denn Kokoschka war damals Ende 20. Außerdem war ich ja nur eine Notlösung. Ich fand keinen Schauspieler, dann fehlte das Geld, und so dachte ich mir, dass ich die Rolle selber machen könnte. Sie kommt ja nur in drei Szenen vor. Jetzt geb’ ich die Rolle nicht mehr her.

Was hat sich gegenüber dem letzten Jahr geändert?

Die Besetzung ist bis auf eine Ausnahme gleich geblieben. Der Leichenschmaus wird imposanter. Und es gibt zwei, drei neue Szenen.

Wie kam überhaupt der Deal mit Wr. Neustadt zustande? Von 2008 bis 2013 spielten Sie in Wien im ehemaligen Post- und Telegrafenamt. Und dann waren Sie ziemlich wütend, weil der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny "Alma" nicht mehr förderte.

Letztes Jahr wurde meine Mutter, Hilde Sochor, 90 Jahre alt. Sie hat von Niederösterreich eine Medaille gekriegt, es gab ein großes Essen. Da hab’ ich Erwin Pröll, dem Landeshauptmann, mein Leid geklagt: Dass wir schon seit Jahren so schlecht behandelt werden vom ignoranten Kulturstadtrat und dass wir von Wien weg müssen. Er sagte: "Na, kommen Sie doch nach Niederösterreich! Was brauchen Sie denn?" Ich hab’ gesagt, was ich brauch’. Und er gab mir es, ohne mit der Wimper zu zucken. Und heuer wieder. Ich weiß, dass Pröll ein politisches Anliegen hat. Er will kulturell in Konkurrenz zu Wien treten. Und das gelingt ihm besonders in den Sommermonaten bravourös. Da wird überall Theater gemacht. In der Zeit findet in Wien rein gar nichts statt – außer dem Impulstanzfestival. "Die letzten Tage der Menschheit" planen wir daher gemeinsam.

Sie bringen den Szenenreigen von Karl Kraus zur Aufführung?

Ja, in Wiener Neustadt, im Komplex neben der "Serbenhalle". Man müsste jedes Jahr einen Teil machen. Und 2019 dann das gesamte Stück spielen – zur Gründung der Republik vor 100 Jahren.

Ohne Striche?

Na klar. Zwei Tage lang. Die Leute haben ein Recht, das Stück einmal vollständig zu sehen. Heuer im August wird es die ersten öffentlichen Proben geben. Wir arbeiten daran, es ist herzeigbar, aber noch keine richtige Aufführung.

Planen Sie wie bei "Alma" ein Simultantheater?

Nein. In "Alma" muss man sich immer wieder entscheiden, ob man die eine Szene sehen will oder die andere. Ich möchte die Leute zu den diversen Schauplätzen führen – und dort werden die Szenen immer wieder wiederholt, damit man die Chance hat, die Majorität der Szenen zu sehen. Ein Schauplatz könnte die ehemalige Go-Kart-Bahn nebenan sein. Das ist der perfekte Ringstraßenkorso.

Was interessiert Sie an der "Menschheit"?

Das Stück ist eine Herausforderung, eine Sammlung negativ dargestellter Menschen. Das ist nach einer gewissen Zeit ermüdend. Es gibt zudem keine Identifikationsfiguren. Das heißt, dass man dem Stück vielleicht etwas hinzufügen muss, um eine Balance zu bekommen. Vielleicht eine Mutter, die um ihr totes Kind trauert.

Wie beurteilen Sie das gegenwärtige kulturelle Angebot in Wien?

Negativ. Theaterhauptstadt ist München. Wegen Martin Kušej am Residenztheater, wegen Johann Simons an den Kammerspielen, wegen Klaus Bachler an der Oper. Atemberaubend, was dort stattfindet! Es ist ein absoluter Jammer, dass Kušej nicht Burgtheaterdirektor geworden ist. Man hätte um ihn werben müssen – wie um eine Frau. Aber das machen unsere Politiker ja nicht.

Was halten Sie von Karin Bergmann, die seit einem Jahr das Burgtheater leitet?

Hurra, eine Frau!

Und von Anna Badora, der neuen Direktorin des Volkstheaters?

Fantastisch! Außerdem verdanke ich ihr die wichtigste künstlerische Begegnung meines Lebens: Sie war Assistentin bei Peter Zadek – und hat mich ihm 1982 für "Baumeister Solness" empfohlen. Das hat meinen Weg bestimmt. Das Volkstheater wird interessant!

Werden Sie dort spielen?

Wenn man bereits am Burgtheater gespielt hat? Man wechselt doch nicht über die Zweier-Linie! (Manker grinst schelmisch)

Am 29. Mai 1996 wurde das Polydrama „Alma – a Show Biz ans Ende“ uraufgeführt. In parallel ablaufenden Szenen erzählt Joshua Sobol das Leben von Alma Schindler nach, die mit dem Komponisten Gustav Mahler, dem Architekten Walter Gropius und dem Schriftsteller Franz Werfel verheiratet war. Die Produktion erlebte bisher 470 Vorstellungen. Am 29. Mai feiert „Alma“ in den Roigk-Hallen von Wr. Neustadt (Publikumseingang: Lagergasse 3) in einer Galavorstellung ihren 20. Geburtstag. Gespielt wird von 24. Mai bis 13. Juni.

Termine und Kartenreservierung: www.alma-mahler.com

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