Gerd Kroske im Filmmuseum: Aus der Krankheit eine Waffe machen

Dokumentarist deutscher Geschichte: Gerd Kroskes Film „Leipzig im Herbst“ (1989)
Die Retro „Deutschlandbilder“ zeigt die Arbeiten des Doku-Filmachers Gerd Kroske im Österreichischen Filmmuseum.

„Helmut!, Helmut!“, jubelt eine begeisterte Menge bei einer Wahlversammlung, in der Kanzler Kohl im Leipzig von 1990 eine flammende Rede auf „unser Abendland“ hält. Danach sind die Straßen mit Papier übersät. Im Dunkeln der Nacht schwärmen die Straßenkehrer aus und reinigen die Gehsteige.„Kehraus“ nennt der deutsche Doku-Filmemacher Gerd Kroske sein charismatisches Schwarzweiß-Dokument einer prekären Stimmungslage rund um „die Wende“: Für 46 Mark Lohn pro Nacht marschieren Stefan, Gabi und Henry mit dem Besen durch die Stadt und erzählen aus ihrem zerrissenen Leben.

Gerd Kroske im Filmmuseum: Aus der Krankheit eine Waffe machen

Aus dem Leben der Leipziger Straßenkehrer: "Kehraus" (1990)

Sechs Jahre später hat sich für alle Beteiligten die Lage zugespitzt. Es herrscht Arbeitslosigkeit und der Kampf um die Sozialhilfe: „Kehrein, Kehraus“ (1997) ist der zweite Teil von Kroskes einfühlender Langzeitdoku, die mit „Kehraus, wieder“ (2006) erneut ihren Protagonisten zu Zeiten von Hartz IV einen Besuch abstattet.

Gerd Kroske gilt als herausragender Dokumentarist jüngerer deutscher Geschichte. Gerade seine „Kehraus“-Trilogie erzählt von jenen Marginalisierten, die nach der „Wiedervereinigung“ in der Gesellschaft nicht Fuß fassen können. Aber nicht nur das Erbe der DDR, auch die Konflikte der Nachkriegs-BRD und den Umgang mit der (verdrängten) faschistischen Vergangenheit nimmt der 1958 in Dessau geborene Regisseur scharf ins Bild.

Gerd Kroske im Filmmuseum: Aus der Krankheit eine Waffe machen

Langzeitdoku: Sechs Jahre danach "Kehrein, Kehraus" (1997)

Anti-Psychiatrie

Als besonders superbes Zeitdokument erweist sich Groskes jüngste Doku „SPK Komplex“ (2018), in der die Ereignisse rund um das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) spannend wie ein Krimi aufgerollt werden. Gegründet 1970 in Heidelberg von einem Arzt namens Wolfgang Huber und inspiriert von der 1968er Bewegung, bemühte man sich um einen neuen Umgang mit Psychiatriepatienten: „Aus der Krankheit eine Waffe machen“, lautete der revolutionäre Slogan und zielte auf gesamtgesellschaftliche Veränderung ab.

„Die haben immer nur Hegel gelesen“, erinnert sich einer von Kroskes Interview-Partnern, doch bald nimmt die Polizei die Gruppe ins Visier, deren Positionen sich zunehmend radikalisieren.

Gerd Kroskes bestechendes Werk läuft derzeit im Österreichischen Filmmuseum (bis 13. 2.). Samstag Abend ist der Regisseur persönlich anwesend.

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