"Wie Opernball vor dem Abgrund"

Ein großes Ensemble aus Burg-, Josefstadt- und Volkstheater-Schauspielern bringt Karl Kraus’ Weltkriegsdrama auf die Bühne, zuerst in Salzburg, ab September im Burgtheater.
Regisseur Georg Schmiedleitner über seine Inszenierung von "Die letzten Tage der Menschheit".

Die Probe zu "Die letzten Tage der Menschheit" ist zu Ende. Georg Schmiedleitner sitzt am Regietisch in einem Chaos aus Textbüchern, Kaffeetassen und Requisiten und sieht sehr zufrieden aus: "Das Unfertige, Labormäßige, Werkstatthafte ist für mich ja fast wie eine Droge." Am 29. Juli ist Premiere bei den Salzburger Festspielen, am 5. September am Burgtheater.

KURIER: Ist das Unfertige bei diesem Text nicht ohnehin zwangsläufig da – weil man gar nicht fertig werden kann?

Georg Schmiedleitner: Ja. Man muss ja grundsätzlich sagen, dass das Stück ein Entwurf ist, eine Unmöglichkeit und etwas Extremistisches an sich hat, das man sich oft wünscht in Stücken. Ich glaube, dass es nicht komplett sein kann. Ich möchte, dass diese Unmöglichkeit in der Inszenierung drinnen ist. Kraus selber sagt ja, dass man es gar nicht aufführen kann – deshalb war er so verschwenderisch mit dem Text.

Wann immer von diesem Stück die Rede ist, heißt es, es sei "unspielbar". Dafür wird es eigentlich wieder recht oft probiert.

Da ist natürlich Koketterie drinnen. So unspielbar ist es gar nicht. Vor allem nicht, wenn man den Text vor sich liegen hat und daran probt. Da merkt man, Kraus ist ein hervorragender Theaterdichter. Es gibt aber auch sehr komplizierte Passagen, und die haben wir bewusst nicht weggestrichen. Auch der "Nörgler" und der "Optimist", die einen beträchtlichen Teil ausmachen, sind drinnen. Wir wollten den Text nicht amputieren. Dieser Konflikt zwischen einem Wissenden und einem Naiven, der sich fast wie eine antike Tragödie entwickelt, ist ein wesentlicher Teil.

Karl Kraus sagte, es würde sechs Tage dauern, das ganze Stück aufzuführen. Wie lange dauert es bei Ihnen?

Es wird etwa dreieinhalb Stunden dauern. Eine repräsentative Länge. Vielleicht wird es auch länger. Einen Karl-Kraus-light-Abend werden wir nicht draus machen!

Haben Sie schon eine fertige Textfassung?

Wir haben eine praktikable Probenfassung – die wir Tag für Tag ändern. Theater kriegt so etwas Handwerkliches, das kommt mir entgegen. Und die Schauspieler machen gern an diesem Entwicklungsprozess mit.

Was war schon da an Vorarbeiten für Matthias Hartmanns geplante Inszenierung?

Es gab ein paar Skizzen, das war alles. Ich hatte auch nie das Gefühl, etwas zu übernehmen, was ein anderer vorbereitet hat. Wir haben auf Neustart gedrückt.

Hätte Sie das Stück – abgesehen von der jetzigen Situation – an sich interessiert?

Ja, ich habe schon länger damit geliebäugelt, dieses Stück zu machen. Ich gehöre auch zu denen, die es gelesen haben – während des Germanistik-Studiums bei Wendelin Schmidt-Dengler, der den Text geliebt hat. Er hat mich fürs Theater geprägt, er wird schmerzlich vermisst.

Er war auch ein wunderbarer Fußball-Experte.

Da haben Sie sehr recht! Ich bin ja auch ein Fußball-Narr und hätte gerne mit ihm ein Gespräch über Fußball geführt. Dieses Crossover-Denken mag ich. Und er war einer der wenigen Professoren, bei denen man lachen konnte in der Vorlesung.

"Wie Opernball vor dem Abgrund"
Klein
Glauben Sie, dass viele Österreicher "Die letzten Tage der Menschheit" gelesen haben?

Ich vermute ja Folgendes: Jeder hat von dem Stück gehört, aber vielleicht will man es sich lieber anschauen, als es zu lesen. Das ist unsere Chance. Das Stück ist multifunktional: Es gibt weder nur eine kabarettistische Seite, noch ist es nur ernst. Wir werden das Kabarettistische klein lassen, einen ernsthaften, puren Abend entwickeln. Eine Endzeitstimmung erzeugen, einen Abend, der gefährlich ist, bedrückend, der wehtut und schockiert.

Gelacht wird trotzdem werden.

Ja, weil es grotesk ist,weil die Groteske so überzogen ist, dass es schon wieder unverschämt wird. Wir sagen uns auch immer: Wir dürfen das Geschehen nicht vordergründig mit dem Thema "Krieg" bebildern – wir müssen den Zuschauern auch die Bilder im Kopf lassen. Wir arbeiten an einer heutigen Lösung, die mit einer modernen Sichtweise auf das Ereignis des Ersten Weltkriegs blickt.

Wie sieht diese Lösung aus?

Unser Ausgangspunkt ist eine Trauerfeier für Franz Ferdinand, das letzte Abendmahl der Menschheit, sozusagen. Und dann bricht über diese Trauerfeier der Krieg herein. Wir verzichten auf Weltkriegs-Zierat, Uniformen, Gewehre. Am Ende wird aus dieser Trauergesellschaft ein Tanz auf dem Vulkan, als würde der Opernball vor dem Abgrund stattfinden. Wir haben auch eine 25-Mann-Musikkapelle aus Salzburg engagiert, die wird Kriegsmärsche spielen und auch den Kriegslärm liefern.

Sie haben ein interessantes Ensemble, Schauspieler aus Burg, Josefstadt, Volkstheater ...

Ich bin ganz glücklich, wir sind eine super Mannschaft! Wir sind unterschiedlichste Menschen, von Dörte Lyssewski bis Gregor Bloéb, von Christoph F. Krutzler bis Peter Matic – das bereichert ungemein. Und alle sind neugierig aufeinander. Deshalb habe ich auch ja gesagt zu einer Expedition, die der Besteigung eines Achttausenders gleichkommt.

Wie sehen Sie als Theatermacher den wachsenen Spardruck?

Es wird nur über Geld geredet. Ich finde das furchtbar. Theater braucht Geld. Dass Stadttheater und Staatstheater als Kulturdampfer schwierige Konstruktionen sind, ist klar. Noch schlimmer ist die Situation bei kleinen Häusern – das geht das Sparen längst an die Existenz. Aber immer noch ist das Theater ein toller Arbeitsplatz.

Sehen Sie da auch eine Chance?

Krisen sind immer Chancen. Ich selber merke das: Wenn ich sparen muss, werde ich kreativer.

Karlheinz Hackl ist unlängst gestorben. Sie haben mit ihm "Der Zerrissene" inszeniert, seine letzte große Rolle.

Ich habe ihn erlebt, mit ihm geprobt, und mir gedacht: Der macht so gute Sachen, dass ich mich gar nicht entscheiden kann, was ich nehmen soll. Er war so energiegeladen, so feurig, ein Kraftwerk auf der Bühne, der mir viel eröffnet hat, wie man Dinge angehen kann. Mich freut es sehr, dass es meine Inszenierung war, in der er so gut war. Es war seine Rolle, er hat einen modernen Typus daraus gemacht.

Als Fußball-Fan sind Sie derzeit vermutlich im Stress.

Fußball und Theater haben viel miteinander zu tun. Ich mache eigentlich das Gleiche wie ein Fußballtrainer. Spielen können ja alle, aber wie holt man eine Zusatzleistung heraus?

Der Unterschied ist: Beim Theater weiß man, wie es ausgeht – weitestgehend.

Aber man arbeitet daran, dass man die Zuschauer trotzdem verblüfft. Hätte ich ein zweites Leben – ich säße gerne auf der Trainerbank.

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