Genial auf Haupt- und Nebenstraßen

Maria Lassnig, Frühstück mit Ohr, 1967 © Maria Lassnig Stiftung
Eine Retrospektive in Prag zeigt das umfassende Werk mit einigen weniger bekannten Facetten.

Was die Beschäftigung mit einem künstlerischen Werk spannend macht, ist die Möglichkeit, immer wieder neue Schubladen aufzumachen: Der Blick auf Experimente, stilistische Suchphasen, auch Sackgassen erfrischt den Blick auf das, was bekannt und "typisch" erscheint.

Die große Maria Lassnig (1919–2014) hätte viele Schubladen allerdings wohl versperrt gehalten und den Schlüssel verschluckt: Werke der 1950er-Jahre etwa bezeichnete die ewig Selbstkritische als "Provinzbilder", erzählt Peter Pakesch, Vorstand der Maria-Lassnig-Stiftung, die den Nachlass der Künstlerin betreut. Einige abstrakte Bilder von 1959/’60 wollte sie gar vernichtet haben, bevor Pakesch sie restaurieren ließ. Zwei davon hängen nun in der Ausstellung, die bis 17. Juni in der Nationalgalerie Prag zu sehen ist.

Lassnig on Tour

Im Kern ist es weitere Station jener Retrospektive, die 2016 in der Tate Liverpool debütierte und seitdem Besucherinnen und Besucher in Aalborg/DK, Essen/D und Warschau/PL mit dem Werk Lassnigs vertraut gemacht hat. Für die Prager Version – als "größte Retrospektive außerhalb Österreichs" beworben – hat Chefkurator Adam Budak noch einige Schubladen aufgemacht: So ist die Schau in dem außergewöhnlichen, 1925–’28 erbauten Ausstellungspalais durch eine Präsentation von Lassnigs Filmen erweitert und mit selten gezeigten Bronzeskulpturen ergänzt.

Überall blinkt dabei die Meisterschaft der Künstlerin hervor, die Trends ihrer Zeit scheinbar mühelos und gierig wie ein Schwamm aufsog, adaptierte, entwickelte und sich zugleich nie mit dem Vollbrachten zufriedengab: Manche Ideen, die Lassnig erkundete und wieder verwarf, hätten anderen Künstlern schon für eine ganze Karriere gereicht.

Genial auf Haupt- und Nebenstraßen
Maria Lassnig, Selbstporträt expressiv, 1945 © Maria Lassnig Stiftung

Die im Wesentlichen aus Beständen der Stiftung gespeiste Schau zeigt das Werk, entlang von Lassnigs Biografie geordnet, in großer Breite. Doch es gibt Momente, in denen die Vielstimmigkeit verstummt, etwa vor dem "Selbstporträt expressiv" von 1945, das wie eine Ikone zentral an einer weißen Wand gehängt wurde: Das scheinbar unvollendete Bild sei, so Pakesch, eine "erste Kampfansage" und enthalte vieles, was Lassnigs späteres Werk bestimmen sollte.

Die Versuche, Körperzustände abzubilden, die Projektion von Empfindungen auf Dinge und die Verschmelzung derart aufgeladener Objekte mit dem Menschlichen führten bei der Malerin zu Ergebnissen, die in ihrem Einfallsreichtum und Witz, aber auch in ihrer malerischen Ausführung immer wieder begeistern. Das Gemälde "Frühstück mit Ohr" von 1967 (Bild) ist so ein Highlight: Wie der Sammler und Galerist Helmut Klewan – auch Leihgeber der Schau – berichtet, wollte der Pianist Alfred Brendel dieses Bild einst haben, doch Lassnig war auch durch den damaligen Rekordpreis von einer Million Schilling nicht zur Herausgabe zu bewegen.

Mit Leben durchtränkt

Genial auf Haupt- und Nebenstraßen
“Selbstporträt mit Pinsel“, 2010-13 © Maria Lassnig Stiftung Foto: Roland Krauss

Wie sehr die Künstlerin an Werken hing, lässt sich auch an den Bildern festmachen, in denen sie den Tod der geliebten Mutter verarbeitete ("Beweinung", 1964; "Selbstporträt mit Stab", 1971): Die Intensität, mit der die Künstlerin mit der und durch die Malerei lebte, überwältigt. Das letzte Werk der Schau, 2013 gemalt, erscheint wie eine Coverversion des Selbstporträts von 1945, mit ähnlicher Entschlossenheit im Blick, allein die Pinselhand scheint schlaff geworden zu sein.

Die Biografie ist aber nur eine der Möglichkeiten, Lassnigs Werk aufzuschlüsseln. 2019 wird der 100. Geburtstag der Künstlerin im Stedelijk Museum Amsterdam und in der Albertina begangen – man darf gespannt sein, welche Schubladen dann noch geöffnet werden.

Hinweis:

Der Prager Messepalast (Veletržní palác) von Josef Fuchs and Oldrich Tyl gilt als Vorzeigebau funktionalistischer Architektur. 1974 wurde er durch einen Brand schwer beschädigt, seit 1995 dient er als Ausstellungshaus der tschechischen Nationalgalerie. Bis 7. 1. 2019 dominiert Katharina Grosses Wunderbild“ die große Halle. Die deutsche Malerin, die primär mit industriellen Sprühpistolen arbeitet, schuf enorme Bilder auf Textilbahnen, die in der Halle aufgehängt wurden: Die Entgrenzung der Malerei, die Lassnig etwa durch Filme und Skulpturen versuchte, ist hier auf anderem Weg vorangetrieben. Sehenswert ist der Messepalast auch wegen seiner herausragenden Sammlung französischer Gemälde, darunter Hauptwerke von Picasso und Derain. Die Sammlung tschechischer Kunst wird ab 28. 10. in neuer Aufstellung zu sehen sein. Nur noch bis Sonntag läuft ein Gastspiel des Kunsthistorischen Museums, eine Schau zu Erzherzog Ferdinand II., in der Waldstein-Reithalle, einem weiteren Standort der Nationalgalerie. Ab 7. September ist dort die Retrospektive zu František Kupka zu sehen, die zuvor im Pariser Grand Palais Station macht. Francesca Habsburg wird ab 7. Juni – vorerst für fünf Jahre – Highlights ihrer zuvor in Wien beheimateten Sammlung im zur Nationalgalerie gehörenden Palais Salm auf der Prager Burg zeigen. Für die erste Schau hat sie sich laut Chefkurator Adam Budak die Künstlerin Monica Bonvicini sowie die Künstlergruppe Gelatin als Co-Kuratoren eingeladen.

Hinweis: Die Reise nach Prag erfolgte auf Einladung der Maria-Lassnig-Stiftung.

Der Prager Messepalast (Veletržní palác) von Josef Fuchs and Oldrich Tyl gilt als Vorzeigebau funktionalistischer Architektur. 1974 wurde er durch einen Brand schwer beschädigt, seit 1995 dient er als Ausstellungshaus der tschechischen Nationalgalerie. Bis 7. 1. 2019 dominiert Katharina Grosses Wunderbild“ die große Halle. Die deutsche Malerin, die primär mit industriellen Sprühpistolen arbeitet, schuf enorme Bilder auf Textilbahnen, die in der Halle aufgehängt wurden: Die Entgrenzung der Malerei, die Lassnig etwa durch Filme und Skulpturen versuchte, ist hier auf anderem Weg vorangetrieben.

Genial auf Haupt- und Nebenstraßen
Katharina Grosse, Wunderbild, Nationalgalerie Prag, 2018

Sehenswert ist der Messepalast auch wegen seiner herausragenden Sammlung französischer Gemälde, darunter Hauptwerke von Picasso und Derain. Die Sammlung tschechischer Kunst wird ab 28. 10. in neuer Aufstellung zu sehen sein.

Nur noch bis Sonntag, den 25.2., läuft ein Gastspiel des Kunsthistorischen Museums, eine Schau zu Erzherzog Ferdinand II., in der Waldstein-Reithalle, einem weiteren Standort der Nationalgalerie. Ab 7. September ist dort die Retrospektive zu František Kupka zu sehen, die zuvor im Pariser Grand Palais Station macht.

Francesca Habsburg wird ab 7. Juni – vorerst für fünf Jahre – Highlights ihrer zuvor in Wien beheimateten Sammlung im zur Nationalgalerie gehörenden Palais Salm auf der Prager Burg zeigen. Für die erste Schau hat sie sich laut Chefkurator Adam Budak die Künstlerin Monica Bonvicini sowie die Künstlergruppe Gelatin als Co-Kuratoren eingeladen.

Kommentare