Die Gerte als Requisite braucht es aber noch aus einem zweiten Grund: Wendla ist mit ihren 14 Jahren eine wohlbehütete Lulu. Mit kindlicher Unschuld vollführt Seide Noffke ihre Reifen-Kunststücke, aber sie posiert bereits recht neckisch. Der verklemmten Mama passt das gar nicht: Sie will ihre Tochter in ein züchtiges Kleid stecken. Das Rotkäppchen aber (mit einer Baskenmütze auf dem Kopf) animiert Melchior zu SM-Spielen und bietet sich dem Wolf an. Das Unglück nimmt seinen Lauf.
Auch wenn das Stück durch die Abtreibungsverbote in den USA eine gewisse Aktualität bekommt (Wendla stirbt nach dem Eingriff der Engelmacherin), lässt es sich nicht in der Gegenwart verorten. Regisseur Christian Berkel arbeitet daher die Farce heraus – und behilft sich mit aufdringlicher Überdeutlichkeit. Penis und Vagina zum Beispiel spricht man mit Inbrunst aus. Es hat aber schon seinen Grund, warum die schlimmen, schlimmen Wörter bei Wedekind nur mit „P“ und „V“ angedeutet werden.
Geradezu läppisch ist die Selbstbefriedigung hinter dem Vorhang: Der junge Mann muss Dimensionen wie ein Hengst haben. Getoppt wird dies vom Ziel-Onanieren im Rudel. Nicht im Buche steht, dass Melchior und Wendla von den Jugendlichen zusammengeführt werden – mit verbundenen Augen, um das erotische Knistern zu erhöhen. Passend plakativ dazu sind die Kostüme von Erika Navas.
Stefanie Dvorak, Michael Masula, Paul Matić und Babett Arens verkörpern, großteils unterfordert, die Eltern und Lehrer; Martin Schwab sorgt als „vermummter Herr“ für ein Glanzlicht – im Glitzeranzug des Zirkusdirektors. Intendantin Maria Happel dachte wohl, Namen aufbieten zu müssen. Denn die Jugendlichen werden von ihren Studierenden am Max-Reinhardt-Seminar gespielt. Sie singen begeistert „Burning Down The House“ von Talking Heads, zart „Something Stupid“ von Nancy & Frank Sinatra, sie musizieren und revoltieren. Aus dem Ensemble ragen – neben Seide Noffke – Nils Hausotte (Melchior) und Simon Löcker (Moritz) heraus. Der Jubel der Beteiligten war groß.
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