Kaum einer denkt aber an Franz Rehrl, den christlichsozialen Landeshauptmann ab 1922. Vielleicht weil der Jurist, 1890 in Salzburg geboren, später Repräsentant des Austrofaschismus war. Doch ohne ihn wären die Festspiele längst eine Anekdote: Er rettete sie mehrfach mit unkonventionellen Maßnahmen.
Anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums (coronabedingt auch heuer) erschien dieser Tage bei Böhlau quasi als Ehrenrettung der Band „Politiker und Impresario“ des Historikers Robert Kriechbaumer über „Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und die Salzburger Festspiele“. Wer sich ein Porträt oder eine Biografie erwartet haben sollte, wird enttäuscht: Über Rehrl, der immer Tracht trug, und seine Lebensumstände erfährt man auf 564 prall gefüllten Seiten so gut wie nichts: Kriechbaumer seziert nur dessen politisches Agieren auf Basis vieler Dokumente. Und er erzählt ausufernd die Geschichte des Festivals nach – angefangen von den ersten Ideen.
Die Festspielhausgemeinde wollte mit Mozart als Zugpferd Bayreuth nacheifern, Reinhardt hingegen dachte nicht an Musik, sondern an Mysterien- und Krippenspiele. Zunächst ging es also darum, die divergierenden Ansätze in Deckung zu bringen.
Aufgrund der bitteren Armut nach dem Weltkrieg hatte ein Festspielhaus in Hellbrunn keinerlei Realisierungschancen. So gebar Reinhardt flugs den Leitgedanken von der „Stadt als Bühne“. Subventionen gab es keine, Antisemitismus aber schon.
1923 wurden die Festspiele aus finanziellen Gründen abgesagt (Reinhardt inszenierte trotzdem „Der eingebildete Kranke“), detto im Jahr darauf. Aber nun – wir befinden uns bereits auf Seite 120 – hat Franz Rehrl mit nicht einmal 32 Jahren die politische Bühne betreten. Er wollte die Wasserkraft nutzen, den Tourismus zur Schlüsselindustrie ausbauen – und er sah in den Festspielen ein Mittel zur „Entprovinzialisierung Salzburgs“. Als Verfechter des Föderalismus wehrte er sich vehement dagegen, dass die Wiener „uns als Kolonialtrottel“ hielten. Dennoch war er auf den Bund angewiesen. Denn die Festspiele brauchten Geld und ein Haus.
In Windeseile wurde 1925 die Reithalle nach den Vorgaben von Reinhardt umgebaut. Aufgrund Kostenüberschreitungen waren die Festspiele danach so gut wie insolvent. Rehrl entwickelte einen äußerst gefinkelten Finanzierungsplan. Zudem bat er, da das Festspielhaus mangelhaft war, seinen Bundesbruder Clemens Holzmeister um Hilfe. Dieser sagte sogleich zu, „der Sache zu dienen, die Du mit genialem Griff eben aus dem Unglück zogst“.
Die Festspiele gewannen an Bedeutung, doch die Probleme wurden nicht kleiner: Der Bund wollte nichts beisteuern, die Weltwirtschaftskrise setzte ein, die Touristen blieben aus, der Antisemitismus nahm zu. Das NS-Hetzblatt „Der Eiserne Besen“ wetterte gegen die „degenerierte Rasse“ – und Rehrl konterte demonstrativ mit der Aufstellung einer Reinhardt-Büste.
1933 übernahm Hitler die Macht in Deutschland, aufgrund der 1000-Mark-Sperre konnten die Deutschen so gut wie nicht mehr nach Salzburg reisen. Und in Österreich verbot Kanzler Engelbert Dollfuß u. a. die NSDAP. Am Vorabend der Festspieleröffnung 1934, am 25. Juli, wurde der Ständestaat-Diktator von Nazis ermordet. Flugzeuge aus Bayern warfen über Salzburg Propagandazettel ab.
Aber nun, unter Dollfuß-Nachfolger Kurt Schuschnigg, waren die Festspiele nationale Angelegenheit – und weltoffenes Gegenmodell zu Bayreuth. Rehrl half Reinhardt, der enorme Schulden angehäuft hatte, er legte dem Bund ein Beteiligungsmodell vor (das 1950 im Festspielfondsgesetz mündete) und erfüllte den Wunsch von Arturo Toscanini: Holzmeister baute nochmals das Festspielhaus um. Die Sommer 1935 bis 1937 waren Triumphe.
Und dann, im März 1938, marschierte Hitler ein. Den Rest der Geschichte erzählt Kriechbaumer nur fragmentarisch: Rehrl wurde sogleich seines Amtes enthoben. Mitte Juli 1944 war er in das Attentat gegen Hitler involviert und wurde verhaftet. Im August 1945 kehrte der Diabetiker schwer gezeichnet nach Salzburg zurück. Eineinhalb Jahre später, am 23. Jänner 1947, starb er.
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