François Ozon im Interview: In die Höhle des Löwen laufen
Der französische Filmemacher François Ozon verfilmte einen der größten Eklats innerhalb der katholischen Kirche. In seinem nüchtern erzählten Drama „Gelobt sei Gott“ (ab Freitag im Kino) rekapituliert er einen weitreichenden Missbrauchsskandal in Lyon, der die französische Öffentlichkeit erschütterte und die Gerichte beschäftigte.
Erzählt wird aus der Perspektive der Opfer, die nach vielen Jahren der Scham und des Schweigens Gerechtigkeit fordern. Beschuldigt wird ein Priester namens Bernard Preynat, der über Jahrzehnte Buben missbrauchte und dessen Taten von Kardinal Barbarin nicht zur Anzeige gebracht wurden. Barbarin wurde deswegen zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt, gegen Preynat läuft noch ein kirchenrechtliches Verfahren. Er war es auch, der versuchte, per Verfügung den französischen Kinostart zu verhindern, was aber nicht gelang.
Gelobt sei Gott
François Ozon verwendet in „Gelobt sei Gott“ die Originalnamen der Täter und hielt sich eng an die faktischen Vorgaben.
Eigentlich ist der 51-jährige Star-Regisseur berühmt für seine Filme über starke Frauen; mit „Gelobt sei Gott“ wollte er verletzliche Männer porträtieren. Sein ursprünglicher Arbeitstitel lautete „Der weinende Mann“. Doch dann wurde Ozon auf den aktuellen Fall Preynat aufmerksam und las auf der Website der Opfer die Aussagen von Männern, die als Kinder und Jugendliche Missbrauchsopfer der katholischen Kirche geworden waren.
KURIER: Monsieur Ozon, Sie beginnen Ihren Film mit Alexandre, einem gutbürgerlichen, katholischen Familienvater in Lyon, der als Kind sexuell von Priester Preynat missbraucht wurde. War Ihnen gleich bewusst, welches Politikum Sie mit dieser Thematik anschneiden?
François Ozon: Eigentlich hatte ich nicht vor, einen Film zu machen, der so unmittelbare, aktuelle politsche Brisanz hat. Ich wollte nur einen kleinen Film über Alexandre und seine Geschichte als Opfer erzählen. Doch als ich nach und nach all die anderen Männer kennenlernte, die ebenfalls Opfer von sexuellem Missbrauch geworden waren, sah ich den großen politischen Zusammenhang. Aus dem kleinen Film wurde ein großer Ensemblefilm.
Apropos Ensemble: Sie beginnen mit dem Schicksal von Alexandre, der nach 45 Minuten fast von der Bildfläche verschwindet. Neue Protagonisten treten auf. Warum haben Sie diese ungewöhnliche Struktur gewählt?
Weil sie der Realität entsprach. Alexandre hat die ersten zwei Jahre alleine versucht, Autoritäten der katholischen Kirche auf seinen Missbrauchsfall aufmerksam zu machen, doch nichts geschah. Dann reichte er die Klage ein. Ein weiterer Mann kam dazu und gründete die Opfervereinigung. Nach und nach meldeten sich andere Männer und fanden den Mut, ihre Missbrauchserfahrungen zu teilen. Die Struktur meines Films spiegelt den Ablauf der Ereignisse. Natürlich ist das ungewöhnlich, und meine Produzenten wurden deswegen sehr nervös. Sie wollten, dass ich das ändere, aber es kam für mich nicht in Frage.
Was war Ihnen besonders wichtig, in Hinblick auf Sexualität und Missbrauch zu erzählen?
Sexualität, die nicht auf gegenseitiger Übereinkunft beruht, ist ein Verbrechen. Das zu erzählen, war mir sehr wichtig. Außerdem war mir klar, dass ich den sexuellen Missbrauchsakt nicht zeigen werde – das erschien mir unmöglich. Ich wollte aber eine Idee von den Umständen vermitteln, in der es dazu kommen kann – dazu verwende ich die Rückblenden. Viele Erwachsene verstehen oft nicht, warum sich Kinder nicht wehren oder sich weigern. Ich wollte zeigen, wie hilflos es Kinder macht, wenn sich ihnen ein Erwachsener, dem sie vertrauen, so nähert, umso mehr, wenn es sich um einen Priester handelt. Anstatt wegzulaufen, laufen sie in die Höhle des Löwen.
Die Reaktionen der Familien sind manchmal erschütternd. Je bürgerlicher der familiäre Hintergrund, desto weniger Empathie mit den Opfern scheint vorhanden.
Priester Preynat hat es verstanden, seine Opfer in allen gesellschaftlichen Klassen zu finden – sowohl in der Arbeiterschaft, als auch in sehr bürgerlichen Schichten. Es ist interessant, wie unterschiedlich die Familien auf die enthüllten Vorfälle reagieren. Die bürgerlichen Kreise, die die katholischsten sind, verhalten sich nicht unbedingt in der besten Weise.
Sie betonen in Ihrem Film immer wieder den Unterschied zwischen Homosexualität und Pädophilie. Wird das immer noch gerne zusammen gedacht?
Ein Problem der Kirche ist, dass für lange Zeit Pädophilie einfach „nur“ als Sünde galt, so wie Homosexualität oder eheliche Untreue. Es hat ziemlich lange gedauert, bis anerkannt wurde, dass Pädophilie ein Verbrechen und eine weitverbreitete Plage innerhalb der Institution ist, und nicht „bloß eine Sünde“.
Sind Sie selbst katholisch?
Ich hatte eine katholische Erziehung, über die ich sehr froh bin. Sie war für mich und meine Kultur sehr wichtig, weil sie mich den Geschmack von Sünde und Grenzüberschreitung gelehrt hat. Aber sobald ich als Teenager meine eigene Sexualität und die Scheinheiligkeit der kirchlichen Institution entdeckte, habe ich mich abgewendet.
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