Angelockt von falschen Versprechen des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko, versuchen seit dem Sommer 2021 Migranten über diese Grenze in die Europäische Union zu gelangen. Viele von denen, die es auf die polnische Seite geschafft haben, werden von polnischen Grenzpolizisten zurückgebracht – in brutalen, illegalen „Pushbacks“.
Guerilla-Stil
In ihrem exzellenten, aufwühlenden, Drama „Green Border“ (derzeit im Kino), erzählt Agnieszka Holland von der humanitären Katastrophe an Europas Außengrenze und der Tragödie der „Pushbacks“: Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Marokko werden über den Stacheldraht zwischen Belarus und Polen hin- und hergeschoben, verprügelt und misshandelt.
Sie habe sich erst gar nicht darum bemüht, an offizieller Stelle in Polen um Filmförderung anzusuchen, winkt Agnieszka Holland im KURIER-Gespräch ab: „Ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen und frei arbeiten.“
Gedreht wurde in den Wäldern rund um Warschau, die für den Grenzwald an der „Green Border“ einstanden. Mit nervöser Kamera stürzt sich die Regisseurin ins chaotische Geschehen („Ich wollte einen Film im Guerilla-Stil drehen!“). Dabei rekonstruiert sie die herzzerbrechenden Schicksale der Geflüchteten in düsteren Schwarz-Weiß-Bildern, nimmt aber nicht nur die Position der Opfer ein; sie zeigt auch die ambivalente Situation eines polnischen Grenzsoldaten, der von seinem Vorgesetzten dazu aufgehetzt wird, die „Terroristen“ gnadenlos aus dem Land zu vertreiben und in einen Gewissenskonflikt gerät. Auch eine Gruppe von Aktivisten, die (vergeblich) um die Einhaltung der Menschenrechte kämpft, kommt in den Fokus.
Liebe zu Schwarz-Weiß
Agnieszka Holland, die Grande Dame des internationalen Kinos, wurde 1948 in Warschau geboren und emigrierte 1981 nach Frankreich. Sie arbeitete nicht nur in Europa, sondern schaffte auch den Sprung in die USA, wo sie Serienerfolge wie „The Wire“ und „House of Cards“ drehte.
In ihren Spielfilmen inszenierte die streitbare Regisseurin oftmals individuelle Schicksale vor historischem Hintergrund. Zudem liebt sie Schwarz-Weiß: „Jedes Mal, wenn ich an einem neuen Filme arbeite, schaue ich mir den alten tschechischen Schwarz-Weiß-Film ,Diamanten der Nacht’ von 1964 an (es geht darin um zwei jüdische Jugendliche, die während ihrer Deportation ins Konzentrationslager flüchten können, Anm.). Er inspiriert mich immer wieder.“
Zu Hollands bekanntestem Werken zählt „Hitlerjunge Salomon“ (1990), für den sie eine Oscarnominierung erhielt. Sie habe sich bei „Green Border“ an ihren eigenen Filmen über den Holocaust orientiert, so die Künstlerin: „Ich wollte private Schicksale vor einem großen, politischen Zusammenhang erzählen. Dabei ist es wichtig, verschiedene Standpunkte einzunehmen, um allen gerecht zu werden. Auch was das Verhalten des polnischen Grenzsoldaten betrifft: Er hat die Wahl, grausam gegen die Flüchtenden vorzugehen oder sich krank zu melden. Das ist doch keine haltbare, ,normale‘ Situation!“
Als „Green Border“ im Herbst veröffentlicht wurde, entfesselte das Drama in Polen eine beispiellose Hetzkampagne. Vertreter der damaligen rechtspopulistischen Regierung beschimpften die Filmemacherin als Vaterlandsverräterin. Holland, deren Vater jüdischer Herkunft war und seine Eltern im Holocaust verlor, wurden Nazi-Methoden vorgeworfen: Ihr Film sei vergleichbar mit Propaganda aus dem Dritten Reich, in dem die Polen ebenfalls als Banditen und Mörder dargestellt worden wären. Holland musste Leibwächter engagieren,
Mittlerweile haben knapp 800.000 Zuschauer in Polen „Green Border“ gesehen – und die rechtskonservative Regierung wurde abgewählt.
Wer weiß – vielleicht gibt es da einen Zusammenhang?
Die Regisseurin bezeichnete die Filmvorführungen in Polen von „Green Border“, an denen sie persönlich teilnahm, als „emotionale Katharsis“ und als „kollektive Therapiesitzung“: „In der Bevölkerung wussten viele nichts Genaues von den Ereignissen an der Grenze. Sie wussten nichts – oder wollten es nicht wissen.“
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